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Staat und Steuern – eine endlose Geschichte

Lesedauer: 4 Minuten
Vom historischen Zusammenhang von Staat und Steuern,
In: Bulletin der «Liberalen Aktion», 16. Jahrgang, Nr. 2, Mai 2002, S. 5 ff.

Vom konservativen englischen Historiker Edmund Burke stammt eine der treffendsten Umschreibungen des Staates: «Die Einkünfte des Staates sind der Staat». Den Staat hat es schon gegeben, bevor sich die Geldwirtschaft entwickelte, und die Einkünfte des Staates beruhten ursprünglich auf Naturalien und auf der Verpflichtung zum Frondienst. Eine der ältesten bildlichen Darstellungen des Steuervorgangs stammt aus Àgypten, aus der Zeit des Alten Reiches. Ein Bauer muss seine Kuhherde beim Aufseher vorbeitreiben, und dessen Gehilfen isolieren mit Schlagstöcken jene Kühe, welche der Staat als Abgabe für sich beansprucht. Die kleinen Holzfiguren, die heute im Àgyptischen Museum in Kairo zu besichtigen sind, erinnern an Tierdarstellungen in der Volkskunst der Alpenländer, nur zeugt das Motiv nicht vom Besitzerstolz, sondern von der Demütigung des Bauern vor dem allmächtigen Steuereinzieher. Ob die kunstvoll geschnitzte und bemalte Figurengruppe einen disziplinierend-erzieherischen Zweck hatte, oder ob darin ein frühes realistisches Zeugnis des Protests gegen die Brutalität des Fiskus erhalten ist, lässt sich heute nicht mehr feststellen.

Auch in der griechisch-römischen Antike spielten Steuern eine zentrale Rolle. Die Kriege, welche vornehmlich der Eroberung von zusätzlichen Territorien dienten, hatten ihrerseits das Motiv, sich zusätzliche neue Steuersubjekte und Steuerobjekte anzueignen, und was die Geschichte als Chronik mehr oder weniger glorreicher Schlachten und Feldzüge überliefert, ist aus dieser Sicht auch ein Stück Steuergeschichte. Wehe den Besiegten, sie wurden das Mittel zum Zweck der Besteuerung, die ihrerseits wieder den Zweck hatte, weitere Feldzüge zu finanzieren und gleichzeitig den Beamtenapparat, das Heer und die Flotte zu alimentieren. Die Staaten, die immer wieder behaupteten, ihr Hauptzweck sei der Friede, waren doch stets in zweierlei Hinsicht auf Kriege angewiesen. Einerseits zur Existenzsicherung des an sich unproduktiven Staatsapparates, welcher die Steuern als Einnahmenquelle braucht und darum als notwendige Sicherheitsprämie begründet, anderseits zur permanenten Erweiterung des Kreises der besteuerbaren Personen und Transaktionen durch Eroberung zusätzlicher Territorien, wenn die bereits eroberten Provinzen bis an die Grenze der steuerlichen Produktivität ausgebeutet waren.

Wenn Krieg herrscht, wird der Staat unter dem Eindruck der totalen Bedrohung zur Schicksalsgemeinschaft, und in dieser Situation gibt es gute Gründe, ihn durch zusätzliche Abgaben vor dem Untergang zu retten. Neue Steuern wurden immer aus der momentanen Not eines Engpasses begründet, und wenn die Not vorbei war, hatte man sich so daran gewöhnt, dass eine Abschaffung nicht mehr in Frage kam. Mit dem Zusammenbruch grosser Reiche wird allerdings auch das Netz der Steuereintreiber unterbrochen.

Als sich nach der Völkerwanderung neue Reiche bildeten, entstanden auch neue Netzwerke der Besteuerung. Die Wurzeln des modernen Kapitalismus befinden sich nicht im Genf Calvins, sondern in Genua und Florenz. Es ist kein Zufall, dass eines der bedeutendsten Kunstwerke der Frührenaissance, die Fresken des Masaccio in der Kirche Santa Maria del Carmine (1424-27) in Florenz die neutestamentliche Szene der Diskussion um die Tempelsteuer darstellt (Matth. 17, 24-27), das Spannungsfeld von Finanzen, Kirche und Staat und die Fragestellung, ob die Mächtigen die Steuern von den Eigenen oder von den Fremden nehmen sollen.

