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Wirklichkeit als Wunder

Lesedauer: 4 Minuten

(26.11.2005)

Robert Nef – Präsident der Stiftung für Abendländische Ethik und Kultur

Begrüssung anlässlich der Preisverleihung an Fredi Murer

Lieber Preisträger Fredi Murer
Lieber Theo Gheorgiou
Lieber Laudator Alex Bänninger
Liebe Mitfeiernde und Gäste

Die Begrüssungsansprache an unserer Preisverleihung hat traditionellerweise mindestens zwei Funktionen. Es geht darum, den festlichen Rahmen zu eröffnen und gleichzeitig ein paar Worte zum Preisträger und zum Preisverleiher zu sagen. Die festliche Eröffnung hat Theo Gheorgiou mit der Hilfe von Mozart oder Mozart mit der Hilfe von Theo in schönster Weise bereits vorweggenommen. Ganz herzlichen Dank. Mit unserem Preisträger wird sich die nächste Ansprache eingehend befassen. Es bleibt mir also die angenehme Pflicht, Ihnen die Stiftung für Abendländische Ethik und Kultur, die Gastgeberin dieses festlichen Anlasses, kurz vorzustellen.

Es gehört zu den schöneren Aufgaben im Leben, einen Preisträger auszuwählen und ihm den Preis zu überreichen. Noch schöner ist lediglich das Empfangen eines Preises, wenigstens von jenem Moment an, wo man auch die obligate Kurzansprache und den Stress des Gefeiert-Werdens hinter sich gebracht hat. Preisverleihungen sind ja immer auch eine Art Tauschgeschäft. Eine Institution ehrt einen ihr nahe stehenden Preisträger und dieser Preisträger ehrt wiederum diese Institution indem er sich in ihrem Umfeld zeigt und damit etwas vom eigenen Glanz zurückstrahlen lässt.

Heute funkeln im Glanz der Preisstifterin gleich zwei Sterne mit, Fredi Murer, den wir für sein Filmschaffen ehren und Theo Gheorgiou, ohne den es den heutigen Anlass – mindestens in dieser Form – nicht gäbe.

Es gehört zur Tradition unserer Preisverleihungen, gewissermassen zu unserer internen Ethik und Kultur, die vielleicht auch im besten Sinn «abendländisch» ist, dass wir sie mit Musik einrahmen. Mit Theo Gheorgiou haben wir gleichzeitig auch den Hauptdarsteller des neuen Films von Fredi Murer unter uns – ein glückliches Zusammentreffen. Wir hätten ja eigentlich den Anlass auch in einem Kino durchführen können, aber ich hoffe, es habe sich gelohnt, dass wir die technischen Einrichtungen für das Zeigen von Filmausschnitten hier als neuzeitliche Zutat im kleinen Saal der traditionsreichen Tonhalle eingefügt haben. Diese Überbrückung von zwei unterschiedlichen Formen der Kulturvermittlung, die eine gehört zum 19. Jahrhundert, die andere zum 20. Jahrhundert, hat durchaus etwas Symbolisches. Auch wir möchten den Staub der Vergangenheit immer wieder abschütteln und die Augen vor der technischen Entwicklung nicht verschliessen.

Wir haben im letzten Jahr im Stiftungsrat eingehend über unseren Namen diskutiert, über unser Erscheinungsbild und unseren öffentlichen Auftritt. Den ursprünglichen Namen «Stiftung für Abendländische Besinnung» haben wir ganz sanft renoviert und in «Stiftung für Abendländische Ethik und Kultur» umgetauft.

Nicht dass der heutige Stiftungsrat etwas gegen «Besinnung» hätte, aber wir wurden immer wieder mit dem Missverständnis konfrontiert, dass die Stifter, Herr Hans und Frau Trudy Jenny eine aktive Einflussnahme auf politische und moralische Gesinnungen in einem ausschliesslich konservativen Geiste beabsichtigt hätten. Um zu zeigen, dass dies nicht stimmt, darf ich hier aus einer Schrift von Hans Jenny einen kleinen Auszug zitieren. Damit bringe ich auch die Dankbarkeit zum Ausdruck, die uns mit den Stiftern und ihrer Familie verbindet und uns auch eine dauernde Verpflichtung bleibt:

«Die STAB sieht in der Pflege der kulturellen Identität ein Mittel zur Erhaltung der ethnischen Mannigfaltigkeit. Die Wahrung der eigenen Wesensart unter gleichzeitiger Toleranz fremder Kulturen ist auch ein Mittel zur Vermeidung von ideologischem Extremismus».
Wird hier nicht in Worten eine Botschaft ausgedrückt, der wir auch im Filmschaffen von Fredi Murer immer wieder begegnen? Die Abendländische Ethik und Kultur lebt ja von einer immer wieder neuen Verknüpfung von Tradition und Innovation und was könnte dies besser zum Ausdruck bringen als ein dreizehnjähriger Pianist, der des Werk eines Komponisten interpretiert, der vor 250 Jahren geboren wurde und der uns dabei spüren lässt, wie nahe er ihm steht, und ein Preisträger, dessen Werk auf der technischen Vermittlung von bewegten Bildern, nämlich auf dem Film beruht: Tradition und Innovation.

