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Vom Wirrkopf zum Hoffnungsträger

Lesedauer: 4 Minuten

Die Rede von Javier Milei am Wef in Davos wird in die Geschichte eingehen. Seine Radikalkritik am Sozialismus entlarvt den weltweit wachsenden etatistischen Mainstream.


Robert Nef, Finanz und Wirtschaft, Meinung, 08.02.2024

In Argentinien wurde im Herbst Javier Milei, ein bisher politisch unbekannter, akademisch geschulter promarktwirtschaftlicher Ökonom, von einer heterogenen Wählerschaft überraschend zum Präsidenten gewählt. Man hat die Wahl weltweit als Verzweiflungsakt einer politikverdrossenen Nation gedeutet, die nach mehreren Staatskonkursen keine internationale Glaubwürdigkeit mehr zu verlieren hatte.

Milei wurde in den Medien als ultrarechter anarcho-kapitalistischer Wirrkopf bezeichnet. Ein weiterer Beleg dafür, wie untauglich das Links-rechts-Schema ist, wenn es um die Abgrenzung totalitärer und nichttotalitärer Herrschaftssysteme geht. Adolf Hitler, Inbegriff eines «rechts» verorteten Politikers, war in erster Linie Kollektivist und Etatist und hasste individuelle Freiheit und freie Märkte. Er war kein Antisozialist, sondern verkörperte eine nationalistische und rassistische, besonders verwerfliche Spielart des Sozialismus.

Populisten wie Juan Perón, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Argentinien an die Macht kam, waren zunächst Etatisten und im ursprünglichen Sinn «National-Sozialisten», mit Betonung auf Letzterem. Dass man eine Politik, die im Gegensatz dazu Marktwirtschaft und Kapitalismus fordert, im selben «rechten Lager» ansiedelt wie den korporatistischen Faschismus, zeigt die offensichtlichen Schwächen des auch bei vielen Medienschaffenden immer noch fest verankerten Schemas. Es ist eine Frage der Zeit, bis man den überzeugten Antietatisten zum Klassenfeind der Armen und Ausgebeuteten erklärt.

«Sein bewusst plakativ formuliertes antisozialistisches Manifest richtet sich nicht nur an Sozialisten im engeren Sinn.»

Milei hatte am Wef in Davos einen viel beachteten Auftritt, bei dem er die Veranstalter nicht mit Kritik verschonte. Die Grossveranstaltung muss zwar durch Armeeangehörige gegen Demonstranten aus dem Lager der Antikapitalisten abgeschirmt werden. Aber der Gastreferent bezweifelte, dass das Wef tatsächlich das Bollwerk des freien Unternehmertums, der weltoffenen Märkte und des Kapitalismus sei. Er charakterisierte es vielmehr als ein Treffen, bei dem sich politische und wirtschaftliche Eliten die Hand reichen zu einem für beide Seiten vorteilhaften Kompromiss, bei dem die Politik immer mehr dominiert.

Dass die Organisatoren einen libertären Antietatisten reden liessen, ehrt sie. Wahrscheinlich war der Auftritt des originellen Querkopfs als «Farbtupfer» im Programm eingeplant. Kaum jemand hat vorausgesehen, dass der Gast, wirksamer als eine Gruppe von Demonstrationstouristen, Anstoss zu einer Radikalkritik an einer Veranstaltung übte, die Politik und Wirtschaft immer enger und zentraler global vernetzen will.

Die Rede wird in die Geschichte eingehen, wie auch immer das künftige Schicksal des neu gewählten Präsidenten aussehen wird. Seine Radikalkritik am Sozialismus und am semisozialistischen und korporatistischen Ökointerventionismus ist – unabhängig von seinem Erfolg oder Misserfolg als Präsident – ein Zeichen der Hoffnung. Er hat den weltweit zunehmenden etatistisch-planwirtschaftlichen Mainstream entlarvt. Elon Musk hat die Rede wiederholt auf X (vormals Twitter) publiziert und ihr auch in den USA grosse Beachtung verschafft.

Antietatistisches Manifest

Milei demaskiert in seiner Rede zunächst den Begriff der «sozialen Gerechtigkeit», da sie durch Zwangsabgaben finanziert werde. Durch Umverteilung mache der Staat die Bevölkerung effektiv ärmer, denn staatlich verteiltes Geld vermindere den Anreiz, selbst produktiv zu sein. Ökonomische Wachstumsanreize machten hingegen den Wohlstandskuchen für alle grösser, weil sie – ohne Staatsintervention – produktive Leistungen belohnten. Sozialismus sei wegen seiner Unfähigkeit, Produktivität zu erhalten und zu steigern, stets und überall gescheitert, und zwar ökonomisch, gesellschaftlich und kulturell.

