Zum Inhalt springen

Vom Geldwechsler zum Bankier – Das Bankwesen

Lesedauer: 5 Minuten

in: Meilensteine der Menschheit, Verlag F. A. Brockhaus, Leipzig 1999, S. 122ff.

Florenz – Ursprung des Bankenwesens

«Florenz ist der vollständigste Spiegel des Verhältnisses von Menschenklassen und einzelnen Menschen zu einem wandelbaren Allgemeinen.»
Jacob Burckhardt

Der moderne Kapitalismus hat seine Wurzeln in Italien. Geld und Kredit gab es zwar schon im alten Rom und im indischen, chinesischen sowie im islamisch-arabischen Kulturraum. Mit dem Niedergang des Weströmischen Reiches in den Wirren der Völkerwanderung verkümmerte aber der Geldverkehr und das Kreditwesen bis auf kleinste Nischen. Unter Karl dem Grossen wurde das Münzwesen reformiert und es entstand in der Zeit der Kreuzzüge eine Art «Frühkapitalismus» bei welchem der Geld-und Kreditverkehr durch die Belebung eines grenzüberschreitenden Handels an Bedeutung gewann. Die Bezahlung von Waren mit fremden Münzen führte zum Bedürfnis nach dem Einwechseln in die orts-bzw. landesübliche Währung. In den italienischen Handelszentren wie Genua, Mailand und Venedig schlugen professionelle Geldwechsler ihre Bänke auf, die man «Banchieri» nannte. Diese Geldwechsler expandierten im zwölften Jahrhundert ihr Geschäft nach Frankreich und bis in den Norden und Osten Europas, wo man sie nach ihrer Herkunft «Lombarden» nannte. Noch heute erinnert die aus dem Italienischen stammende Terminologie (Lombard-Kredit, Saldo, Agio, Storno) an den italienischen Ursprung des Bankwesens. Die ersten «Banchieri», welche ihre Dienste auch auf Depots und Kredite und eigentliche Beteiligungen (in Kombination mit dem Tuchhandel auf den Märkten der Champange) ausdehnten, sind um 1200 in Genua nachweisbar, doch blieben ihre Aktivitäten beschränkt. Die Wiege des modernen europäischen Bankwesens, das ein eigentliches grenzüberschreitendes Netzwerk betreibt, befindet sich in Florenz.

Warum ausgerechnet Florenz?

Die Frage nach dem «Warum?» führt in der Geschichte selten zu einer klaren und eindeutigen Antwort. Entscheidend sind meist höchst komplexe Konstellationen von topographischen, ökonomischen, technologischen, politschen und sozio-kulturellen Gegebenheiten und kreativen Einzelpersönlichkeiten. Florenz war keine Hafenstadt. Ihr zunächst bescheidener Wohlstand beruhte auf dem Handwerk und speziell auf der Webkunst und der Textilveredelung, die ein Netzwerk von Importen und Exporten benötigt, das seinerseits mit raffiniertem technischem Know-how und mit dem Sinn für Qualität und Aesthetik verbunden sein muss. Die Florentiner Textilindustrie beruht übrigens auf Traditionen, die seit der Antike nie völlig unterbrochen wurden, eines der wenigen Beispiele kultureller und technologischer Kontinuität zwischen Antike und Mittelalter. Die Kombination von Handel und Seefahrt mag zwar, wie Venedig und Genua belegen, den Unternehmergeist und die kurzfristige Spekulations- und Risikofreude anstacheln, die im Bankgeschäft wichtige Komponente der qualitätsbewussten langfristig angelegten Vertrauensbildung entsteht aber nur in Verknüpfung mit einer beharrlich über Generationen hinweg gepflegten handwerklichen Qualitätskultur. Nur ein über die Dauer berechenbares Geschäft ermöglicht es, Risiken zu verteilen und das Kapital in einem rationalen Verhältnis zu den Gestehungskosten und dem Verkaufspreis gewinnbringend einzusetzen. Banken leben von ihrem Ruf, und ein guter Ruf beruht auf der Fähigkeit, glaubwürdig zu sein und zu bleiben. Banken sind möglicherweise nichts anderes als eine Art von Häfen des Kapitalverkehrs, und diese von Menschen geschaffenen Häfen liegen vorzugsweise nicht an den exponierten Küsten der Ozeane. Die Florentiner, «in manchen grossen Dingen Vorbild und frühester Ausdruck der Italiener und der modernen Europäer überhaupt» (Jacob Burckhardt) verstanden es im 13. Jahrhundert, in einer Konstellation von Mängeln und von verschiedenen schwierigen Voraussetzungen, die Gunst ihrer historischen Stunde zu nutzen und in der «Konkurrenz der Stadtstaaten» das zukunftsträchtigste Gewerbe zu entwickeln. Sie setzten – anders als ihre Konkurrenten in Genua und Venedig – auf bescheidene Verdienstspannen und grosse Umsätze, kalkulierten scharf und verzichteten auf allzu hohe Risiken. Die Voraussetzung des Vertrauens schufen sie 1252 mit einer eigenen Währung, dem «fiorino d’oro».

