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«Gute Küche und Kultur sind immer regional»

Lesedauer: 6 Minuten

(Basler Zeitung, 11. April 2006, S. 8 und 9)

Tagung «Musik muss sein!» am Theater Basel – und ein Interview mit dem
Radikalliberalen Robert Nef

Interview: Sigfried Schibli

Bei der Tagung «Musik muss sein» des Theaters Basel und des Schweizer Fernsehens waren die Lobbyisten der subventionierten Kultur weitgehend unter sich. Für Irritation sorgte der Zürcher Radikalliberale Robert Nef.

Wenn das Theater Basel mit dem Schweizer Fernsehen zu einem Symposium unter dem Titel «Musik muss sein!» lädt, darf man schon ein paar gute Argumente zugunsten der Tonkunst erwarten. Et voilà, da waren sie schon am Freitagnachmittag. Der Musikpädagoge Hans-Günther Bastian und der Hirnforscher Lutz Jäncke lieferten solid untermauerte Argumente für das Musizieren und damit auch für die Förderung der Musik in Schule und Gesellschaft. Es gibt inzwischen genügend empirische Studien, die belegen, dass sich Menschen mit musikalischer Praxis besser konzentrieren können, über mehr Sozialkompetenz verfügen und im Alter weniger zu Demenz neigen als Musikabstinenten.

Kontroverser war das Zwiegespräch von Alexander Pereira (Opernhaus Zürich) und Michael Schindhelm (Theater Basel). Zu Diskussionen gaben auch die Statements von Hedy Graber (Migros Kulturprozent), Thomas Gartmann (Pro Helvetia) und Michael Koechlin (Kulturressort Basel-Stadt) Anlass. In ihnen blitzte bei allem Einverständnis etwas davon auf, dass die staatliche Alimentierung der Hochkultur immer wieder zu überprüfen ist und dass ein Automatismus der Subventionierung auch Gefahren birgt. Wer ist für die kulturelle Grundversorgung zuständig, und wer soll das Sahnehäubchen darauf geben? Was sind überhaupt die kulturellen Grundbedürfnisse, wer hat die Definitionsmacht darüber?

Mit Robert Nef vom Liberalen Institut Zürich hatten die Gastgeber auch einen «Agent provocateur» geladen, der ein wenig Sand ins Getriebe der Kulturförderer streute, indem er von «kaputtfördern» und vom Mangel an Konkurrenz in der Kulturszene sprach. Nefs staatskritische Haltung lässt sich im Satz «Kultur ist Sache der Kultur» zusammenfassen. Wir sprachen mit Robert Nef.

baz: Herr Nef, das Theater, in dem wir uns befinden, wird zu 80 Prozent vom Staat subventioniert. Wie fühlen Sie sich in der Höhle des Löwen?

Robert Nef: Wer radikale konsequente Standpunkte vertritt, ist es gewohnt, in der Höhle des Löwen zu sein. Ich versuche eben, mir eine Gesellschaft vorzustellen, in welcher sich der Staat auf seine Kernaufgabe konzentriert.

Was ist die Kernaufgabe des Staates?

Ordnung und Sicherheit und sicher nicht die Kultur! Kultur gab es schon, bevor es den Staat gab, und es wird sie noch geben, wenn es vielleicht einmal keine Nationalstaaten mehr gibt. Mir liegt die Kultur am Herzen, und es erfüllt mich mit Sorge, wenn ich sehe, dass die Kultur sich von einer Organisation abhängig macht, die in absehbarer Zeit nicht mehr, sondern weniger Mittel haben wird.

Was bringt eine Trennung von Staat und Kultur?

Totalitäre Staaten haben immer versucht, ihre Macht zu stabilisieren, indem sie die Kultur an sich binden. Die Kultur konnte sich aber immer dann am besten entfalten, wenn sie möglichst weit von der Macht entfernt war. Es wäre für beide Bereiche besser, wenn die Abhängigkeit geringer wäre.

«Meine Allergie gegen den Staat macht auf lokaler Ebene Halt.»

Ist in einer Demokratie der Begriff Macht überhaupt am Platz?

Ja, es gibt schon Mehrheiten, und das sind nicht diejenigen, die die kulturelle Entwicklung voranbringen. Die Kultur wurde immer von einer Elite vorangebracht. Ich habe nichts gegen die Demokratie, wenn es um die Vereinbarung von Regeln des Zusammenlebens geht. Aber sie eignet sich nicht, um wirtschaftliche Probleme zu lösen, und nicht, um die Kultur zu tragen.

Heute wird überall die Kultur durchgerechnet, man fragt nach Umwegrentabilität und ökonomischem Nebennutzen der Kultur. Da kommen Sie und wollen Wirtschaft und Kultur trennen. Sind das nicht Ideen von gestern?

Manchmal sind die Vorstellungen von gestern eben auch die von morgen! Ich sehe diese Zusammenhänge natürlich auch. Aber mittel- und langfristig glaube ich nicht an die enge Verknüpfung von Wirtschaft, Staat und Kultur, auch wenn sie oft von der Wirtschaftsseite gefordert wird. Ich bin nicht nur für eine Trennung von Staat und Kultur, sondern auch von Staat und Wirtschaft.

Wollen Sie Verhältnisse wie in den USA, wo man Hunderte Kilometer fahren muss, um in ein Theater zu kommen, ist das ihr Ideal?

Ich wünsche mir das nicht. Interessanterweise kommen aber sehr viele lebendige kulturelle Impulse heute gerade aus den USA. Es ist nicht so, dass dort die Kultur tot ist, sie ist zum Teil sogar lebendiger als bei uns, und dies trotz wesentlich schlechterer Voraussetzungen in einem Einwandererland, dessen Gründer ja nicht primär kulturinteressiert waren. Das ist schon erstaunlich. In zwei, drei Generationen wird das Musikleben dort noch aktiver sein als jetzt.

Welche Ansätze meinen Sie?

Ich bin kein Anhänger der Trennung von E-und U-Kultur, obwohl ich persönlich ein typischer DRS-2-Hörer und ein Anhänger der E-Kultur bin. Aber ich denke, wir müssen langfristig diese Art überwinden und zu einem weiteren Kulturbegriff finden, der auch Popmusik, Musicals, populäre Literatur etc. einschliesst. Dadurch entstehen interessante Mischungen. Die Kultur kann nur überleben, wenn sie dem Leben folgt und die Bedürfnisse der Mehrheit der Menschen befriedigt. Davon abgesehen gibt es in Amerika hervorragende klassische Kultur. Das Cliché vom Holzboden für die Kultur und vom kulturlosen Amerikaner ist töricht.

Ihre Demokratieskepsis ist unbegründet. In der Schweiz sind doch immer wieder demokratische Entscheidungen zugunsten der Kultur gefallen.

Als jemand, der aus dem Appenzell stammt, und die Landsgemeinde als Institution kennt, habe auch ich keine grundsätzlichen Vorbehalte gegen die Demokratie. Ich habe nur etwas gegen die massenmedial vermittelte Massendemokratie. Die ist in einem so pluralistischen Staat wie der Schweiz nicht in der Lage, die grossen Aufgaben zu lösen. Meine Allergie gegen Staat und Staatskultur macht auf lokaler Ebene Halt. Stadt ist nicht gleich Staat. Wenn sich eine Stadt zur Förderung ihres Selbstbewusstseins und im Wettbewerb mit anderen Städten eine Picasso-Sammlung oder ein Dreisparten-Theater leistet, dann ist das für mich ein Argument gegen eine nationale Kulturpolitik. Es macht doch keinen Sinn, dass Steuergelder aus Basel nach Zürich fliessen und jemand in Bern darüber entscheidet, was ein Leuchtturm-Projekt ist und was nicht. Jede gute Küche und jede gute Kultur ist regional und lokal. Sie soll von der lokalen Bürgerschaft, die sich face-to-face kennt, getragen werden. Dies meine ich mit dem Satz «Die Kultur ist Sache der Kultur».

Was läuft derzeit zwischen dem Bundesamt für Kultur und der Schweizerischen Museumsgruppe ab?

Man muss da zwei Probleme unterscheiden. Einerseits ist es sehr fraglich, ob es ein Landesmuseum in der Konzeption des 19. Jahrhunderts zur Selbstdarstellung der Nation heute noch braucht und ob Bundesgelder für ein vorwiegend von Zürchern und Touristen besuchtes Museum fliessen müssen. In der Sache bin ich natürlich ganz auf der Zürcher Linie. Ich sehe nicht ein, warum ein paar Leute in Bern darüber entscheiden sollen, welche Ausstellungen in Zürich gezeigt werden.

Nach den 68-Jahren nahm die Kultur einen grossen Aufschwung, auch dank dem staatlichen Engagement.

Mindestens gab es ein quantitatives Wachstum. Auch die Qualität hat sich verändert, und das gefällt mir. Ich versuche aber, von einem musealen Kulturbegriff wegzukommen und zu sagen, es braucht jede Generation und jedes Volk die Kultur, die es eben will. Meine Söhne gehen lieber an Open-Air-Konzerte, ich lieber in die Oper.

Betriebe wie Dreispartentheater sind mit der Zeit nicht mehr finanzierbar.

Ich bin realistisch genug zu wissen, dass die Schweizer Kulturszene eingebettet ist in die europäische Kulturszene, und da können wir allein gar nicht so viel ändern. Aber wir können zum Beispiel sparsamer sein. Ich habe gestern die Basler «Rigoletto»-Aufführung gesehen, die mit einem Minimum an Bühnenbild und Kostümen auskommt. Das Prinzip der Ökonomie und des Sparens ist hier sehr überzeugend angewandt. Und dann muss man sehen, dass die Stars zum Teil überhöhte Gagen beziehen, auf Kosten des Steuerzahlers. Wenn die Opernsänger weniger Geld erhalten würden, würden sie nicht aufhören zu singen. In Amerika sind die Gagen meist tiefer als bei uns. Aber mir ist auch klar, dass man das System nicht von heute auf morgen ändern kann.

«Es sind nicht die Mehrheiten, die die
Kulturentwicklung voranbringen.»

Wer soll denn ein Theater finanzieren?

Die Besucher, die gerne Opern hören, und die Sponsoren privater und öffentlicher Art, die sich an diesen Orten gerne treffen. Opernaufführungen haben ja auch eine soziokulturelle Bedeutung, es gibt Opernbälle und Treffen von Geschäftsleuten. Das sind oft sehr wohlhabende Leute. Aber natürlich soll es jungen Leuten ermöglicht werden, solche Aufführungen zu besuchen. Man muss die Fantasie anstrengen und nicht einfach sagen, wenn das Geld nicht mehr hereinkommt, hören wir auf. Eine ganze Generation von Kulturverantwortlichen ist herangewachsen, die der Meinung ist, die ganze Kultur müsse subventioniert werden. Aber ich sehe eine Nach-68-er-Generation von Kulturverantwortlichen heranwachsen, die wieder mehr auf das junge Publikum und auf den Markt achtet.

Ist Alexander Pereiras Zürcher Opernhaus mit seinem hohen Anteil an Sponsorengeldern zukunftsweisend?

Ja, aber es sind nicht nur die grossen Firmen, die die Löcher stopfen müssen, sondern es gibt ja auch sehr viele reiche Leute. Im Sport funktioniert das gut, da ist in ganz Europa relativ wenig Staatsgeld drin, der Sport funktioniert aufgrund einer Mischung von Sponsorengeldern, Einnahmen und Staat. Was beim FCB möglich ist, könnte auch beim Theater funktionieren.

Das neue Basler Stadtcasino soll in «Public Private Partnership» zustande kommen: Wenn Private 40 Millionen spenden, gibt auch der Kanton dieselbe Summe. Entspricht das Ihren Vorstellungen?

Es widerspricht dem Grundprinzip «Kultur ist Sache der Kultur». Alle diese gemischten Finanzierungen übernehmen auch die Nachteile von beidem. Aber ich würde es nicht ablehnen. Man muss damit Erfahrungen sammeln, es ist sicher die zweitbeste Lösung. Es ist nicht so wichtig, wem eine Institution gehört, sondern ob sie letztlich vom Benutzer finanziert wird. Wenn eine Institution selbsttragend ist, spielt es keine grosse Rolle, wem sie gehört.

Robert Nef – Urliberaler

Robert Nef, lic.iur., ist Leiter des Liberalen Instituts in Zürich. Er studierte in Zürich und Wien Rechtswissenschaft und war zwischen 1961 und 1991 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Rechtswissenschaft der ETH Zürich. Seit 1979 leitet er das Liberale Institut, seit 1994 ist er Redaktor der «Schweizer Monatshefte».

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