Wirtschaftliche Globalisierung ist keine neue Erscheinung, und sie ist engstens mit einem grenzüberschreitend funktionierenden Bankwesen verknüpft. Dass eine ökonomische Globalisierung auch zu einer politischen Globalisierung und schliesslich zu einer Globalisierung der Steuersysteme führen kann, ist einer der beunruhigenden Perspektiven dieses Prozesses. Die Geschichte der Ausbeutung der produktiven Menschen durch den notorisch unproduktiven Fiskus ist noch in vollem Gange und wird noch weitere Höhepunkte und Tiefpunkte erleben. Der Steuerstaat ist aus dem Kriegs- und Beutestaat hervorgegangen, und der tendenziell friedliche Wohlfahrtsstaat hat aus dieser Sicht keinen guten Stammbaum.

Wirtschaftsgeschichte, Kriegsgeschichte und Steuergeschichte sind aufs engste miteinander verknüpft. Das kann anhand der Entstehungsgeschichte des modernen Kapitalismus illustriert werden. In Genua und in Florenz entstanden die ersten grossen Bankhäuser. Bemerkenswert ist der rasche Aufstieg des neuen Geschäfts mit vielfältigen Finanzdienstleistungen, die trotz mittelalterlichem Zinsverbot mit “aktiver Duldung” der Kirche erfolgte. Zwischen den Gründungen im 13. und der ersten grossen Blüte im 14. Jahrhundert liegt nur eine Generation. Einer der Gründe ist der Mangel an Edelmetall und das grosse Transportrisiko. Die weltlichen und kirchlichen Machthaber waren auf Steuern und Ablassgelder angewiesen, um ihren Hof, ihre Heere und Flotten, ihre Bauten und ihre Kreuzzüge zu finanzieren. Dazu brauchte es Kapital, und dieser Kapitalbedarf liegt an der Wurzel des modernen Kapitalismus, und nicht der sog. «kapitalistische Geist» des Calvinismus.

Der Kapitalismus und das Bankgewerbe als notwendige Infrastruktur ist durch den staatlichen und kirchlichen Abgabenhunger vorangetrieben worden. Der Bedarf an Abgaben war durch Naturalien nicht mehr zu befriedigen, Waren mussten schliesslich gegen Geld getauscht werden, und dazu brauchte es die Vermittlung von Kreditinstituten. Die Florentiner Banken standen in direktem Verkehr mit Steuereintreibern und Ablasshändlern, gaben Kredite, und kauften Wolle für ihre Textilindustrie, bezahlten dann die kirchlichen Auftraggeber mit dem Erlös der Tuche und kassierten von den Päpsten eine hohe Provision. Der päpstliche Auftrag, für ihn Geld einzuziehen, war ein gutes Geschäft und man konnte den Preis für das vorgestreckte Kapital und die damit verbundenen Dienstleistungen als Gebühr bezeichnen, die nicht unter das Zinsverbot fiel. Die verwandtschaftlichen Bande der Medici-Bankiers und der Medici-Päpste ist wohl mit ein Grund für die zwar einträgliche aber auf die Dauer nicht haltbare Kombination von Religion, politischer Macht und Kommerz, welche schliesslich die Reformation auslöste. Die Reformation ist also nicht als Ursache des aufkeimenden Kapitalismus zu deuten, sondern als eine Reaktion darauf.

Nicht nur die Reformation, auch die Befreiung der Kolonien kann im grösserEn Rahmen der Steuergeschichte gesehen werden. Geschichte ist ein permanenter Versuch der mächtigen, zunehmend Unproduktiven, von den mehr oder weniger ohnmächtigen Produktiven Steuern einzutreiben, – ein Versuch, zusätzliche Steuern zu erheben einerseits, und ein Versuch, sich wirksam dagegen zu wehren anderseits. Die Geschichte der Staatenwelt ist zwar nicht nur, aber doch in hohem Mass, eine Geschichte der Besteuerung und des Steuerwiderstands.

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