(Weltwoche Nr. 29.24)
GELD UND GEIST
Die Schweizer Jungsozialisten wollen hohe Erbschaften abschöpfen. Nichts Neues unter der Sonne.
Robert Nef
Die Geschichte aller Staaten ist zwar nicht nur, aber doch in hohem Mass eine Geschichte der Besteuerung und des Steuerwiderstands, und es ist kein Zufall, dass entscheidende historische Unabhängigkeitsbewegungen und Revolutionen ihren Ursprung in Steuerrevolten hatten.
Zunächst einmal waren Steuern der Tribut, den ein Eroberer von den Eroberten forderte, als Zwangsabgabe für die Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft und für den Schutz vor neuen Eroberern. Sie konnten durch Naturalabgaben, Dienstpflichten oder in Geld abgegolten werden, und weitsichtige Herrscher sorgten dafür, dass die Produktivität, auf der die Steuereinnahmen beruhten, nicht erlahmte und die Kombination von dosierter Herrschaft und Besteuerung auch unter ihren Thronfolgern funktionierte. Bis heute deuten Staatsskeptiker die Steuern als legalisierten und raffiniert dosierten Raub durch die jeweilige Regierung.
Streben nach Glück
Die Besteuerung hat aber nicht nur herrschaftliche, sondern auch genossenschaftliche Wurzeln. Stadt-, Tal- und Dorfgemeinschaften mussten für die gemeinsame Finanzierung ihrer Infrastruktur einen Preis verlangen, den man durch Gemeinwerk oder Geld entrichten konnte und dessen Höhe im Sinn eines «Mitgliederbeitrags» konsensual (in mehr oder weniger demokratischen Genossenschaftsversammlungen) bestimmt wurde. Die Betroffenen und Beteiligten kannten den Zusammenhang von tiefen Steuern und mangelhafter öffentlicher Versorgung und fanden immer wieder Kompromisse zwischen populärer Steuerverweigerung und unpopulärer Steuererhöhung.
Der komplexeste Ursprung der Besteuerung liegt aber anderswo. Es sind die soziokulturell und religiös bestimmten Abgaben, mit denen die religiösen Gemeinschaften ihre kultischen, baulichen und sozialen Aufgaben finanzierten. Die zu diesem Zweck erhobenen Abgaben waren im Graubereich der Freiwilligkeit und des religiösen Zwangs angesiedelt. Sie wurden als «Spenden» im Hinblick auf einen Sündenerlass und als «Eintrittsprämie» für ein besseres Leben nach dem Tod propagiert, und sie spielten bei der Verknüpfung von Kirchen, Staaten und Banken und bei der Entstehung der Geldwirtschaft in Norditalien eine erhebliche Rolle. Diese Verknüpfung von Geld und Seelenheil funktionierte aber in säkularisierten Gesellschaften nach der Reformation und nach der Aufklärung immer weniger. Das Streben nach Glück wurde zunehmend als diesseitige ökonomische Herausforderung an das Individuum und nicht als Spekulation auf ein Seelenheil nach dem Tod gedeutet.
Ausgerechnet dieser dritte ideologische Ursprung spielt aber heute für die Begründung höherer und neuer Steuern eine fatale Rolle. Man will als Politiker «hier auf Erden schon» ein besseres Leben für alle in Aussicht stellen, und die Motive für neue Steuern und Steuererhöhungen sind mit vielfältigen Versprechungen verknüpft. Man will auf politischem Weg das Los der Ärmeren auf Kosten der Reicheren verbessern. Mehr und höhere Steuern werden als Quelle der Finanzierung des umverteilenden zentralen Daseinsvorsorgestaates, als Tribut für «mehr soziale Gerechtigkeit» und – bei den Nettozahlern – auch als Entlastung vor dem Gruppendruck für individuelle, selbstfinanzierte Wohltätigkeit propagiert. Weil die steuerfreundlichen etatistischen Politiker wissen, dass «höhere Steuern für alle» nicht populär sind, gehen sie auf die Suche nach Minderheiten, die sich nicht wirksam gegen diese gezielte Ausbeutung wehren können. Dieses Vorgehen gilt dann als besonders «sozial» und «gerecht».
Der Tod ist ein natürliches Ereignis, das vom Staat als Steuerquelle schon früh entdeckt worden ist.
Zwangsweise Umverteilung wird als politisches Mittel der Neidüberwindung propagiert. Effektiv werden aber dadurch die Neider finanziell von den Beneideten immer abhängiger, und der Neid verschwindet nicht. Die Folge ist ein unstillbarer Hunger nach immer mehr Umverteilung, der zunächst zur zusätzlichen Besteuerung und zu höherer Steuerprogression führt, und wenn diese an ihre Grenzen gelangt, schliesslich durch zusätzliche Staatsverschuldung und Inflation finanziert wird: ein Teufelskreis. Die immer höher Besteuerten können sich nur durch Flucht wehren, und die Fluchtwege werden durch nationale und internationale Steuerharmonisierung und zentralistische Steuerabkommen zunehmend abgeriegelt.
Populärer Neid
Das aktuelle Beispiel für den Versuch, die Staatseinnahmen zu Lasten einer Minderheit zu erhöhen und dazu erst noch das Argument einer sozial erwünschten Umverteilung zu mobilisieren, ist die Initiative der Jungsozialisten für eine progressiv ausgestaltete Erbschaftssteuer für Superreiche. Sie ist in ihren Auswirkungen nichts anderes als eine zwar populäre, aber ungerechte Neidsteuer, die zudem zur Verwirklichung finanzpolitischer und sozialpolitischer Ziele keinen nachhaltigen Beitrag zu leisten vermag.
