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Die Rolle des Unternehmers in der spontanen Marktordnung

Lesedauer: 13 Minuten

(Hayek-Colloquium 2013, 12.-14. September in Obergurgl)

Ich habe die Freiheit einmal als jene Idee definiert, die stets gleichzeitig unendlich bedroht und unendlich resistent ist. Das erstere stellen wir als Realisten fest, das letztere hoffen wir als Idealisten, und dem letzteren gilt auch unser im weitesten und besten Sinn unternehmerisches Engagement.

Ich gehe als Realist davon aus, dass die Ordnung, bzw. die überregulierte, korporatistische Unordnung, in der wir in Europa heute leben, leider recht wenig mit einer «spontanen Marktordnung» zu tun hat.

Als Idealist hoffe ich, dass sich weder die Spontaneität, noch die Freiheit, in der sie wurzelt, je ganz ausrotten lassen. Es ist sogar so, dass ein besonders starker Druck auch starke Gegenkräfte weckt.

Man sollte ganz generell weniger jammern und auch weniger einer «guten alten Zeit» nachzutrauern, die es übrigens gar nie gegeben hat. Entscheidend ist für die Zukunft ein offenes Gespräch, bei dem gegenseitig Erfahrungen ausgetauscht werden, aus denen dann neue Impulse gewonnen werden können für das, was zu verstärken und zu kopieren und was im eigenen Interesse und im Interesse aller zu vermeiden ist.

Freiheit ist als solche unausrottbar, sie ist das, was übrigbleibt, wenn wir uns vom kollektiven Wahn befreien, durch menschliches Wissen und Können die Politik, die Wirtschaft und die Kultur definitiv bestimmen zu können.

Dieser Erkennbarkeits-, Bestimmbarkeits- und Machbarkeitswahn befällt bestimmte Menschengruppen wellenartig, – glücklicherweise nie alle gleich intensiv und nie alle gleichzeitig. Irrtümer wandeln sich, und alte werden durch neue ersetzt, aber auch der Irrtum als solcher ist nicht auszurotten.

Je non-zentraler und je vielfältiger die politischen und ökonomischen Organisationen sind, desto kleiner ist übrigens die Gefahr, dass alle über längere Zeit demselben Irrtum nachrennen.

Der deutsche Dichter Hölderlin hat es so formuliert: «Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.».

Was ist nun die Gefahr und wo liegt das Rettende?

Wird der Mensch frei geboren?

Jean Jaques Rousseau hat die auf den ersten Blick realitätsfremde These aufgestellt, der Mensch werde «frei geboren» und liege trotzdem überall in Ketten. «L’homme est né libre, et partout il est dans les fers. Tel se croit le maître des autres, qui ne laisse pas d’être plus esclave qu’eux.» – Livre I, Chapitre 1.1). «Mancher hält sich für den Herrn der Mitmenschen und ist trotzdem mehr Sklave als sie.» (Vom Gesellschaftsvertrag, Buch I, Kapitel 1)

Rousseau ist der Begründer des radikalen Demokratismus und ist als solcher alles andere als ein Liberaler. Er ist daher nicht mein Lieblingsphilosoph, und er hat mit seinen Schriften weniger aufgeklärt als zu gefährlichen Interpretationen des sogenannten Gemeinwohls verleitet, weil er es als Resultat eines richtigen Gemeinwillens (der volonté générale) deutete. Man sollte ihn aber nicht für sämtliche späteren totalitären Interpretationen und Fehlinterpretationen verantwortlich machen. Er verdient es, sorgfältig studiert zu werden, weil er (damals) neue und gute Fragen gestellt hat und vor allem weil er den Mut hatte, die Realität (und in den «Confessions» auch seine eigene Person) aus der Sicht eines kreativen Dissidenten kritisch und wider alle Konventionen zu beobachten und zu beschreiben.