Unsere Stiftung hat dieses Jahr auch den Schritt ins elektronische Zeitalter vollzogen und wir sind ab letzter Woche auch unter www.stab-ch.org erreichbar. Auch die Technik gehört zur Abendländischen Kultur und sie hat sogar einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass wir heute nicht mehr vor einem allfälligen Untergang zittern müssen, sondern als Schweizer, Europäer und Weltbürger zwar nicht euphorisch aber doch recht zuversichtlich in die Zukunft blicken. Ich habe mich im Lauf der Diskussion um unseren Stiftungsnamen überzeugen lassen, dass man zum Begriff Abendland nicht automatisch den Begriff Untergang assoziieren muss.

Ich darf hier ein weiteres Zitat anführen, das von einem der beiden letztjährigen Preisträger stammt, von Reiner Kunze:

«Dass das Abendland nicht untergeht, ist nicht das Verdienst von Leuten, die seinen Namen verantwortungslos im Munde führen, sondern von Bürgern mit Zivilcourage».

Der Film gehört zweifellos zur abendländischen Ethik und Kultur und es war höchste Zeit, dass wir neben Schriftstellern, Forschern, Professoren, Dirigenten und Schauspielern auch einen Filmemacher auszeichnen.

Die Herstellung eines Films verbindet Kunst und Technik in subtilster Weise. James Monaco legt uns in seinem Buch «Film verstehen»(dt. Übersetzung, Reinbek bei Hamburg 2000) folgendes nahe:

«Die Technik und die Ästhetik des Films sind eng verknüpft: Wohin die eine zieht, muss die andere folgen. Deshalb ist auch ein genaues Verständnis der technischen Grenzen und Abhängigkeiten notwendig, ehe man sich der Gedankenwelt der Filmästhetik zuwendet.» (S. 150)

Ein Film besteht ja aus einer Aneinanderreihung von Einzelbildern, die in rascher Folge gezeigt werden und damit einen Zeitablauf protokollieren. Die Überlieferung von Zeichen und Bildern hat damit eine neue Dimension bekommen. Das sollte alle, denen Traditionen wertvoll und wichtig sind, und ich zähle mich auch dazu, mit Optimismus und Freude erfüllen.

Das Informationszeitalter, in dem elektronische Medien wie Film, Video und Fernsehen eine zentrale Rolle spielen, eröffnet uns neue Chancen, auch im Bereich der Ethik und der Kultur.

Lassen Sie mich abschliessend noch einmal aus dem Buch von James Monaco einen Abschnitt zitieren, der mich als überzeugten Liberalen besonders angesprochen hat:

«Als das Informations-Zeitalter Wirklichkeit wurde und zusätzlich zu Arbeit und Kapital auch das Wissen in die gesellschaftliche Gleichung einging, konnte die Ideologie nicht mehr Schritt halten. Es ist kein Zufall, dass das Aufkommen der Mikrochips mit dem Ende des kalten Krieges einherging, eine Parallele, auf die selbst Michail Gorbatschow einmal hingewiesen hat.» (S. 528).

Fredi Murer gehört zu den Filmschaffenden, die die Verbindung von Technik und Aesthetik aktiv genutzt haben, um auch noch auf andere, viel tiefere Verbindungen hinzuweisen: Von Herkunft und Zukunft, von Bewusstem und Unbewusstem, von Kollektivem und Individuellem, Heimat und Fremde, Wunsch und Realität, Illusion und Wirklichkeit. Aber die Wirklichkeit, so wie er sie erlebt und sieht, steht stets im Mittelpunkt und wird zur Trägerin der künstlerischen Hauptbotschaft. Das ist vielleicht, wenn es so etwas gibt, das typisch Schweizerische an Fredi Murer und dafür sind wir ihm besonders dankbar. Von seinem neuesten Film mit dem Titel «Vitus» dürfen wir heute den Hauptdarsteller miterleben. Fredi Murer wird die Preissumme in dieses Werk investieren. Der Film befasst sich mit der Wirklichkeit, mit jener Wirklichkeit, die hinter jedem sogenannten Wunder steckt und gleichzeitig mit dem Wunder, das in hinter jeder Wirklichkeit verborgen ist. Unsere Stiftung ist stolz, dass wir zu diesem grossartigen Projekt mit seiner tiefen Symbolik wenigstens einen materiellen Beitrag leisten konnten.

Ich darf jetzt Herrn Alex Bänniger, unserem Laudator, das Wort erteilen.


Siehe auch: «Eine im Abendland sehr beliebte Gabe» – Auszeichnung des «Filmers und Zauberers» Fredi M. Murer (NZZ, 28.11.2005)

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2 Gedanken zu „Wirklichkeit als Wunder“

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