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Reform des Gesundheitswesens durch Entflechtung von Gesundheits- und Sozialpolitik

Lesedauer: 5 Minuten


(Nebelspalter, 6. September 2023)

Steigende Ansprüche im Gesundheitswesen verlangen nach einer Reform.

Natalie Rickli hat eine notwendige Diskussion angestossen. Der Vorwurf, sie hätte ja als kantonale Gesundheitsdirektorin selbst ein Reformprogramm im grundsätzlich kantonalen Gesundheitswesen anstossen und anpacken können, ist nicht gerechtfertigt. Die dringend notwendige Reform des Gesundheitswesens und seiner Finanzierung wird dadurch erschwert, wenn nicht sogar verunmöglicht, dass sich alle dafür Verantwortlichen in Bund, Kantonen, Gemeinden, Krankenkassen und Berufsverbänden gegenseitig die Schuld an der Kostensteigerung zuschieben und gleichzeitig niemand den Mut hat, darauf hinzuweisen, dass Gesundheit ein wertvolles Gut ist, das seinen Preis hat.

Wachsende Ansprüche

Diesen Preis kann man angesichts qualitativ und quantitativ wachsender Ansprüche nicht einfach grenzenlos auf andere abschieben. Darauf hat auch Bundesrat Berset hingewiesen, der zu Recht eine «Opfersymmetrie» anstrebt, aber zu wenig darauf aufmerksam macht, dass Gesundheit ein hohes Gut ist, das eben für alle seinen Preis hat, den man nicht einfach durch Verstaatlichung auf eine undefinierte «Allgemeinheit» abschieben kann.

Soviel zum diffusen Ärger über steigende Gesundheitskosten und das Hin- und Herschieben der diesbezüglichen Verantwortung. Das Prinzip: «Ich will mehr und immer Besseres, und die andern sollen das bezahlen» gerät auch bei der Gesundheit an seine Grenzen, und die Gefahr, dass in einem komplexen Umverteilungskuchen, letztlich die Falschen profitieren, ist nicht von der Hand zu weisen.

Es gilt die Devise: «Mehr Eigenverantwortung, weniger Staat»

Jene Gesundheitsökonomen, die eine Rationierung für unvermeidlich halten, sind ernst zu nehmen. Fragt sich nur, ob eine individuelle Selbstrationierung an einem frei zugänglichen Versorgungs- und Versicherungsmarkt nicht einer kollektiv erzwungenen Zwangsrationierung in einem zentralstaatlichen Gesundheitswesen vorzuziehen sei. Aus freiheitlicher Sicht ist eine Analyse anzustreben, die den Besonderheiten der Gesundheitsversorgung und der Sozialpolitik mit je adäquaten gezielten Mitteln gerecht zu werden versucht. Dabei gilt die Devise: «Mehr Eigenverantwortung, weniger Staat», auf allen Ebenen.
Dazu zwei grundsätzliche Überlegungen

Erstens: Eine freiheitliche Gesundheitspolitik soll nicht gleichzeitig auch noch sozialpolitische Ziele verfolgen wollen.

Gesundheit und Krankheit einerseits und Reichtum und Bedürftigkeit andererseits sind ihrem Wesen nach unterschiedliche Problemkreise.

Im Gesundheitswesen wird an eine Solidarität der Gesunden mit den Kranken appelliert. Diesem Gedanken wird durch ein privates Netzwerk von Krankenversicherungen Rechnung getragen, die auf einer unter den Mitgliedern frei gewählten Solidarität beruhen. In der Schweiz ist dieses Verhältnis durch ein Versicherungsobligatorium und einen umfassenden Pflichtleistungskatalog überreguliert. Durch den Solidaritätsgedanken ist es eng mit einer Sozialpolitik verknüpft, in der die Vermögenden von Staates wegen zu einer Solidarität mit den Bedürftigen verpflichtet werden. Selbstbestimmte Solidarität hat mit Zwangssolidarität allerdings nur den Begriff gemeinsam. Zwischen den beiden Konzepten klaffen Welten, weil freiwillige Solidarität durch Zwang nicht vermehrt, sondern vermindert wird. Ein Gesundheitswesen das zu eng mit einem Versicherungszwang und sozialer Umverteilung verknüpft wird, riskiert, dass die Umverteilung zunehmend auch an Begüterte geht und damit ihr Ziel verfehlt.

Kein Ausschluss aus finanziellen Gründen

Das ursprüngliche Motiv der Verknüpfung von kantonalem Gesundheitswesen und eidgenössischem Sozialwesen ist nachvollziehbar. Niemand soll aus finanziellen Gründen von der ärztlichen Grundversorgung ausgeschlossen werden. Dies hat historisch zunächst dazu geführt, dass Spitäler als religiöse und karitative Institutionen ohne wirtschaftliche Motive gegründet und betrieben wurden. Sie sind als soziale Institutionen zugunsten der ärmeren Bevölkerung entstanden und haben sich erst später zu medizinischen Behandlungszentren für alle entwickelt.

