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Keine Politik zulasten der Jungen

Lesedauer: 10 Minuten

Laudatio für Kaspar Villiger anlässlich der Verleihung des Röpke-Preises 2024 des Liberalen Instituts.

 

Ich beginne mit einem Röpke–Zitat, denn unser Preis heisst ja Röpke-Preis. Röpke war ein bedeutender Liberaler des 20. Jahrhunderts. Er war ein engagierter Gegner des Nationalsozialismus und Mitbegründer der Ordo-Liberalen Freiburger Schule. Er hat den Staat als Ordnungsstifter und als Hort des Rechts befürwortet, aber als umfassenden Daseinsvorsorger und Umverteiler abgelehnt. Ich mag seine Vorliebe für non-zentrale Ordnungsstrukturen, halte aber seine Zuwendung zu herkömmlichen Lebensmodellen für zu konservativ. Es ist eben das Merkmal der Liberalen, dass sie sich im Grundsätzlichen einig sind., vor allem bei dem was sie ablehnen, aber bei den Vorstellungen über die bestmögliche politische Ordnung der Zukunft, gehen sie immer wieder unterschiedliche Kompromisse ein. Das ist ihre Stärke und ihre Schwäche. Wenn zwei Liberale beisammen sind, gibt es mindestens drei Vorstellungen über die bestmögliche Politik.

Das Zitat von Röpke, stammt – nicht zufällig – aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, aber es ist heute aktueller denn je:

„Wenn der Liberalismus die Demokratie fordert, so nur unter der Voraussetzung, dass sie mit Begrenzungen und Sicherungen ausgestattet wird, die dafür sorgen, dass der Liberalismus nicht von der Demokratie verschlungen wird.“
―Wilhelm Röpke

Eine dieser Sicherungen ist die vor 21 Jahren mit grossem demokratischem Mehr vom Schweizer Volk beschlossene Schuldenbremse, die von Kaspar Villiger lanciert und realisiert worden ist. Sie hat bis heute überlebt und steht momentan von verschiedenen Seiten unter – teils grobem – Beschuss.

Vor gut 7 Jahren hat Kaspar Villiger die Laudatio gehalten, als mir die Zürcher Jungfreisinnigen den «Liberal Award» verliehen haben. Ich habe damals von ihm etwas ganz Wichtiges gelernt. Eine Laudatio sollte nie eine Lobhudelei auf eine Person sein, sondern das ins Zentrum stellen, was man an den Leistungen dieser Person besonders schätzt. Kein Anbiedern, aber auch keine unnötige Distanzierung durch Überbetonung von allfälligen und durchaus erwünschten Meinungsdifferenzen.

Gute Politik stellt sich gegen den Trend, und einer der verderblichsten Trends ist die Ausgabenpolitik zulasten künftiger Generationen. Politik zu Lasten der Jungen.

Adam Müller, ein konservativer Staatstheoretiker hat den Staat anfangs des 19. Jahrhunderts wie folgt definiert: «Der Staat ist eine Allianz der vorangegangenen Generationen mit den nachfolgenden, und umgekehrt. …Der Staat ist nicht bloss die Verbindung vieler neben einander lebender, sondern auch vieler auf einander folgender Familien“. Heute geht es um sogenannte sozial- und familienpolitische Projekte, deren Finanzierung massiv in den privaten Finanzhaushalt künftiger Generationen eingreift. Die Sorglosigkeit, wer das alles einmal bezahlen soll ist erschreckend, vor allem weil sie von Parteien propagiert werden, die sich für besonders sozial und familienfreundlich halten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde auch in der Schweiz die AHV nach dem Umlageverfahren eingeführt, das davon ausgeht, dass kommende Generationen zunehmende Finanzlasten problemlos stemmen können, weil sie zahlreicher und produktiver seien – eine Prognose die sich nicht erfüllt hat. Heute wird zunehmend der ganze Staat zu einer Umverteilungs- und intergenerationellen Umverteilungsmaschinerie der gegenwärtigen Egoisten. Die bekannte Schlagerfrage: «Wer soll das bezahlen, wer hat das bestellt? Wer hat so viel Pinke Pinke wer har so viel Geld?» wird heute wie folgt beantwortet: Die Enkel soll’ns bezahlen, der, Opa hat’s bestellt, er verbraucht die Pinke Pinke weil ihm dies gefällt, bzw. weil das seiner Wählerschaft gefällt.

