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Verteilen nach dem Mehrheitsprinzip

Lesedauer: 2 Minuten

(NZZ – Meinungen & Debatte – Tribüne, Freitag, 15. März 2024, Seite 20)

Freiheit ist das, was wir einander gegenseitig zumuten und zutrauen, wobei das Vertrauen in die Freiheitsliebe einer weitgehend staatsabhängig gewordenen Bevölkerung leider am Schwinden ist. Diese Grundbeobachtung liefert die Erklärung für das durchaus voraussehbare Abstimmungsresultat vom 3. März.

Man bezeichnet die AHV gerne und fälschlicherweise als «Generationenvertrag», bei dem allerdings die Bezüger gegenüber den Zahlenden massiv übervertreten sind. Kurz: Ein Vertrag zulasten der Jungen und noch nicht Geborenen, der sich leider kontinuierlich in Richtung einer zentral-steuerfinanzierten Volkspension entwickelt, zulasten der Jungen und der aktuell Erwerbstätigen.

Was im Zusammenhang mit der Abstimmung zu wenig thematisiert wurde, ist die Tatsache, dass man zwar über generelle Verteilungsregeln nach dem Mehrheitsprinzip durchaus entscheiden kann, dass dieses aber fast regelmässig versagt, wenn es um konkrete Umverteilung geht und die Abstimmenden kurzfristig rein finanziell (und nur auf die eigene Person bezogen) ihren eigenen Vorteil an der Urne zulasten einer Minderheit – oder gar zulasten noch nicht Geborener – zum Ausdruck bringen können. Dann gibt es unweigerlich früher oder später immer mehr Zwangsabgaben zulasten überstimmter Minderheiten. Demokratie wird zum Freipass, die Hand in die Tasche anderer zu stecken.

Das Mehrheitsprinzip (eine Person, eine Stimme) versagt bei der Verteilung von Mitteln, die nicht personenbezogen gleichmässig eingezogen werden, und es sollte stets mit dem Prinzip «je betroffener desto beteiligter» und mit einem wirksamen Schutz von Minderheiten verknüpft werden. Aber diese Randbedingungen des Mehrheitsprinzips sind kompliziert und schwer zu kommunizieren. Wer sie vorbringt, wird schnell einmal als Gegner der Demokratie gebrandmarkt. Demokratie funktioniert, wenn man über generelle Regeln abstimmen kann, und sie versagt beim Verteilen von öffentlichen Mitteln, die auf ungleichen Beiträgen beruhen.

Der Zusammenhang von Besteuert-Werden und Mitbestimmen-Können ist fundamental. Immerhin hat eine (schwache) Mehrheit junger Abstimmender diesen Zusammenhang noch gesehen oder erahnt.

Gibt es angesichts der zunehmenden finanziellen Abhängigkeit der Stimmenden vom Staat und der immer mehr auseinanderklaffenden Beteiligung an den Staatskosten noch eine Chance für eine friedliche und nachhaltige Kombination von Rechtsstaat, Demokratie und Sozialstaat? Je zentraler die Entscheide gefällt werden, desto mehr verschwindet die Wahrnehmung des Zusammenhangs von Kosten und Nutzen und der Staat wird zur Milchkuh, die im Himmel gefüttert und auf Erden gemolken wird.

Ein Lichtblick ist wohl das Resultat der in den Medien als «massive Abfuhr» bezeichneten Ablehnung der Initiative der Jungfreisinnigen. Sie brachte mindestens eine Teilantwort auf die entscheidenden Fragen, und sie präsentierte Lösungen, die auf das längerfristige Gemeinwohl und nicht etwa nur auf «Jugendinteressen» ausgerichtet waren. Es gibt also heute eine längerfristig reflektierende staatsskeptische Jugend, die für dauerhaft tragbare und finanzierbare Lösungen einsteht und über die Grenzen der Schweiz hinausschaut und nicht einfach populäre Sonderinteressen einer Partei oder einer Gruppe von Betroffenen im Auge hat.

Es ist höchst bemerkenswert, dass diese Initiative in einer – wohl gewollt – höchst ungünstigen Kombination immerhin gut einen Viertel der Abstimmenden zu einem mutigen Ja bewogen hat. Die Anliegen einer Flexibilisierung des Rentenalters und seiner Koppelung an die objektiv nachweisbar zunehmende Lebenserwartung stehen auf einer längerfristigen Traktandenliste, und es ist zu hoffen, dass die Ja-Stimmenden auch in vorgerücktem Alter an einer ähnlichen Abstimmung nicht nur ihr Eigeninteresse zum Ausdruck bringen werden und dass sich auf die Dauer vernünftige ökonomische Überlegungen gegen populistische Propaganda durchsetzen.


Robert Nef ist Stiftungsratsmitglied des Liberalen Instituts.

NZZ Freitag, 15. März 2024, Seite 20

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