Der «Florin» entwickelte sich zu einer der bedeutendsten Währungen Europas, und er hat mit seinem Kürzel fl. und £ bis in die heutige Zeit seine Spuren hinterlassen. Die Verlässlichkeit des «fiorino d’oro» entspricht dem Kunst- und Qualitätssinn der Künstler und Handwerker und der Verlässlichkeit der florentiner Kaufleute. Folgender Geschäftsgrundsatz, der auch heute noch jedem Firmenleitbild wohl anstehen würde, ist aus dem Florenz des 13. Jahrhunderts überliefert. «Man muss sich dem Geschäftsfreund gegenüber klar und einwandfrei verhalten. Selbst muss man unbedingt zuverlässig bleiben; alle Gefühlsregungen, die sich ein Adliger und ein Landwirt, ob nun Bauer oder Grundbesitzer, erst recht ein Krieger und selbst ein Bettler leisten können, dürfen im Handel nicht geduldet werden. Der Kaufmann darf nie vergessen, dass er schliesslich nur fremdes Gut verwaltet, dass er von fremdem Vertrauen lebt.»(Zit. aus: Ernst Samhaber, Kaufleute wandeln die Welt, Frankfurt/M.1993, S. 111).

«Im Namen Gottes und des Gewinns»

A NOME DI DIO E DI GUADAGNO. Diese Präambel, die man als «Taufspruch» des neugeborenen hochmittelalterlichen Bankwesens bezeichnen könnte, wird erstmals in der Buchhaltung von Castra Gualfredi dei Borghesi aus dem Jahre 1253 bezeugt. Aus Tuchhandel und Geldwechsel entstand im 13. Jahrhundert mit fliessenden Übergängen ein neuer Wirtschaftszweig. In Florenz gab es 1338 über zweihundert Manufakturen die über 70 000 Stück «Florentiner Tuch» herstellten. Textilveredelung und Vermarktung waren auf eine europäisch vernetzte Import-, Export- und Finanzierungsorganisation angewiesen, die sich dann auch für andere Zwecke nutzen liess. Für ihre profitable Verbindung von Geschäft, Religion, Politik und Kunst ist zu Recht die Familie Medici in die europäische Geschichte eingegangen. Die Medici waren nicht nur Bankiers, sondern auch politische Machthaber, Päpste und Kunstmäzene. Ihre 1397 gegründete Bank ist die berühmteste aber nicht die einzige florentiner Bank. Zu seiner Blütezeit kannte Florenz über achtzig Bankhäuser (u.a. die Bardi, Pazzi, Villani, Capponi, Buondelmonti, Corsini, Falconieri, Portonari), die in ganz Italien und in ganz Europa ihre Filialen hatten. Die Niederlassungen der Medici befanden sich in Rom, Neapel, Mailand, Venedig und Pisa, sowie in Genf, Lyon, Avignon, Brügge, Basel und London. Wirtschaftliche Globalisierung ist keine neue Erscheinung, und sie ist engstens mit einem grenzüberschreitend funktionierenden Bankwesen verknüpft.

Der unersättliche Geldhunger der Mächtigen

Bemerkenswert ist der rasche Aufstieg des neuen Geschäfts mit vielfältigen Finanzdienstleistungen, die trotz mittelalterlichem Zinsverbot mit «aktiver Duldung» der Kirche erfolgte. Zwischen den Gründungen im 13. und der ersten grossen Blüte im 14. Jahrhundert liegt nur eine Generation. Einer der Gründe ist der Mangel an Edelmetall und das grosse Transportrisiko. Die weltlichen und kirchlichen Machthaber waren auf Steuern und Ablassgelder angewiesen, um ihren Hof, ihre Heere und Flotten, ihre Bauten und ihre Kreuzzüge zu finanzieren. Dazu brauchte es Kapital, und dieser Kapitalbedarf liegt an der Wurzel des modernen Kapitalismus, und nicht der sog. «kapitalistische Geist» des Calvinismus.

Der Kapitalismus und das Bankgewerbe als notwendige Infrastruktur ist durch den staatlichen und kirchlichen Abgabenhunger vorangetrieben worden. Der Bedarf an Abgaben war durch Naturalien nicht mehr zu befriedigen, Waren mussten schliesslich gegen Geld getauscht werden, und dazu brauchte es die Vermittlung von Kreditinstituten. Die Florentiner Banken standen in direktem Verkehr mit Steuereintreibern und Ablasshändlern, gaben Kredite, und kauften Wolle für ihre Textilindustrie, bezahlten dann die kirchlichen Auftraggeber mit dem Erlös der Tuche und kassierten von den Päpsten eine hohe Provision. Der päpstliche Auftrag, für ihn Geld einzuziehen, war ein gutes Geschäft und man konnte den Preis für das vorgestreckte Kapital und die damit verbundenen Dienstleistungen als Gebühr bezeichnen, die nicht unter das Zinsverbot fiel. Die verwandtschaftlichen Bande der Medici-Bankiers und der Medici-Päpste ist wohl mit ein Grund für die zwar einträgliche aber auf die Dauer nicht haltbare Kombination von Religion, politischer Macht und Kommerz, welche schliesslich die Reformation auslöste. Die Reformation ist also nicht als Ursache des aufkeimenden Kapitalismus zu deuten, sondern als eine Reaktion darauf…

Es ist kein Zufall, dass eines der bedeutendsten Kunstwerke der Frührenaissance, die Fresken des Masaccio in der Kirche Santa Maria del Carmine (1424-27) die neutestamentliche Szene der Diskussion um die Tempelsteuer (Matth. 17, 24-27) darstellt, das Spannungsfeld von Finanzen, Kirche und Staat. Zwei Generationen später, 1498, wird der Mönch und Prediger Savonarola den Florentinern von der Kanzel aus zurufen: «Die Zeremonien die man heute in der Kirche feiert, finden nicht mehr zu Ehren Gottes statt, sondern um des Geldes willen…» Er wurde noch im selben Jahr von den Florentiner Machthabern gehängt und verbrannt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert