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Kultur, Politik und Wirtschaft

Lesedauer: 4 Minuten

(Finanz und Wirtschaft – Meinungen)

Wer Kultur umfassend versteht, hat Grund, der Verstaatlichung oder Teilverstaatlichung entgegenzutreten. Es gilt, Kultur privat mitzutragen. Ein Kommentar von Robert Nef.

«Je weiter der Kulturbegriff, desto problematischer wird die staatliche Förderung.»

Der vor 200 Jahren in Basel geborene Historiker Jacob Burckhardt unterscheidet in seinen 1905 nach seinem Tode erschienenen «Weltgeschichtlichen Betrachtungen» drei Potenzen, die wechselseitig aufeinander einwirken: Staat, Religion und Kultur.

Wo bleibt die Wirtschaft? Sie ist bei Burckhardt Bestandteil der Kultur, und diese Sichtweise ist keineswegs antiquiert, sondern hellsichtig. Die Herausforderung, vor der wir heute stehen, ist nicht die Kommerzialisierung der Kultur, sondern die Kultivierung der Wirtschaft.

Kultur bedeutet ursprünglich Pflege der Natur im Hinblick auf höheren Ertrag, am Anschaulichsten in der Agrikultur, eine historische Wurzel der Zivilisation sesshafter Menschen. Der Tausch zwischen Mensch und Natur und zwischen Mensch und Mensch ist der Humus, auf dem alle Kultur sich entwickelt und gepflegt wird.

Kultur steht daher nicht im Widerspruch zum Kommerz. Jedes nachhaltige Wirtschaften knüpft im eigenen Interesse an seine kulturellen Ursprünge an. Für eine klare Trennung zwischen freiwilliger Pflege und organisiertem politischem Zwang gibt es aber gute Gründe.

Zweifellos ist nach heutigen Vorstellungen Kultur viel umfassender als Konzert-, Theater-, Film- und Museumsbetrieb sowie Literaturanlässe. Auch Sport, Unterhaltung und vielfältige Formen soziokultureller Begegnung in Vereinsleben und Nachbarschaft sind Kultur im weiteren Sinn.

Zur Kultur gehören auch eheliche Partnerschaft und Familie. Wie einvernehmlich, wie arrangiert, wie spontan-emotional und wie organisiert und kalkuliert oder allenfalls computergesteuert sich Angebot und Nachfrage auf dem Heiratsmarkt einpendeln, ist sowohl kulturgeprägt als auch kulturprägend.

Ein erheblicher Teil der Weltliteratur befasst sich mit der Funktion und Dysfunktion von mehr oder weniger subtilen geschlechtsbezogenen Angeboten und Nachfragen und ihren Folgen. Vor staatlichen Eingriffen und Förderungen in diesem intimen Lebensbereich werden allerdings nicht nur liberale Staatsskeptiker warnen.

Sozio-Kultur hat Folgen

Eine klare Unterscheidung einer wertvollen erbaulichen E-Kultur und einer lediglich unterhaltenden U-Kultur ist antiquiert. Die Abgrenzung der Pflege des Schönen und Erhabenen, Bildenden vom Angenehmen, Zerstreuenden und rein Spielerischen ist bei Kulturereignissen und -erlebnissen kaum mehr möglich. Kultur ist definitiv zur Sozio-Kultur geworden.

Das hat auch Auswirkungen auf die Kulturförderung und auf eine staatliche Kulturpolitik, die man traditionellerweise auf einen umfassenden Bildungsauftrag des Staates abstützte. Kultur als Bestandteil von Bildung und Weiterbildung, als Förderung der «schönen Künste», konnte noch als «Service public» zur Staatsaufgabe heraufstilisiert werden. Kultur als Vermittlung von «Glanz & Gloria» im bunten Infotainment-Mix herkömmlicher Fernsehprogramme ist nur dann Sache des Staates, wenn man ihm eine umfassende Daseinsvorsorge «von der Wiege bis zur Bahre» zuweist.

Diese Analyse führt zu zwei Thesen. Erstens: Je weiter der Kulturbegriff, desto problematischer wird die staatliche Förderung, die ja ihrem Wesen nach stets selektiv und rationiert sein muss. Zweitens: Je grösser der räumliche Bezugsrahmen ist, desto fragwürdiger wird die Auswahl der unterstützten und geförderten Subjekte und Objekte.

Was heisst das jetzt für Menschen, die einen weiten Kulturbegriff befürworten, doch gleichzeitig auch davon überzeugt sind, dass sich jede Kultivierung regional und lokal manifestiert (wie etwa in der regional und lokal verwurzelten «Haute cuisine»)? Kulturelle Hochleistungen hatten stets einen lokalen Ausgangspunkt und mussten sich im Wettbewerb mit andern lokalen Konkurrenten ohne zentrale Förderung profilieren. Florenz und Weimar waren keine politischen Grossmächte; sie leisteten ihren Beitrag zur Kultur Europas und der Welt auch ohne Weltkulturerbe-Zertifikation der Unesco.

Wer einen weiten Kulturbegriff befürwortet, hat gute Gründe, vor jeder Verstaatlichung und auch schon vor einer Teilverstaatlichung der Kultur zu warnen. Sie würde zu einer Zwangskollektivierung wichtiger Lebensbereiche führen, die gleichzeitig in einer hoch arbeitsteiligen Dienstleistungsgesellschaft auch entscheidende wirtschaftliche Wachstumsbranchen sind.

Auch eine zunächst moderate Förderung macht bereits abhängig. Das führt schnell zum Verlust von Eigenständigkeit, kreativer Dissidenz und Spontaneität. Es bilden sich Seilschaften zwischen der staatlichen Förderungsadministration und organisierten Kulturschaffenden, die in der Regel dem aktuellen Trend nachrennen, viel Zweit- und Drittklassiges hervorbringen und die Illusion nähren, man könne sich als Kulturschaffender von der Frage dispensieren, ob es denn auch, jenseits der auf Subventionen beruhenden Zwangsfinanzierung, eine echte Nachfrage nach diesem Schaffen gebe.

Bedeutet dies nun, dass jede Kulturförderung aus öffentlichen Mitteln, auch die, bei der es primär um die Pflege des gemeinsamen kulturellen Erbes geht, abzulehnen ist? Nein. Städte sind mehr als nur steuerfinanzierte politische Systeme, sie haben kulturelle Traditionen und ein diesbezügliches bürgerliches Selbstbewusstsein, das auch beim Thema Kulturförderung mobilisierbar und mehrheitsfähig ist.

Dass sich seinerzeit in Basel eine Mehrheit für den Ankauf von Picasso-Bildern entschied, zeigt die Kraft des kulturellen Selbstbewusstseins, das durch eine kulturpolitische Förderung von Bern oder von Brüssel aus nicht gestützt, sondern zerstört würde. Kultur ist und bleibt Sache der Kultur, aber auch die Wirtschaft und die Politik sind mit der Kultur vernetzt und oft auch von ihr abhängig. Eine eigenständige, kreative und auch machtkritische Kultur darf aber ihrerseits weder von der Wirtschaft noch vom Staat abhängig sein bzw. immer abhängiger werden.

Bildung und Forschung, Gesundheit und neuerdings auch Kultur im weiteren Sinn (d. h. den Alltag sinnvoller, reicher, angenehmer und erholsamer gestalten) sind die Wachstumsbereiche, die leider zunehmend als zentrale «öffentliche Aufgabe» gedeutet werden, weil sie natürlich «systemrelevant» sind und daher angeblich der Staatssteuerung bedürfen.

Im Effekt führt die Übertragung aller systemrelevanten Bereiche an das politische System zu einem klaren Primat der Politik und zu einer Umkehr des Subsidiaritätsprinzips. Bildung, Kultur und Wirtschaft werden so zu Dienern des Staates. Warum und wie soll sich dieser Staat, der als zentraler Steuermann der gesamten Wirtschaft weltweit kläglich versagt hat, nun plötzlich als Steuermann der Kultur bewähren?

Bezahlen – wie für guten Wein auch

Wenn man dies verhindern will, darf man sich nicht damit begnügen, gegen zunehmenden Staatseinfluss und immer höhere Steuern zu lästern, man muss auch bereit sein, die Kosten eines professionellen Kulturbetriebs aktiv mitzutragen. In der Gastronomie hat dies funktioniert.

Glücklicherweise verlangt heute noch niemand die Subventionierung der «Haute cuisine», und die Bereitschaft, für ein gutes Essen und für einen guten Wein aus der eigenen Tasche auch einen guten Preis zu bezahlen, ist intakt und beschränkt sich nicht etwa auf die Superreichen. Jugendliche sind auch bereit, einen erheblichen Teil ihres Taschengeldes oder ihres Lehrlingslohns in die Eintrittskarte für ein Pop-Konzert zu investieren. Warum soll das bei der E-Musik nicht auch funktionieren, wenn sie den Weg zu ihren Liebhabern aktiv sucht und ein entsprechendes Marketing betreibt?

Kulturbürger und kultivierte Wirtschaftsmenschen müssen im Interesse einer offenen kulturellen Entwicklung als Teilnehmer und Teilhaber dieses Prozesses bereit sein, auch die Kosten dieser Kultur selbst mitzutragen und sie nicht zunehmend auf den zentralen Umverteilungsstaat abzuwälzen.

Zum Autor
Robert Nef ist Stiftungsratsmitglied des Liberalen Instituts Zürich.

Quelle: https://www.fuw.ch/article/kultur-politik-und-wirtschaft/

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