Aber auch die neoklassischen Theorien nahm er ins Visier, weil sie von der These des Marktversagens ausgehen. Was effektiv versage, sei just diese Grundannahme. Sie missachte den spontan produktiven Automatismus der sozialen Kooperation durch freiwillige Übereinkunft.

Die Sozialisten hätten realisiert, dass die Arbeiterschaft im Kapitalismus nicht verelende, sondern relativ reicher werde. Deshalb hätten sie die Ideologie des Klassenkampfs durch eine Ideologie des Geschlechterkampfs ersetzt und durch den gemeinsamen Kampf aller Menschen für die Rettung der Umwelt und gegen das Bevölkerungswachstum.

Auch seine Gastgeber am Wef sieht Milei als Opfer des neomarxistischen Gedankenguts, das in einem länger dauernden Prozess in den Medien, in den Universitäten und auch in den internationalen Organisationen immer mehr zum Mainstream werde. Sein bewusst plakativ formuliertes antisozialistisches Manifest ist nicht nur an Sozialisten im engeren Sinn adressiert. Es richtet sich auch an Sozialdemokraten, Christdemokraten, Kommunisten, Keynesianer, Nazis, Nationalisten und Globalisten, die alle vereint seien im Glauben an Regulierungen und Staatseingriffe.

Auf der anderen, produktiven Seite stehen für ihn lediglich die Unternehmer aller Länder, die er nicht ohne Pathos als die wahren Helden der Gesellschaft bezeichnet, weil sie gleichzeitig Gewinn machen und die Bedürfnisse anderer befriedigen. Sie sollten sich nie beim Staat anbiedern, nicht einmal am Wef. Wörtlich kommt er zum Schluss: «Der Staat ist nicht die Lösung, er ist das Problem. Der Staat gefährdet die Freiheit.»

In einem neuen Kulturkampf

Milei steht an der Schwelle eines Kulturkampfs, bei dem es um eine neue Mentalität, um einen säkularen Gesinnungswandel geht. Auf der Gegenseite sieht er diejenigen, die sich als «links» bezeichnen und an die Zentralmacht des Staates als Motor des technischen und des sozialen Fortschritts glauben und vereint gegen das kapitalistische Gewinnstreben ankämpfen. Er erwähnt ausdrücklich Egalitaristen, Genderisten, Feministen, Relativisten, Nihilisten, Zentralisten und Atheisten, die alles bekämpfen, was eine kapitalistische Gesellschaft auf die Dauer zum Blühen bringt: Privateigentum, natürliche Hierarchien, Familie, Traditionen und christliche Nächstenliebe.

Kann ein radikaler Staatskritiker, der wenig von Politik hält, an der Spitze eines maroden Staates dieses fundamentale kulturkämpferische Umdenken bewirken, das den Sturzbach eines Wirtschaftswunders auslöst? Nach einem Bonmot aus dem ehemaligen Ostblock ist es leicht, ein lebendiges Aquarium in eine tote Fischsuppe zu verwandeln. Der umgekehrte Vorgang, die Rückkehr zur lebendigen Vielfalt, ist wesentlich anspruchsvoller und verlangt in Demokratien eine Geduld, die betroffene und beteiligte Mehrheiten oft überfordert.

Den politökonomischen Schlüssel zu einer raschen und reibungslosen Transformation vom unproduktiven Etatismus zum produktiven Markt hat auch Milei noch nicht gefunden. Dass die Kettensäge allein nicht ausreicht, hat er wohl eingesehen, und es gibt Anzeichen dafür, dass er sich auf schrittweise Reformen einlässt und Kompromisse nicht ausschliesst. Er selbst gibt sich die Zeitspanne einer ganzen Generation. Ob er als Pionier und Hoffnungsträger an der Spitze bleibt oder als Märtyrer in einem längerfristigen Kulturkampf zunächst weggeputscht wird und auf mutige Nachfolger hoffen muss, bleibt offen.

Milei zeigt den Horizont einer Auseinandersetzung, die sich nicht zwischen «rechten Konservativen» und «linken Fortschrittskämpfern» abspielt, sondern zwischen dem Prinzip des spontanen horizontalen Austauschs unter Menschen und Menschengruppen einerseits und des vertikal organisierten Zwangs von Machtträgern in politischen Zentralen anderseits. Nicht «rechts gegen links», sondern hin zur produktiven Verbindung von Kopf, Herz und Hand.

Robert Nef ist Stiftungsratsmitglied des Liberalen Instituts.


Quelle: https://www.fuw.ch/javier-milei-vom-wirrkopf-zum-hoffnungstraeger-904688942903

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