Wird der Mensch wirklich «frei geboren»? Wer ein neugeborenes Kind beobachtet, stellt spontan fest, dass es zu 100 Prozent von der Zuwendung seiner Umwelt, insbesondere von seiner Mutter (oder von einem Mutterersatz) abhängig ist, und ohne diese biologische und soziale Zuwendung keinerlei Überlebenschancen hat. Es ist alles andere als frei im Sinn von eigenständig, und es ist – entgegen Rousseau – nach der Geburt vollständig an die Notwendigkeiten der Natur und der Kultur angekettet.

Hat Rousseau, der Verfasser des Erziehungsromans «Emil», der seine eigenen Kinder im Findelhaus deponiert hat, die Kinder falsch oder zu wenig beobachtet? Ich meine Nein. Die Phase des totalen Ausgeliefertseins dauert nämlich nicht sehr lange, und der freiheitliche Drang nach Selbständigkeit und Unabhängigkeit bricht schon im ersten Lebensjahr machtvoll hervor. Es gibt gute Gründe zur Annahme, dass der Trieb, möglichst unabhängig zu werden, tatsächlich angeboren ist. In jedem Kind steckt so etwas wie eine natürliche Dissidenz, eine Lust an der Verweigerung. Das «Nein», ist die erste Manifestation der Eigenständigkeit, und mit dem Versuch, andern nicht lebenslänglich auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein, beginnt ein individuelles Lebensunternehmertum.

Sollen alle Lebensunternehmer werden?

Ich verwende bewusst diesen Begriff, weil in einer wirklich spontanen Ordnung das Unternehmertum nicht mehr auf einen besonders mutigen und innovativen Menschentyp beschränkt bleibt, sondern zur Aufgabe eines jeden Menschen wird. Je mehr der Staat unterlässt, und richtigerweise unterlässt, desto mehr muss der Mensch selbst unternehmen. (Ich liebe Wortspiele…)

Die neuere Entwicklungspsychologie hat für diese Herausforderung bereits einen neuen komplizierten Begriff geschaffen: Die Intentionale Selbstentwicklung. (Brandstädter, Jochen (2001). Entwicklung – Intentionalität – Handeln. Stuttgart; Berlin; Köln: Kohlhammer, Seiten 56-61,122-124.)

Ich ziehe den Begriff «Eigenständiger Lebensunternehmer» vor, weil er an einen Menschentypus anknüpft, den es bereits gibt, obwohl ich an mir selbst durchaus Züge der «intentionalen Selbstentwicklung» feststelle.

Ich komme damit zu einer ersten Zwischenbilanz:

Eine spontane Marktordnung ist auf eigenständige Lebensunternehmer angewiesen, die sich im intelligenten Eigeninteresse vertraglich beweglich vernetzen und die bereit sind, grundsätzlich für die Folgen ihres Handelns und Verhaltens die Verantwortung zu übernehmen.

Freiheit entsteht im Prozess des selbstbestimmten Neinsagen – Könnens. Nicht in jedem Fall, sondern im richtigen Moment. Sie basiert auf jener kreativen Dissidenz, die schon beim Kleinkind im Spiel mit dem Werben um Beachtung und Zuwendung und mit dem Drang zur Selbstbehauptung erlernt und erprobt wird. Sorgfältige Beobachter wissen, dass sogenannt «lästige oder ungezogenen Kinder» in erster Linie Beachtung und Aufmerksamkeit finden wollen, wenn schon keine positive, so doch wenigstens negative. Das ist entwicklungspsychologisch zwar gegenüber positiver Zuwendung «second best», aber immer noch besser bzw. lehrreicher als das Ignoriert-werden.

Im Rahmen der Erziehung zum angepassten Menschen wird den Kindern ihre kreative Dissidenz allerdings schrittweise abgewöhnt, zunächst in der Familie (mit einfühlbaren, guten Gründen primär zum Schutz der Eltern, sekundär zum Schutz der Umgebung) und später in der Schule, wo es darum geht angepasste Staatsbürger, Arbeitnehmer und Konsumenten heranzuzüchten.

Warum dieser Abstecher in die Entwicklungspsychologie?

