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Den Volksbeauftragten auf die Finger klopfen

Lesedauer: 2 Minuten

(NZZ – Briefe an die NZZ – Samstag/Sonntag, 12./13.Juli 2008, Nr.161, Seite 19)

Mit grossem Interesse habe ich Leonhard Neidharts Artikel zur «Konkordanzdämmerung» gelesen ( NZZ vom 7. 7. 08). Mit seiner Einschätzung des Referendums als ein Vetorecht gegen Parlamentsentscheide und mit dem hohen Stellenwert der durch Kleinstaatlichkeit und Milizprinzip gewährleisteten politischen «Sichtweite» gehe ich einig. Nur seiner Schlussthese, je direktdemokratischer das Volk entscheiden könne, desto intensiver müsse es von den Räten beraten werden, kann ich nicht zustimmen. Man stelle sich das einmal praktisch vor: Jene Instanz, die mit dem Veto die letzte politische Kontrolle ausübt, wird von den zu Kontrollierenden aktiv beraten! Ich sehe hier eher einen dialektischen Prozess mit Anklage, Verteidigung und abschliessendem Entscheid.

Mit dem Mythos vom permanent regierenden Volkswillen, dem sich die Regierung «unterordnet», habe ich als strikt Liberaler ebenfalls Mühe. Rousseau hat vom «Volkswillen», d. h. von der «volont´e g´en´ erale», geschwärmt und wollte alle, die sich dagegenstellen, strafen – nötigenfalls sogar mit dem Tod! Er wusste offenbar selbst genau, was die echte «volont´e g´en´erale» von der opportunistischen «volont´e de tous» unterscheidet. Aber wissen wir denn heute so genau, wer «das Volk» ist und was «das Volk» will? Stimmt die Formel «Vox populi vox Dei», Volkes Stimme ist Gottes Stimme? Ist das nicht ziemlich anmassend?

Für mich steht nur eines fest: Niemand, der gesund und mündig ist, liebt Zwang und Gewalt. Wir haben nicht in erster Linie «den Anspruch, gut regiert zu werden», sondern «das Recht, in Ruhe gelassen zu werden», auch vor dem Mehrheitswillen derjenigen, die behaupten, «das Volk» zu sein. Vielleicht ist es besser, herauszufinden, was «das Volk» nicht will. Das Regieren wird so zum Respektieren der Freiheit, d. h. zu einer grossen Strategie zur Vermeidung des Übels, andern zu sagen, was sie zu tun und zu zahlen haben. Regierung und Parlament stehen vor der Herausforderung, das jeweils «kleinste Übel» an Fremdbestimmung herauszufinden, und das Volk hat das Recht und die Pflicht, den Volksbeauftragten sorgfältig auf die Finger zu schauen und notfalls auch einmal zu klopfen.

Robert Nef (St. Gallen)

NZZ Samstag/Sonntag, 12./13.Juli 2008, Seite 19

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