Schrittweise hat sich eine an die Armenfürsorge anknüpfende Sozialpolitik zu einer Politik gewandelt, in der es als Zumutung an die Bedürftigen empfunden wird, einen Bedürftigkeitsnachweis zu erbringen. Wer staatliche Unterstützung beansprucht, sollte aber den Nachweis erbringen, dass er die dafür genannten Bedingungen erfüllt. Entgegen dieser Grundregel hat man in den meisten Ländern Europas, auch in der Schweiz, ein zentralstaatliches, nicht personenbezogenes Umverteilungssystem etabliert, das von allen an alle umverteilt, und den Ausgleich über eine progressive Besteuerung anstrebt. Das Resultat ist Zwangssolidarität, in der die ungeniert Konsumierenden, unabhängig von ihrer Bedürftigkeit, zulasten der Vernünftigen, Verantwortungsbewussten profitieren. Die umverteilende Sozialpolitik sollte nicht mit der Giesskanne von allen an alle, sondern nur an nachweisbar Bedürftige umverteilen, sonst wird sie finanziell und auch von der Legitimierung her zum «Fass ohne Boden».

Revision brachte mehr Wettbewerb

Das schweizerische Gesundheitswesen basiert auf einer komplexen Mischung von Verantwortlichkeiten, an denen die pflichtversicherten Individuen, die Krankenkassen und Krankenversicherungen sowie die Gemeinden, Kantone und der Bund teilhaben.

Die im Jahre 1996 in Kraft getretene Revision des Eidgenössischen Krankenversicherungsgesetzes (KVG) brachte mehr Wettbewerb und eine erhöhte wirtschaftliche Selbstverantwortung der Krankenkassen mit sich, löste aber die enge Verbindung von Gesundheitspolitik und Sozialpolitik nicht auf. Das Thema Krankenversicherungsreform bleibt daher auf der politischen Traktandenliste.

Zweitens: Eine Reform sollte auf eine Stärkung der Selbstverantwortung und der Selbstbeteiligung ausgerichtet sein und nicht auf eine letztlich entmündigende zusätzliche Verstaatlichung auf kantonaler oder eidgenössischer Ebene.

Die Krankenversicherung soll in erster Linie die Mündigkeit des Menschen respektieren, die Eigenverantwortung stärken und Spielraum für freie Wahlentscheide lassen. Sie muss auch wirksame Mechanismen zur Kostendämpfung im kollektiv finanzierten Anteil enthalten. Im individuell finanzierten Bereich sollen alle mündigen Menschen in ihre Gesundheitsversorgung und –vorsorge nach eigenen Präferenzen und nach eigener Risikobewertung investieren.

Wohlstand als positive Begleiterscheinung

Da Gesundheit ein hohes, wertvolles Gut ist, sind hohe Gesundheitsausgaben, wenn sie auf privatautonomen Entscheiden beruhen, eine positiv zu bewertende Begleiterscheinung wachsenden Wohlstandes. Kostendämpfung als solche ist kein gesundheitspolitisches Ziel. Gesundheitskosten dürfen und sollen auch im privaten Haushalt ihr Gewicht haben. Solange das Preis/Leistungsverhältnis stimmt, ist gegen steigende Kosten für steigende Qualität nichts einzuwenden. Es ist kein gutes Zeichen, wenn in privaten Haushalten für Mobilität, Freizeitvergnügen und gesundheitsschädigende Genussmittel mehr ausgegeben wird als für die Gesundheit, die man sich als angeblich «öffentliches Gut» gern von Dritten finanzieren lässt. Selbst steigende öffentliche Investitionen in die Gesundheit sind nicht abzulehnen, wenn sie auf einer rationalen kollektiven Entscheidung und auf einem transparenten, nachhaltig praktizierbaren Finanzierungsmodell beruhen.

Zukunftstaugliche Gesundheitspolitik: Trennung mit Sozialpolitik unvermeidbar

Eine zukunftstaugliche Gesundheitspolitik soll aber grundsätzlich von der Sozialpolitik getrennt werden und sich auf das Ziel der Qualitätssteigerung und nicht der Mengenausweitung konzentrieren. Wieviel Umverteilung damit verbunden werden soll, ist eine sozialpolitische und keine gesundheitspolitische Entscheidung.

Der Staat soll lediglich die Rahmenbedingungen setzen, innerhalb denen neue Strukturen non-zentral und in einem Wettbewerb der Experimente unter Privaten und kleineren politischen Einheiten gefunden werden können. Eine für alle und für alle Zeiten ideale Gesundheitspolitik gibt es nicht, aber die schrittweise Verstaatlichung des Gesundheitswesens führt zu einem Qualitätszerfall und zur Rationierung, die letztlich auf Kosten der Minderbemittelten geht.

Zur Person: Robert Nef ist Publizist, Autor und Jurist. Er ist unter anderem Stiftungsratsmitglied des Liberalen Instituts Zürich, das er in der Vergangenheit leitete und präsidierte. Der Publizist war während 20 Jahren (rein ehrenamtlich) Präsident der Stiftung «Ostschweizer Kinderspital». Dieser Beitrag geht auf das Forum Freiheit am 14. Oktober 2020 der Hayek Gesellschaft in Berlin zurück und wurde zum Teil auch auf Medinside publiziert.


Quelle: https://www.nebelspalter.ch/reform-des-gesundheitswesens-durch-entflechtung-von-gesundheits-und-sozialpolitik

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