Ich bin überzeugt, dass wir das Wesen einer spontane Marktordnung nur begreifen können, wenn wir über die Ursprünge der Spontaneität und ihre Entwicklungsbedingungen im äussern Rahmen einer Ordnung nachdenken.

Verträgt sich Ordnung mit Spontaneität?

Ist der Begriff «spontane Ordnung» nicht eine Fehlkonstruktion? Entweder ist etwas spontan, oder es hat seine Ordnung, aber beides zugleich?

Hayek war ein sehr sprachbewusster Autor und er hat sich ja auch mit der Sprache als das Resultat einer Entwicklung befasst. Der aktuelle Sprachgebrauch ist das Resultat eines ewigen «Wettbewerbs der Benutzer» auf dem Markt der Allgemeinverständlichkeit. Wer vom allgemeinen Sprachgebrauch bewusst abweicht, riskiert, nicht mehr verstanden zu werden. In ganz seltenen Fällen gelingt es einem Autor, einen neuen Gebrauch zu begründen.

Ich meine, Hayek habe den Begriff «spontane Ordnung» im vollen Bewusstsein geprägt, dass damit ein innerer Widerspruch zum Ausdruck kommt. Dessen sollten sich alle bewusst sein, die darauf eine neue Hayek’sche Dogmatik aufbauen wollen. Hayek ist ein grosser Kritiker der reinen Vernunft, er warnt immer wieder vor einer voreiligen definitiven Erkenntnis und er eignet sich überhaupt nicht als Begründer einer dogmatisch geschlossenen Lehre.

Doch was verstehe ich selbst unter Marktordnung? Normalerweise definieren Neoliberale den Markt als Ort und als Inbegriff jener Tauschprozesse, die sich in einem rechtlichen, d.h. in einem staatlichen Rahmen abspielen. Ohne Rahmenordnung durch einen schlanken aber starken Staat gibt es aus dieser Sicht keine funktionierenden Märkte.

Hayek hat aber immer wieder betont, und ich kann ihm hier gut folgen, dass es schon Märkte gab, bevor es Staaten gab und dass die auf Märkten Tauschenden aufgrund ihres jeweiligen Eigeninteresses ihr eigenes Regelwerk ohne einen Zwangsregulator schrittweise erfinden und weiterentwickeln konnten und auch weiterhin können. Tatsächlich haben sie die Entwicklung und das Durchsetzen dieser Regelwerke in den letzten Jahrhunderten teils unter Zwang, aber teils auch freiwillig dem Staat mit seinem Zwangsmonopol abgetreten.

Wie tragfähig und zukunftsträchtig dies ist, bleibt eine offene Frage.

Die Gesellschaft und das Spannungsfeld ihrer drei Subsysteme

Ich gehe von einem Ordungsmodell aus, das sich bis in die Antike zurückverfolgen lässt und drei Subsystemen unterscheidet: «Staat», «Wirtschaft» und «Gesellschaft» (im engeren Sinn) auch «Sozio-kultur» genannt. Wie jedes Modell ist es eine grobe Vereinfachung dessen, was Hayek «komplexe Phänomene» genannt hat.

Komplexität entsteht im Spannungsfeld verschiedener Kräfte, die grundsätzlich unberechenbar sind und die spontan aufeinander einwirken und einander gegenseitig steuern. Was sich in welchen Krisen oder Engpässen provisorisch oder definitiv durchsetzt, lässt sich nicht prognostizieren.

Hayeks Optimismus beruht auf der Beobachtung, dass sich auf die Dauer nur Ordnungen halten können, die auf traditionell bewährten Prinzipien beruhen, die sich voraussichtlich auch in absehbarer Zukunft auch weiterhin bewährenden. Eines dieser Prinzipien ist die Offenheit im Sinn der permanenten Lernbereitschaft.

Erstens: Der Staat

Wie verhält sich nun der Staat mit seinem Zwangsmonopol zum Prinzip der Offenheit und zum Prinzip der permanenten Lernbereitschaft?

Der Staat ist durch das Monopol des Zwangs und der ihn konstituierenden grundsätzlich erzwingbaren Rechtsordnung charakterisiert. Dieses Monopol generiert Macht, und Macht ist vom Politologen Karl W. Deutsch zutreffend als «die Fähigkeit, nicht lernen zu müssen» umschrieben worden. (In The Nerves of Government (1963), Karl W. Deutsch defined power as an actor’s ability not to have to learn).

Man tut darum gut daran, das Lernen als solches von Organisationen abzukoppeln, die selbst nicht lernen müssen.

Zwang erzeugt zudem Gegenzwang, zerstört die Bereitschaft zur Freiwilligkeit und ist seinem Wesen nach unproduktiv.

Zweitens. Die Wirtschaft

Die Wirtschaft ist durch das Prinzip des Tauschs charakterisiert, der dann stattfindet, wenn die Tauschpartner eine Übereinkunft treffen, einen Konsens erzielen.

Diese Übereinkunft ist punktuell und betrifft lediglich das Tauschgeschäft, d.h. die Tauschenden müssen sich darüber hinaus nicht lieben und brauchen kein breit abgestütztes Verständnis und keine gemeinsamen kulturellen Traditionen.

Wenn einzelne Tauschgeschäfte allerdings wiederholt getätigt werden und übereinstimmend in einen zeitlich strukturierten Rahmen gestellt werden, wird die punktuelle Übereinstimmung zu einer dauerhaften Kommunikation, beispielsweise im Rahmen eines Arbeitsvertrages oder eines Gesellschaftsvertrags oder einer Ehe.

Der wesentliche Unterschied zwischen Wirtschaft und Staat besteht aus liberaler Sicht darin, dass die Wirtschaft darauf aufbaut, was Menschen unternehmen, und der Staat sich (ausserhalb seines Kerngeschäfts «Recht und Sicherheit») auf das Unterlassen konzentrieren sollte. Jeder aktive «Service public-Staat» tendiert nämlich dazu, zu einer Bevormundungsmaschinerie zu werden, die sich selbst immer mehr perfektioniert. Was die Politik zunächst als Dienst definiert und monopolistisch anbietet, wird in der Folge immer mehr zum Beherrschenden. Dies gilt vor allem dann, wenn es nicht dem Wettbewerb ausgesetzt ist. Das Primat der Politik trägt den Keim des Egalitarismus und des Totalitarismus in sich.

Der allgemeinverbindliche Zwang ist für die Förderung des gemeinsamen Wohlbefindens ungeeignet, selbst wenn er von Mehrheiten sanktioniert worden ist.

Wirtschaftlich kreative Menschen sollten mehr unternehmen und der Staat sollte mehr unterlassen, und die politisch Verantwortlichen sollten endlich den subtilen Zusammenhang zwischen diesen beiden gegenläufigen Postulaten zur Kenntnis nehmen.

Kurz: Das Unternehmertum hat die Aufgabe, jenen Bereich, den das staatliche «Unterlassertum» zur privaten Selbstbestimmung offen hält, kreativ und produktiv zu beleben.

Dies steht in z.T. krassem Gegensatz zur heutigen korporatistischen Wirtschaft, die mit allen Mitteln den Zugang zur politischen Macht sucht, pflegt und z.T. auch erfolgreich bewirtschaftet. Die Wirtschaft wird dadurch immer staatsabhängiger, was angesichts der aktuellen Finanzkrise und der potentiellen allgemeinen Legitimationskrise des Staatensystems, vorab von den stark regulierten und damit staatsabhängigen Branchen zu keinem Optimismus Anlass gibt.

Drittens: Die Sozio-Kultur

Ganz kurz noch zum – neben Staat und Ökonomie – dritten Bereich (auch als Subsystem bezeichnet), die Sozio-Kultur, kurz auch einfach «Kultur» genannt. Kultur ist kein Luxus, sondern das Hauptmerkmal und gleichzeitig das Überlebensprinzip des «homo sapiens». Sie beruht auf der Pflege (=cultura) von Tradition, Information und Kommunikation und kann daher vom Bereich der Ökonomie, die ebenfalls durch Kommunikation charakterisiert wird, schlicht nicht sinnvoll abgegrenzt werden.

In der Geschichtsphilosophie des Schweizer Historikers Jacob Burckhard (der die drei Potenzen «Staat», «Religion» und «Kultur» unterscheidet) ist denn auch die Ökonomie (insbes. der Handel) Teil der «Potenz» Kultur. (Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen, Aus dem Nachlass, Basel 1905)

Mit dem an Zwang und Macht orientierten politischen System ist Kultur letztlich unvereinbar, d.h. sie wird als Staatskultur von der Herrscherin zur Magd.

Ein erstes Zwischenresultat: Wenn Lebensunternehmertum in einer spontanen Marktordnung glücken soll, muss es sich vom staatlichen Zwangssystem abkoppeln und dafür eine tragfähige Brücke zwischen Ökonomie und Soziokultur bauen.

«Unternehmen» bedeutet zunächst einmal «eine wertsteigernde nutzbringende Kombination von Geld und Geist organisieren», sei es, dass man eigene Mittel einsetzt oder Geldgeber findet, die gegen Gewinn- und Verlustbeteiligung zu investieren bereit sind. Es geht also um die optimale Kombination von Humankapital mit materiellen Vermögenswerten. Der vom Marxismus dogmatisierte Gegensatz von «Kapital» und «Arbeit» ist daher obsolet geworden, denn die beiden Faktoren lassen sich im wirtschaftenden und tauschenden Individuum nicht sinnvoll isolieren.

Der Faktor Humankapital wird oft unterschätzt und – u.a. als Folge veralteter Erklärungs- ,Bildungs- und Disziplinierungsmuster – auch fehlgenutzt. Der erfolgreiche Unternehmer riskiert, experimentiert, lernt permanent, ist neugierig und robust, weil er Umwelt, Mitwelt und Nachwelt nicht als schicksalshafte Gabe deutet, sondern als Chance und Challenge wahrnimmt.

Lässt sich Unternehmergeist lehren und lernen, oder ist er eine Gabe, die einer zur Elite berufenen Minderheit in die Wiege gelegt wird?

Die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Lebensunternehmertum sind wahrscheinlich bei viel mehr Menschen gegeben, als dies in unseren bevormundenden politischen Strukturen zum Ausdruck kommt. Man könnte sich beispielsweise eine Schule vorstellen, die es den Lernenden durch eine frühe und sinnvolle Kombination von Lernen und praktischer Arbeit erleichtert, ihre persönliche unternehmerische Einzigartigkeit (im Jargon: «unique selling position») schon früh zu erkennen und zu entwickeln.

Die Schule sollte ihren Beitrag dazu leisten, dass die Schüler in die Selbstverantwortung hineinwachsen. Dies kann sie nur unvollkommen, wenn sie einen abgeschotteten Schonraum ausserhalb der Arbeitswelt anbietet, in welchem junge Leute jahrgangsweise kaserniert werden, um sie auf ein braves, passives oder auf ein aktiv forderndes Benutzertum wohlfahrtsstaatlicher Einrichtungen vorzubereiten.

Die heutige Staatsschule ist immer noch eine Schule des Anpassens und des nivellierenden und kontrollierenden Etatismus. Man gewinnt gelegentlich den Eindruck, dass es im Interesse der Kontrollierenden liege, möglichst viele «pflegeleichte» Kontrollierte auszubilden. Dies mag in einer Industriegesellschaft, die auf der disziplinierten und hierarchisch organisierten Tätigkeit einer grossen Zahl von betriebstreuen Fabrikarbeitern beruhte, notwendig gewesen sein. Die flexibleren, vielfältigeren und anspruchsvolleren Herausforderungen einer Dienstleistungsgesellschaft bedürfen aber junger Menschen, die auf ein Kommen und Gehen vorbereitet sind. Darum braucht es möglichst viele, die die Bereitschaft entwickeln, mit ihrem Humankapital unternehmerisch umzugehen.