Sparen bedeutet heute nicht mehr «Weniger ausgeben», sondern Ausgaben kompensieren durch höhere Steuern, neue Kostenverteilungsschlüssel und Lockerungen der Schuldenbremse. Mehrausgaben sollen durch Mehreinnahmen kompensiert werden, und diese Mehreinnahmen sollen zunächst durch Entreicherung der Reichen ermöglicht werden. Ohne Rücksicht auf mögliche und wahrscheinliche Folgen. Für ein Anschlussprogramm bzw. Fortsetzungsszenario fehlt die Weitsicht und Einsicht.

Die Sanierung des nicht nachhaltigen Umlageverfahrens in unserer Sozialversicherung, der AHV, ist mit gutem Willen und unter dem Druck der künftigen Schuldenlast möglich. Sie steht auf der Traktandenliste der nächsten 5 bis 10 Jahre, und ein Hinausschieben auf künftige Legislaturen wird immer unmöglicher.
Wenn wir aber den ganzen Staatshaushalt auf eine Umverteilung zulasten künftiger Generationen umgestalten, verletzen wir mitmenschliche Grundsätze, die seit Jahrtausenden in allen Kulturen gegolten haben, schon lange bevor es Staaten im heutigen Sinn (und Unsinn) gab:

«Den Jungen soll es einmal mindestens so gut gehen wie uns, und wenn möglich noch etwas besser.» Das ist ein wesentlicher Bestandteil des Eides, mit dem sich Zeitgenossen gegenseitig verpflichtet haben. Dies ist die Alternative zum heutigen Schlagwort «Après nous le déluge» oder «peace for our time», und was nachher kommt «ist nicht mehr unser Problem». Leider ist der – besonders in der Politik – fatale Satz «Das ist nicht mein Problem» eine der beliebtesten Ausreden.

Es braucht daher warnende Stimmen, die nicht nur gegen einen unvernünftigen Staatsausbau zulasten der Jungen und Noch nicht Geborenen eintritt, sondern rechtzeitig auf einen radikalen Reformbedarf hinweisen. Reformen haben in einer Demokratie nur Chancen, wenn sie langfristig konzipiert sind und die gegenwärtig dominierende Rentnergeneration nicht enteignen. Wer dieser aber zusätzliche Leistungen in Aussicht stellt, betreibt nichts anderes als gefährlichen Sozialpopulismus.

Einem Staat stehen mindestens 5 Finanzierungsquellen offen:

  1. Steuern von natürlichen und juristischen Personen
  2. Zölle
  3. Verkauf von staatseigenen oder enteigneten Rohstoffen, sofern man hat
  4. Einnahmen aus dem Verkauf von Dienstleistungen
  5. Verschuldung

Von Churchill stammt der sarkastische Ausspruch: The power to tax is the power to destroy. Trotzdem ist der sich selbst finanzierende Staat, der auf Zwangsabgaben verzichten kann, noch nicht erfunden.

Die Grundfrage bleibt: Wie kann die Finanzierung des politischen Systems in einer Demokratie, die zum Versprechen nach «Immer mehr für meine Wählerschaft» tendiert, nachhaltig sichergestellt werden?

Nachhaltigkeit ist heute ein politisch attraktives Schlagwort, aber leider blendet man die Forderung in einem der wichtigsten Bereiche aus: Bei der nachhaltigen Finanzierung des Staatshaushalts im Allgemeinen und bei den obligatorischen Renten im Besonderen.

Es braucht hier Transparenz und Begrenzung. Sonst bricht die Finanzierung unter den zunehmenden Forderungen der immer staatsabhängigeren Bevölkerungsmehrheit zusammen. Letztlich geht es um die masslose Forderung «immer mehr für alle», und diese Forderung ist nicht nur in Ökosystemen, sondern auch in politischen Systemen unerfüllbar.

Wer die wachsende und letztlich zerstörerische Macht der Besteuerung bremsen will, hat keine andere Wahl als die einer Bremsung in allen erwähnten Bereichen, eine Bremsung, die letztlich mehr als nur eine interne Verlagerung ist.

Aus liberaler Sicht braucht es nicht nur die Schuldenbremse, sondern die Bremse des generellen Staatswachstums. Eine solche Bremsung ist nur möglich, wenn die politische Zentralmacht als solche begrenzt und reduziert werden kann, und zwar nicht nur durch Gewaltenteilung, sondern auch durch den Wettbewerb zwischen lokalen und regionalen Steuerbefugnissen.

Besteuerung, Verschuldung und Staat hängen aufs engste miteinander zusammen. Aber: Ohne nachhaltige Einnahmen kann kein Staat überleben.

