Zum Inhalt springen

Wie attraktiv ist der Liberalismus für junge Menschen?

Lesedauer: 5 Minuten

(Liberal aktuell, Wien, 2. Quartal 1996, Heft 45, S. 5-9)

«Junge Menschen interessieren sich für Techno-Musik, für Sportanlagen und Parkplätze, für liberale Grundsätze interessieren sie sich überhaupt nicht mehr» … So lautet die Feststellung, mit welcher eine freisinnig-demokratische Ortspartei kürzlich ihre Anfrage an das Liberale Institut eingeleitet hat. Die Parteileitung wollte wissen, ob und wie es möglich wäre, junge Leute vermehrt für liberales Gedankengut zu begeistern. Wenn dies nicht gelinge, wurde mit guten Gründen beigefügt, so sei es um die Zukunft des Liberalismus schlecht bestellt…

In dieser Form ist die Frage nicht in wenigen Sätzen zu beantworten, und es dürfte ohne empirische Grundlagen sehr schwierig sein, eine brauchbare «Marktanalyse» für das ideelle «Produkt» Liberalismus (mit oder ohne eine «parteipolitische Verpackung») zu liefern. Die folgenden Ausführungen stützen sich lediglich auf persönliche Beobachtungen im beruflichen und familiären Umfeld. Ganz allgemein ist die Nachfrage nach programmatischen politischen Stellungnahmen bei jungen Leuten eher gering. Das Zeitalter der Ideologien, der Demonstrationen und heissen akademischen Diskussionen ist vorbei. Die Gruppe, die sich überhaupt für politische Grundsatzfragen interessiert, ist – unabhängig von der ideellen Ausrichtung nach «links» oder nach «rechts» – ein ganz kleiner Bruchteil der Stimmbürgerschaft.

Aus liberaler Sicht ist dieser «Rückzug ins Private» an sich nichts Negatives, aber er überlässt eben die politische Bühne jenen Aktivisten, die den Staat für den alleinkompetenten Problemlöser halten. Der Liberalismus kann auf eine Präsenz im parteipolitischen Machtkampf nicht verzichten, denn der Abbau und Umbau des unliberalen und unbezahlbar gewordenen Bevormundungsstaates verlangt mehr als ein politisches «Laissez-faire».

Wenn es darum geht, mehr junge Wählerinnen und Wähler zu gewinnen, so sind Grundsatzfragen kein geeigneter parteipolitischer «Magnet». Die junge Wählerschaft wünscht sich Persönlichkeiten, die sachlich und fachlich kompetent argumentieren und charakterlich überzeugen. Gesucht sind Vorbilder, welche Profil zeigen und den Mut haben, sich zu exponieren. Gefragt sind persönliche Leistungsausweise im politischen oder wirtschaftlichen Bereich. Personalisierung ist Trumpf. Die Ausrichtung auf Grundwerte wie Spontaneität, Offenheit, Vielfalt und Privatautonomie klingt für junge Leute zu abstrakt. Längerfristige politische Strategien kommen der weit verbreiteten «Subito»- Mentalität zu wenig entgegen. Eine besondere Schwierigkeit für die Attraktivität des Liberalismus bei Jungen besteht darin, dass er in verschiedener Hinsicht eine Position der «Mitte» und des «Kompromisses» sowie des Lernens in kleinen Schritten favorisiert, so etwa im Umweltschutz, in der Drogenpolitik, in der Europapolitik und bei Themen wie «Gleichberechtigung» und «Arbeitslosigkeit». Die Forderung nach einem «geordneten Rückzug» des Staates aus Bereichen, wo er mehr schadet als nützt, hat zudem überhaupt nichts Heroisches an sich. Wer die berechtigte Forderung nach «mehr Freiheit» erhebt, muss ehrlicherweise auf zahlreiche – durchaus auch für Mehrheiten – unbequeme Folgen aufmerksam machen. Aus dieser Sicht hat der Liberalismus im Umfeld des auf zunehmender Verschuldung basierenden, gegenwärtig aber noch leidlich funktionierenden demokratischen Sozialstaats, der auf Parteikoalitionen basiert, keine «frohe Botschaft» zu verkünden, von der sich junge Menschen begeistern liessen. Viele Jugendliche fühlen sich eher von einem prononciert rechten Gedankengut (Stichworte: Fremdenfeindlichkeit, Nationalismus) oder von linken Strömungen (Stichworte: Solidarität mit den Bedürftigen, gegen «die Mächtigen», gegen die «Männerherrschaft», gegen «den Krieg», gegen «die Ausbeutung der Drittweltländer» etc.) angesprochen oder von ökologischen Aktionsgruppen, die eine Antwort auf Katastrophen-Szenarien offerieren. Immer häufiger ist auch die Tendenz zum Rückzug auf eine einzige Fragestellung, welche eher zur Mitgliedschaft in einer Clique oder in einem Verein mit klar abgegrenzten Zwecken und konkreten Zielen motiviert als für den Einsatz in einer politischen Gruppierung, die sich mit komplexen und vernetzten Problemen befassen muss. Die wenig zahlreichen Jungen, die sich aus Überzeugung politisch aktiv engagieren möchten, werden dies also links oder rechts der Mitte tun, d.h. an irgendeinem «Flügel» des parteipolitischen Spektrums. In der Mitte bleiben lediglich die vorsichtigen Karrieristen, von denen keine Impulse zu erwarten sind.

Auf der Suche nach dem «liberalen Profil»

Alle Parteien wollen in Wahljahren eine möglichst grosse Wählerschaft ansprechen. Darum sind die Wahlplattformen als «Giesskanne» konzipiert, die eine Plantage von vielfältigen Interessen bewässert. Damit hält und gewinnt man kurzfristig Stimmen, verliert aber möglicherweise längerfristig den potentiellen Nachwuchs, der Profil erwartet und sich an Ideen und Vorbildern orientiert. Dieser Nachwuchs ist im liberalen Lager stets eine kleine Minderheit, die stimmenmässig zunächst nicht ins Gewicht fällt, die aber persönlichkeitsmässig die künftigen liberalen Kaderleute stellt (Zeithorizont: 10-20 Jahre).

Für diese – losgelöst vom vorherrschenden Zeitgeist – stets vorhandene potentielle Elite zählen liberale Werte wie Offenheit, Vielfalt, Unabhängigkeit, Eigenständigkeit (anstelle von einheitlichen Kollektivlösungen), Leistung (anstelle von gegenseitiger Ausnützerei), Ehrlichkeit (anstelle von hohlen Versprechungen), Sachlichkeit (anstelle von ideologischem Pathos und Schwulst), Beschränkung auf das Notwendige (anstelle des Giesskannenprinzips), offener Markt (anstelle von Reglementiererei), Sparsamkeit beim Staat, niedrige Steuern und niedrige Verschuldung (anstelle des Ausbaus der Bürokratie und des Leistungsangebots), mehr Konsequenz beim Ordnungsstaat (Verbrechensbekämpfung) weniger Bevormundung und Verschwendung im «Vollkaskostaat».

Man sollte im Hinblick auf einen qualifizierten Nachwuchs, welcher diese Werte nicht nur vertritt, sondern nach ihnen glaubhaft lebt, nicht in erster Linie auf das achten, was zur Zeit an konkreten Forderungen «bei den Jungen» «in» bzw. Mode ist. (Gibt es überhaupt so etwas wie «die Jungen» als homogene Zielgruppe, oder wird dies nur von parteipolitisch gehätschelten «Berufsjugendlichen» und von Marketingleuten des Unterhaltungsbusiness behauptet?). Die Formulierung von jugendpolitischen Programmen, die auf eine staatliche Förderung des für viele Junge attraktiven Konsums von Freizeitaktivitäten hinausläuft, ist aus liberaler Sicht abzulehnen. Die Jugend ist keine «soziale Problemgruppe», die einen besonderen Bedarf an staatlicher Infrastruktur, Unterstützung und Bevormundung auslöst. Die Förderung durch öffentliche Mittel kann zur dauernden Staatsbedürftigkeit führen, zu einer mit der Sucht vergleichbaren Abhängigkeit, in welcher die Jugend auch parteipolitisch instrumentalisierbar wird. Ein konsequentes und mutiges Nein zum einen oder andern «jugendpolitischen» Postulat mag zwar möglicherweise Stimmen kosten, aber es verleiht einer Partei jenes Profil, das sie mittel- und langfristig braucht, um einen qualifizierten Nachwuchs anzusprechen.