Dass in einer technischen Zivilisation Eigenschaften wie Präzision, Sorgfalt und Teamfähigkeit überlebenswichtig sind und in keinem Bildungsgang fehlen sollten, ist einleuchtend. Diese Kompetenzen sind aber bei jenen Fachleuten am besten aufgehoben, die sie verantwortungsbewusst und im intelligenten Eigeninteresse erworben haben, ausüben, einsetzen, weiter entwickeln und in einem offenen Arbeitsmarkt bestmöglich anbieten.

Nur ein offener Ausbildungsmarkt ist in der Lage, diese Vorbereitung zu übernehmen. Keine staatliche Selektion, Kontingentierung und Normierung kann auf die Dauer jenen Nachwuchs an Fachleuten garantieren, der die Weiterentwicklung einer technischen Zivilisation sicherstellt. Auch die «Institution Schule» und die «Institution Hochschule» müssen sich dem Unternehmergeist und dem Wettbewerb und der Erfordernis des lebenslangen Weitererlernens öffnen.

Für das Unternehmertum ergeben sich daraus verschiedene mögliche Kombinationen. Der eher seltene Fall besteht darin, dass jemand gleichzeitig über gute Ideen verfügt und über das Startkapital, das es (je nach Branche mehr oder weniger) zur Realisierung braucht. Ist nur diese Person ein wirklicher Unternehmer?

Häufiger ist die Konstellation, dass jemand als Investor zwar finanzielle Mittel hat, die er gern vermehren würde, aber keine eigenen guten Ideen (Humankapital). Er wird auf die Suche gehen, nach einem, der gute nutzbringende Ideen (Humankapital) hat und keine finanziellen Mittel. Er wird als Financier oder Anleger auf einen Markt gehen, in welchem er entweder direkt oder mit Hilfe von beauftragten Spezialisten Erfolg sucht.

Ebenfalls vertraut ist die Situation, dass jemand zwar über gute, nutzbringende Ideen (Humankapital) verfügt, aber kein Startkapital hat. Er wird als Ideenverkäufer auf einen Markt gehen und Financiers oder eine Institution suchen, die an seine Ideen glauben und investieren.

Je arbeitsteiliger nun eine Wirtschaft wird, desto mehr können sich auch die subtilen Such- und Findungsprozesse zwischen Angebot und Nachfrage an verschiedenen Aggregatszuständen von Kapital und Humankapital professionalisieren und zum Gegenstand des Unternehmens werden. Es haben nicht immer dieselben Personen sowohl gute Ideen als auch das Talent zur Organisation und zur Umsetzung, als auch Führungsqualitäten gegenüber einer Belegschaft, als auch die Fähigkeit, Realisatoren und potenzielle Geldgeber produktiv zu verknüpfen. An jeder Schnittstelle gibt es wieder eine unternehmerische Herausforderung. Es gibt also gute Gründe, das Unternehmertum nicht allzu eng zu definieren und den Begriff nicht nur für eine ganz kleine Elite von erfolgreichen, zum Unternehmer geborenen Allround-Patrons zu reservieren.

Was letztlich zählt, ist der Erfolg, und manchmal hat in der Wirtschaft der Erfolg viele Väter und Mütter, und es ist nicht immer so leicht, den wirklich schöpferischen unternehmerischen Akt klinisch sauber zu isolieren und damit die Spezies «Unternehmer» von der Spezies «Nicht-Unternehmer» zu trennen und gewissermassen zwei völlig unterschiedliche Menschentypen zu definieren.

Je arbeitsteiliger eine Gesellschaft wird, desto schwieriger wird es zu unterscheiden, wer nun wem und warum dient und nützt, d.h. wer unternimmt und wer unternommen oder übernommen wird, wer kontrolliert und wer kontrolliert wird. Es gibt mehr als nur einen Markt, und der Wettbewerb beschränkt sich nicht auf geldwerte Güter und Dienstleistungen. Dies bedeutet, dass eigentlich alle Menschen irgendwo und irgendwie unternehmerisch sein können, und sei es auch nur im Hobbybereich. Sport kann sowohl Hobby als auch Beruf sein, und Berufssport kann, wenn wir an Tennis, Rennsport oder Fussball denken, durchaus zu Spitzengehältern führen, die sogar noch über den vielgescholtenen Managerlöhnen stehen. Auch im Show- und Unterhaltungsbusiness werden für Spitzenleistungen Spitzenlöhne bezahlt. Warum eigentlich nicht?