Eine der zentralen politischen Aufgaben, vor denen wir alle stehen, besteht darin, ein nach oben begrenztes Finanzierungssystem zu erfinden, das für den einzelnen steuerzahlenden Bürger den Zusammenhang zwischen öffentlichen Aufgaben und Ausgaben, zwischen Nettozahlern und Nettoempfängern – also Steuerzahlern und Umverteilungsempfängern – nachvollziehbar macht und bei Abstimmungen ein rationales zukunftstaugliches Entscheiden ermöglicht.

Die Schuldenbremse ist ein entscheidender, wichtiger aber nicht hinreichender Schritt. Er schützt vor allem die kommenden Generationen vor einer schrittweisen fiskalischen Enteignung, gegen die sie sich mit demokratischen Mitteln rückwirkend nicht mehr wehren können.

Noch kurz eine Bemerkung zur politischen Terminologie. Sie ist wichtig, weil Politik nicht nur, aber auch ein Kampf um Wortbedeutungen ist.

Was heisst «Sparen»? Landläufig versteht man darunter «Geld auf die Seite legen», Vermögen aufbauen. Der Staat muss aber nicht sparen, er muss weniger ausgeben! Und: Weniger Schulden machen!

Ich benütze abschliessend die Gelegenheit um einen Begriff zu lancieren, der als Gegengift zum populären «kaputtsparen» verwendet werden könnte:

Kaputtfördern.

Wenn wir unseren Staatshaushalt ins Gleichgewicht bringen wollen, müssen wir uns nicht «kaputtsparen».
Wir müssen einfach weniger ausgeben, indem wir weniger mit Staatsgeldern fördern. Staatliches Fördern bewirkt in den meisten Fällen, vor allem wenn es nicht befristet ist Folgendes: Die Geförderten werden zunehmend abhängig von den Fördernden. Ja, Fördern macht förderungssüchtig.

Hören wir innerhalb der Schweiz und weltweit auf mit dem staatsfinanzierten «kaputtfördern», das den Weg zur nachhaltigen Eigenverantwortung und Eigenfinanzierung versperrt.

Die «Förderungsbremse» wäre die beste urliberale Ergänzung zur Schuldenbremse, das grosse liberale Vermächtnis von Kaspar Villiger, für das wir ihn heute in Dankbarkeit ehren!

Zurich, 3 December 2024

No politics at the expense of the young

Laudatory speech for Kaspar Villiger

Let me start with a quote from Röpke, because our prize is called the Röpke Prize. Röpke was an important liberal of the 20th century. He was a committed opponent of National Socialism and co-founder of the Freiburg School of ordo liberalism. He advocated the state as a provider of order and a stronghold of the law, but rejected it as a comprehensive provider of services and redistributor. I like his preference for non-central organizational structures, but I consider his support for traditional models of life to be too conservative. It is the defining characteristic of liberals that they agree on the fundamentals, especially on what they reject, but when it comes to ideas about the best possible political order for the future, they repeatedly enter into different compromises. That is their strength and their weakness. When two liberals get together, there are at least three ideas about the best possible policy.

It is no coincidence that Röpke’s quote is from the 1930s, but it is more relevant today than ever:

‘If liberalism demands democracy, it is only on condition that it is equipped with limitations and safeguards that ensure that liberalism is not devoured by democracy.’
―Wilhelm Röpke

One of these safeguards is the debt brake, launched and implemented by Kaspar Villiger and approved by a large democratic majority of the Swiss people 21 years ago. It has survived to this day and is currently under fire from various sides, sometimes quite severely.

A good seven years ago, Kaspar Villiger gave the laudatory speech when the Zurich Young Liberals gave me the ‘Liberal Award’. I learned something very important from him at the time. A laudatory speech should never be a glorification of a person but should focus on what one particularly appreciates about that person’s achievements. No ingratiation, but also no unnecessary distancing by overemphasizing possible and perfectly acceptable differences of opinion.

Good politics goes against the trend, and one of the most pernicious trends is the policy of spending at the expense of future generations. Politics at the expense of the young.

Adam Müller, a conservative state theorist at the beginning of the 19th century, defined the state as follows: ‘The state is an alliance of previous generations with subsequent ones, and vice versa. … The state is not just the union of many families living alongside one another, but also of many families following one another.’ Today, so-called social and family policy projects are being discussed whose financing will have a massive impact on the private finances of future generations. The carelessness of those who are propagating these policies, who are the very parties that consider themselves to be particularly socially and family-friendly, is alarming.

After the Second World War, the AHV was also introduced in Switzerland according to the pay-as-you-go principle, which assumes that future generations will be able to shoulder increasing financial burdens without any problems because they will be more numerous and more productive – a prediction that has not been fulfilled. Today, the state as a whole is increasingly becoming a redistribution and intergenerational redistribution machine of the current egoists. The well-known question: ‘Who should pay for it, who ordered it? Who has so much money?’ is answered today as follows: the grandchildren should pay for it, grandpa ordered it, he uses the money because he likes it or because his voters like it.

Today, saving no longer means ‘spending less’, but rather offsetting expenditure through higher taxes, new cost allocation keys and loosening the debt brake. Additional expenditure is to be offset by additional revenue, and this additional revenue is to be made possible initially by impoverishing the rich. Without considering possible and probable consequences. There is a lack of foresight and insight when it comes to a follow-up program or continuation scenario.

The restructuring of the unsustainable pay-as-you-go system of our social security, the AHV, is possible with goodwill and under the pressure of the future debt burden. It is on the agenda for the next five to ten years, and postponing it to future legislatures is becoming increasingly impossible.

But if we restructure the entire state budget to redistribute wealth at the expense of future generations, we violate the principles of humanity that have applied in all cultures for thousands of years, long before there were states in the modern sense (and nonsense):

‘One day, young people should be at least as well off as we are, and if possible a little better.’ That is an essential part of the oath by which contemporaries have bound themselves to one another. This is the alternative to today’s slogan ‘Après nous le déluge’ or ‘peace for our time’, and what comes afterwards ‘is no longer our problem’. Unfortunately, the fatal phrase ‘This is not my problem’ is one of the most popular excuses, especially in politics.

Therefore, cautionary voices are needed that not only speak out against an unreasonable expansion of the state at the expense of the young and the not yet born, but also point out the need for radical reform in good time. In a democracy, reforms only stand a chance if they are designed for the long term and do not expropriate the currently dominant generation of pensioners. However, anyone who promises them additional benefits is engaging in nothing more than dangerous social populism.

A state has at least five sources of financing:

  1. Taxes from natural and legal persons
  2. Customs duties
  3. Sale of state-owned or expropriated raw materials, provided one has
  4. Income from the sale of services
  5. Indebtment

Churchill’s sarcastic saying: ‘The power to tax is the power to destroy’ is well known. Nevertheless, the self-financing state that can do without compulsory levies has not yet been invented.

The fundamental question remains: how can the financing of the political system in a democracy that tends to promise ‘more and more for my electorate’ be sustainably secured?

Sustainability is a politically attractive buzzword today, but unfortunately the demand is ignored in one of the most important areas: the sustainable financing of the state budget in general and of compulsory pensions in particular.

Transparency and limits are needed here. Otherwise, financing will collapse under the increasing demands of the majority of the population, who are becoming more and more dependent on the state. Ultimately, it is about the excessive demand for ‘more and more for everyone’, and this demand is unfulfillable not only in ecosystems but also in political systems.

Anyone who wants to curb the growing and ultimately destructive power of taxation has no choice but to apply the brake in all the areas mentioned, a brake that is ultimately more than just an internal shift.

From a liberal point of view, not only is the debt brake needed, but also a brake on general state growth. Such a braking effect is only possible if the political central power as such can be limited and reduced, not only by the separation of powers, but also by competition between local and regional tax powers.

Taxation, debt and the state are closely interrelated. However, no state can survive without sustainable revenues.

One of the central political tasks that we all face is to invent a financing system with an upper limit that makes the connection between public tasks and expenditure, between net contributors and net recipients – i.e. taxpayers and recipients of redistribution – comprehensible to the individual taxpaying citizen and that enables rational, future-oriented decision-making when it comes to voting.

The debt brake is a crucial and important step, but it is not enough. Above all, it protects future generations from a gradual fiscal expropriation against which they can no longer defend themselves retroactively by democratic means.

A brief comment on political terminology. It is important because politics is not only, but also, a battle for word meanings.

What does ‘saving’ mean? It is commonly understood to mean ‘putting money aside’, building up wealth. But the state doesn’t have to save, it has to spend less! And: incur less debt!

Finally, I would like to take this opportunity to introduce a term that could be used as an antidote to the popular ‘save to death’:

destructive funding.

If we want to balance our national budget, we don’t have to ‘save ourselves to death’.
We simply have to spend less by funding less with state money. In most cases, especially if it is not limited in time, state funding has the following effect: the funded become increasingly dependent on the funders. Yes, funding creates a dependency on funding.

Let us put an end to state-financed ‘destructive funding’ within Switzerland and worldwide, which blocks the path to sustainable personal responsibility and self-financing.

The ‘funding brake’ would be the best liberal addition to the debt brake, the great liberal legacy of Kaspar Villiger, for which we honor him today with gratitude!

Mehr zum ganzen Anlass finden Sie hier: https://www.libinst.ch/news/zurueck-zur-selbstverantwortung/
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