Erbe, Eigentum, individuelles und gemeinsames Wohlergehen sind in vielfältigster Weise miteinander verbunden. Der Versuch, diese komplexe Verknüpfung durch staatlichen Zwang, insbesondere durch Steuern entweder im Hinblick auf «mehr Gerechtigkeit» oder «mehr Zwangssolidarität», zu beeinflussen, steht immer wieder zur Debatte. Oft steckt dahinter auch einfach der Wunsch nach erhöhten staatlichen Einnahmen durch zusätzliche Steuern, die deshalb politisch konsensfähig sind, weil sie eine Minderheit belasten und eine Mehrheit begünstigen. Allein schon dieser fatale Zusammenhang müsste jene sensibilisieren, die vom Staat nicht nur eine rücksichtslose Mittelbeschaffung im Hinblick auf populäre Umverteilung, sondern auch den Respekt vor minimalen ethisch-moralischen Regeln erwarten. Dazu gehört auch der Schutz von Minderheiten vor der Gier von Mehrheiten und vor ungleichen Zwangseingriffen ins Privateigentum.
Das Argument, eine Erbschaftssteuer für Superreiche betreffe ja nur eine kleine Minderheit, ist besonders zynisch und auch im Hinblick auf die Zukunft gefährlich. Bewilligt eine Mehrheit diesen Zugriff auf grosse Erbschaften, sind zwei Entwicklungen vorauszusehen: Einmal werden die Erträge im gleichen Ausmass schwinden, wie sich jene legalen Ausweichmöglichkeiten etablieren, die wir von anderen Ländern mit hoher progressiver Erbschaftssteuer kennen. Dies wird dazu führen, dass man dann eben sukzessive den Zugriff auch auf kleinere Erbschaften ins Auge fasst. Der Kreis der Betroffenen wird deshalb früher oder später viel weiter gezogen werden. Das sollten sich vor allem jene gut überlegen, die eine Befürwortung der Vorlage erwägen, weil sie ja persönlich unterhalb der jetzigen Limite liegen. Wenn der Dammbruch zugunsten einer nationalen Erbschaftssteuer einmal erfolgt ist, wird es schwer sein, diese Entwicklung politisch zu bremsen. Einmal mehr muss hier an den politischen Grundsatz «Wehret den Anfängen» erinnert werden.
Das Vererben von Vermögen ist eine Transaktion, die durch den Tod eines Menschen ausgelöst wird. Der Tod ist ein natürliches und letztlich nicht zu verheimlichendes Ereignis, das vom Staat als Steuerquelle schon früh entdeckt worden ist. Da die Erben ohne messbare Gegenleistung zu Vermögen kommen, wird die Erbschaftssteuer auch von vielen Liberalen mindestens als «relativ gerechtes» Instrument der intergenerationellen Umverteilung empfunden.
Ein zivilisatorischer Rückschritt
Das ökonomische und soziale Grundproblem der Erbschaftssteuer besteht darin, dass sie gegenüber einem weltweit anthropologisch in der Familie tiefverankerten Ziel, nämlich, dass es der nächsten Generation einmal gleich gut oder besser gehen soll, falsche Anreize setzt. Sie bestraft das generationenübergreifende Vorsorgen und Sparen und die Grundidee, dass das Erbe nicht zum Verbrauch, sondern zur schrittweisen Wohlstandsvermehrung und zum sozialen Ausgleich von Glück und Unglück innerhalb einer langfristig ausgerichteten natürlichen Gemeinschaft dient. Das fürsorgliche private Sparen im Hinblick auf grössere Zeiträume und die treuhänderische Weitergabe innerhalb der jeweils «Nächsten» soll durch die demotivierende, zwangsweise anonymisierende Umverteilung der Politik ersetzt werden. Geschadet wird damit auch einer grossen Gruppe von Menschen mit mittleren Einkommen und Vermögen, die Schritt für Schritt ihre selbstbestimmte Unabhängigkeit verlieren. Umverteilung ist für die Nettoempfänger noch entmündigender als für die Nettozahler. Diese werden zwar entreichert, bleiben aber relativ eigenständig, während alle staatlich Begünstigten zunehmend und unmerklich von der staatlichen Umverteilungsmaschinerie abhängig werden.
Der Staat macht das Gegenteil der vernünftigen Familie. Er lebt auf Pump.
Die auf kollektivem Zwang beruhende Politik erhält gegenüber der auf Tradition und Kultur beruhenden Familie weltweit zunehmend den Vorrang. Der Staat macht aber das Gegenteil der vernünftigen Familie. Er lebt auf Pump. Er verschuldet sich zu Lasten der kommenden Generationen, um sich kurzfristig populär zu machen. Soll nun jene Organisation namens Familie, die sich ökonomisch und sozial vernünftig und nachhaltig verhält, von jener Organisation namens Staat, die sich verschwenderisch, sozial schädlich und ökonomisch demotivierend verhält, zunehmend durch Steuern zwangsweise zur Kasse gebeten werden? Das ist ein zivilisatorischer, ökonomischer und sozialer Rückschritt.