Als Anhänger freier Arbeitsmärkte sollten wir über keine Art des Lebensunternehmertums und der erfolgreichen Selbstvermarktung die Nase rümpfen. Die Fälle, in denen wirtschaftlich erfolgreiche unternehmerische Experimente ihren Ursprung im Hobbybereich hatten, sind übrigens nicht so selten.
Was dann letztlich zum Welt-Spitzen-Unternehmertum wird, ist nicht planbar und auch nicht prognostizierbar.

Als Non-Zentralist träume ich natürlich von einer Welt mit möglichst vielen erfolgreichen Kleinunternehmen. Darum sollten gerade Anhänger des Unternehmergeistes nicht zu exklusiv und zu elitär denken. Gerade wer an Eliten glaubt, darf keine knallharte Linie ziehen, zwischen jenen, die dazugehören und jenen, die das Potential dazu haben. Oder treiben nur Spitzensportler wirklich Sport und spielen nur Spitzenmusiker wirklich Musik? Eigentlich hat in einer freien Gesellschaft nicht nur jeder Soldat den Marschallstab im Tornister. Es kann auch jeder Tellerwäscher eine Karriere zum Grossverdiener starten, und jeder Tüftler hat die Chance, in einer Garage zu experimentieren und später ein Informationsimperium zu gründen. Es ist aber nicht so, dass sich alle, die es nicht an die sogenannte «Spitze» schaffen, als Versager fühlen müssen. Was wahr ist, was schön ist und was gut ist, lässt sich nicht allgemeinverbindlich und von Staates wegen definieren und auch nicht auf einer Lohnskala bewerten. Jeder Mensch hat die Möglichkeit, sich an den von ihm selbst gesetzten Idealen zu messen und so seinem individuellen «Unternehmensziel» näher zu kommen. Nur eine Vielfalt der Lebensmuster, und eine Vielfalt der Chancen, kann einer Vielfalt möglicher Zielsetzungen unterschiedlicher Individuen und Gruppen gerecht werden. Je vielfältiger und non-zentraler eine Gesellschaft ist, desto vielfältiger werden auch die Herausforderungen, die Angebote und die Arten der Kompensation, die nicht nur in Geld, sondern auch in Wertschätzung, Anerkennung und Befriedigung gemessen werden sollten.

Unternehmertum in der Dienstleistungsgesellschaft

Die Erkenntnis, dass der Unternehmer in einer kapitalistischen Gesellschaft eine zentrale Funktion wahrnimmt, ist in keiner Weise überholt. Das Unternehmertum hat gerade in einer hoch arbeitsteiligen technischen Zivilisation, in der spezialisierte Dienstleistungen gefragt sind, nicht ausgespielt. Im Gegenteil.

Schumpeters pessimistische Voraussagen von einem Bedeutungsverlust des kreativen Individuums und von einem unvermeidlichen Übergang zu einer technokratischen und zentral verwalteten Wirtschaft und Gesellschaft haben sich glücklicherweise nicht – oder wenigstens nicht voll – bewahrheitet. (Joseph A. Schumpeter (1911), Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Neuauflage Berlin 1993). Wir sind allerdings noch weit davon entfernt, eine optimale Kombination von einer unternehmerischen Wirtschaft und einem kulturell und ökonomisch «unterlasserischen» Staat gefunden zu haben.

Patrick Adenauer, der frühere Präsident des Bundes der Familienunternehmer, hat im «Handelsblatt» vom 9. September 2013 den vom Marburger Ökonomen und Träger der Hayek Medaille Alfred Schüller geprägten Begriff «professioneller Knappheitsüberwinder» neu lanciert. Es ist höchste Zeit, dass Schumpeters inzwischen zu Tode zitierter kriegerischer Macho-Begriff vom «schöpferischen Zerstörer» endlich durch eine freundlichere und zutreffendere Charakterisierung ersetzt wird: «Unternehmer sind professionelle Knappheitsüberwinder. Lassen wir Sie zum Zuge kommen in einer Welt zunehmender Knappheiten! Von Privatisierung haben alle etwas. Der Staat durch finanzielle Entlastung. Der Bürger, der Leistungen im optimalen Kosten-Nutzen-Verhältnis erhält. Und die Unternehmen, die Jobs und Einkommen generieren.»

Ich ziehe den Begriff «Eigenständiger Lebensunternehmer» sowohl dem bereits erwähnten entwicklungspsychologischen Begriff des «intentionalen Selbstentwicklers» von Jochen Brandstädter als auch dem Begriff des «professionellen Knappheitsüberwinders» von Alfred Schüller vor. Der «eigenständige Lebensunternehmer» verbindet psychologische, politische und ökonomische Aspekte und knüpft an einen realitätsbezogenen Menschentypus an, selbst wenn der direkte Bezug zum «homo oeconomicus» unter Intellektuellen nicht allgemeine Zustimmung findet.

Ich komme zu den Schlussfolgerungen

Erste Schlussfolgerung:

Die spontane Marktordnung ist auf eigenständige Lebensunternehmer als professionelle Knappheitsüberwinder angewiesen, die sich im intelligenten Eigeninteresse vertraglich beweglich vernetzen und bereit sind, grundsätzlich für die Folgen ihres Handelns die Verantwortung zu übernehmen.

Zweite Schlussfolgerung:

Die Voraussetzungen für ein erfolgreiches eigenständiges Lebensunternehmertum werden in der Familie und im Bildungswesen geschaffen. Die Bildung ist eine zu wichtige Sache, als dass man sie dem Staat überlassen dürfte. Das Bildungswesen muss schrittweise in von der regulierenden, intervenierenden und zwingenden Staatsordnung in die spontane Marktordnung hinübergeführt werden.

Dritte Schlussfolgerung

Je klarer der Trennstrich zwischen kollektiv zwingender Staatsordnung und individuell spontaner Marktordnung gezogen wird, desto mehr müssen die Grenzen zwischen Ökonomie und Kultur durchlässig werden. Die Kultur muss nicht zum grossen Geschäft werden, sondern das Geschäft wird dann nachhaltig und gross, wenn es sich in den Dienst der Kultur stellt.

Vierte Schlussfolgerung:

Kultur kann als Dienst am Wahren, Schönen und Guten verstanden werden, drei Bereiche in denen die Nachfrage nie erschöpft sein wird. Zum Schönen und Guten zähle ich übrigens nicht nur die hohe Kunst die in Museen, Konzertsälen und Opernhäusern vermittelt wird, sondern die auch die Kunst, das Leben im Alltag sinnvoller, friedlicher, gesünder, spannender, ästhetischer, angenehmer und genussvoller zu gestalten.

Und nun zur Quintessenz:

Braucht eine spontane Marktordnung ein «zähmendes Prinzip», das sie aus sich selbst heraus nicht entwickeln kann. Braucht es den Staat und sein Zwangsmonopol um den (angeblich) tendenziell «wilden Markt» zu zähmen? Ich wage ein entschiedenes Nein!

Die Kultur und nicht der Staat soll die Märkte dort zähmen, wo sie – entgegen dem langfristigen Eigeninteresse der Beteiligten– lediglich dem persönlichen materiellen Gewinnstreben einer Sondergruppe dienen. Der »homo oeconomicus» hat, wenn er sich von den Staatskrücken schrittweise befreit hat, nur dann eine Überlebenschance, wenn er Prinzipien wie Nachhaltigkeit, Sorgfalt und Pflege integriert und sich ohne Zwang zum «homo oeconomicus cultivatus» weiter entwickelt.

Weil sich das langfristig auch ökonomisch lohnt, und weil Lohnendes auf die Dauer erfahrungsgemäss nicht brach liegt, bin ich auf lange Sicht durchaus optimistisch.

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