Stehen «die Jungen» tendenziell links?

Jede Partei hat rechte und linke Flügel, und in jeder Partei hat es Junge auf beiden Flügeln. Bürgerlichen Parteien haben in der Regel zwei rechte und zwei linke Flügel, was oft Anlass vielfältigster Begriffsverwirrungen ist: Auf der einen rechten Seite stehen am Rand die national-konservativen, tendenziell xenophoben Exponenten, auf der andern, ebenfalls als «rechts» bezeichneten, die konsequent marktwirtschaftlichen Ordnungspolitiker, Positionen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben und nur im undifferenzierten «Feindbild» der Linken verknüpft werden. Auch auf der linken Seite (bzw. in Linksparteien) gibt es zwei sehr unterschiedliche «Brennpunkte»: die interventions-, reglementierungs- und umverteilungsfreundlichen Etatisten (Gewerkschafter und Alte Linke) einerseits, sowie die spontanistischen, anarcho-sozialen Anti-Etatisten (Neue Linke) anderseits. Letztere stehen dem Liberalismus ideell näher als erstere, während das «vernünftige Gespräch» mit den zum Teil stark «verbürgerlichten» Etatisten leichter fällt. Die anti-etatistische «Neue Linke» hat sich grösstenteils «entpolitisiert», und das was von ihr übrig blieb, ist teils zu den «Grünen» und teils zu den «Etatisten» ab- bzw. zurückgewandert. Die «Grünen» wären aufgrund ihrer Ziele eher konservativ, d.h. rechts, aber sie verbinden sich – z.T. paradoxerweise – meist mit den linken Interventionisten, deren Struktur- und Umverteilungspolitik die industrielle Produktion und den Güterkonsum anheizt und damit auch die ökologischen Belastungen tendenziell vergrössert…

Ich vertrete die Auffassung, dass sich ein mittel- und langfristig zukunftstauglicher Liberalismus von allen xenophoben Tendenzen (selbst wenn sie bei sogenannten Rechtsliberalen und zunehmend auch bei Jungen populär sind) aber auch von den wohlfahrtsstaatlich-interventionistischen Tendenzen (selbst wenn sie bei den sogenannten Linksliberalen und den Linken populär sind) aktiv und klar distanzieren sollte.

Eine engere Kooperation mit wirklich marktwirtschaftlich orientierten Grünen und linken Anti-Etatisten sowie mit wertkonservativen, Eigentum und Wettbewerb bejahenden Christdemokraten hat grundsätzlich keinen Verlust an liberaler Substanz zur Folge. Die Frage ist also nicht «Wie links oder wie rechts soll der Liberalismus taktieren oder lavieren, um bei Jungen attraktiv zu sein?» sondern: «Welche traditionell als ‹links› bzw. als ‹rechts› bezeichneten Tendenzen sind in grundsätzlicher Hinsicht Liberalismus-verträglich?»

Die bei Liberalen stets – oft im Übermass – vorhandene Koalitions- und Kooperationsbereitschaft darf nicht zu jener Grundsatzlosigkeit und zu jenem wahltaktischen Opportunismus führen, welcher letztlich einen totalen Profilverlust zur Folge hat, und der die ihrem Wesen nach radikalen liberalen Ideen verwässert und – vor allem bei den Jungen – diskreditiert.

(Das «Liberale Institut» ist eine überparteiliche Stiftung zur Verbreitung und Weiterentwicklung liberaler Ideen)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert