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Weltmacht am Scheideweg

Lesedauer: 5 Minuten


(Weltwoche Nr. 25.25 vom 19. Juni 2025, S. 30-31)

BLICK IN DIE ZEIT

Die USA könnten einiges von der Schweiz lernen

Donald Trump wird in vielen europäischen Medien einfach als egomaner Dummkopf wahrgenommen und dargestellt. Man kann aber seine Politik auch als durchaus rationale Wahlkampfstrategie in einem ökonomisch-finanziell nicht mehr nachhaltig stabilen Land verstehen. Die USA haben sowohl unter demokratischen als auch unter republikanischen Präsidenten innenpolitisch eine nicht nachhaltige Politik betrieben, die sich auf die Popularität eines zentralistischen sozialpolitischen Interventionismus abstützte. Aussenpolitisch haben sie während Jahrzehnten die immer teurer werdende und wenig Dankbarkeit generierende Rolle des Weltpolizisten gespielt und kostspielige Streitkräfte und administrativ expandierende Weltorganisationen finanziert. Sie stehen heute als Grossmacht vor grossen finanzpolitischen Herausforderungen.

Kapitalismus ist kein System

Die Meinung, die USA und der «Westen» basiere auf einem freihändlerischen Kapitalismus und praktiziere diesen konsequent und erfolgreich ist naiv. Was heute auch in der sogenannt «freien Welt» vorherrscht, ist einerseits «crony capitalism» (Verbandelung von Wirtschaft und Staat), anderseits zentral verwalteter Staatskapitalismus. Alle wollen mehr Kapital und bessere Kredite, und alle wollen mehr Zugriff auf die – weltweit mehrheitlich – in Staatseigentum befindlichen Rohstoffe. Darum und nicht nur wegen dem «Staatsgeld» der Notenbanken, bleiben Wirtschaft und Staat enger verknüpft, als freiheitsfreundlichen Staatsskeptikern lieb ist. Wirtschaftskrisen werden früher oder später zu Staatskrisen und umgekehrt.

Man muss Kriege beenden, selbst wenn die Lösung
nicht zu 100 Prozent gerecht ist.

Was ist auf diesem Hintergrund von Donald Trumps «Zollpolitik» zu halten? Eine Politik der hohen Zölle widerspricht natürlich dem liberalen Prinzip des Freihandels. Möglicherweise hat sie aber unter heutigen Gegebenheiten eines allgegenwärtigen Merkantilismus immerhin eine Teilrationalität. Was weltweit im Export vergleichsweise günstig angeboten wird, beruht oft auf brutalem Interventionismus und erzwungener Ausbeutung im Exportland. Kann man ein – zwar richtiges – Prinzip wie den Freihandel durchhalten, wenn das globale Durcheinander oft anderen, national-opportunistischen Prinzipien folgt, die jenseits aller kapitalistischen Marktlogik liegen? Kann man sich gegenüber Macht- und Zwangssystemen fair verhalten ohne in deren Abhängigkeit zu geraten?

Kapitalismus ist kein System, bzw. kein Ismus. Er ist das, was sich abspielt, wenn die Menschen Arbeitsteilung, Geld und Kredit entdecken (nicht erfinden!) und die existenzielle Knappheit von lebensnotwendigen Gütern wahrnehmen. Aber leider haben politische Systeme, die auf Macht und nicht auf Austausch basieren, menschheitsgeschichtlich ziemlich tief reichende Wurzeln. Tausch und Markt sind anthropologische Urphänomene, die sich in Freiräumen weltweit immer abgespielt haben und abspielen werden – unabhängig von der jeweiligen politischen Machtordnung. Ob der Markt seinerseits auf soziokulturell-moralische und auch auf sicherheitspolitische Voraussetzungen angewiesen ist, die er selbst nicht generieren kann, bleibt eine offene Frage. Aus freiheitlicher Sicht genügt die Bereitschaft zum Frieden auf der Basis einer gegenseitigen Anerkennung grundsätzlicher Meinungsverschiedenheiten («agreement to disagree») und die Bereitschaft, sich gegen machthungrige Aggressoren zu verteidigen. Die menschliche Sehnsucht nach Frieden ist aber ursprünglicher als alle Kampf- und Kriegslust in einem Wettbewerb um nationale Machtergreifung und Machterhalt. Letzteres wird aber leider weltweit durch national-politisch-pädagogische Beeinflussung immer wieder eingepflanzt und angestachelt.

Die dialektische Gegenüberstellung von zwei alternativen Gesellschafts- und Wirtschaftssystemen, von denen eines gegen das andere gewinnen werde, ist ein sehr weit verbreiteter, aber verhängnisvoller ideologischer Fehlansatz. Echte Freiheitsfreunde sehen die fundamentale Auseinandersetzung zwischen System einerseits und Non-System («spontane Ordnung» oder «Katallaxis») anderseits, um den oft missverstandenen Begriff «Kapitalismus» zu vermeiden.

Märkte sind allgegenwärtig: entweder weiss, grau, oder schwarz. Ganz schwarz oder ganz weiss sind sie selten, weil jede politische Zentralmacht zugunsten ihres Machterhalts immer zur Marktintervention tendiert sich aber nie ganz durchsetzt. Darum gibt es auch eine «Rationalität des Lavierens», wobei überzeugte Freiheitsfreunde davon ausgehen, dass Freihandel auf die Dauer das einzige ist, das sich in Zeiten relativen Friedens durchsetzen wird. Nicht weil er Gerechtigkeit generiert, aber weil er einen relativen Wohlstand mit relativem Frieden ermöglicht, bei dem es zwar ungleiche Gewinner, aber letztlich keine Verlierer gibt. Voraussetzung ist ein relativ tiefer «Neid-pegel». Die stärksten Impulse erhält die Neidpolitik stets von den ideologischen Vertretern des Egalitarismus.

Wahn der nationalen Einheit

Freihandel und Krieg sind generell nicht kompatibel. Anhänger (und Profiteure) des globalen Freihandels sind deshalb immer tendenziell pazifistisch. Sie wollen zwar nicht Frieden um jeden Preis, sind aber bereit, auf der Ebene einer aktuellen Verteilungsgerechtigkeit, die nie perfekt sein kann, einen Preis zu bezahlen. Man muss Kriege beenden, selbst wenn der Zustand beim Friedensschluss (bzw. Waffenstillstand) nie zu 100 Prozent gerecht ist. Auch die «neue Weltordnung» nach 1945 war keine Friedensordnung. Der Kampf bis zur «bedingungslosen Kapitulation» beruht auf einem «rechthaberischen» Weltbild, das letztlich der Friedensidee widerspricht.

Wenn sich die USA vom Anspruch, die führende Weltmacht zu sein, verabschieden, bleiben sie dennoch ein «Land der Vielfalt» und im globalen Rahmen das «Land der Zukunft». Sie sollten aber nicht zurück zur globalen Grösse, sondern zurück zur finanziellen Nachhaltigkeit. Die bevölkerungsmässig heterogen zusammengesetzten, sozio-kulturell, religiös und auch genetisch vielfältigen Vereinigten Staaten stehen nicht am Ende ihrer Entwicklung, sondern haben aufgrund ihrer internen Vielfalt grosse Chancen, tatsächlich ein Land der Hoffnung und der Zukunft zu sein. Sie müssen sich endlich vom Wahn der nationalen Einheit und von der Ambition der Weltbeherrschung und vom kriegsbedingten Zentralismus und New-Deal-Sozialdemokratismus befreien.

Die in den USA tief verankerte Auffassung, dass Politik ein allenfalls notwendiges Übel sei, und Privatleben, Familie, Job, Sport und Freizeit insgesamt stets Vorrang haben, ist ein zukunftsträchtiger Bestandteil jenes Grundkonsenses, der innen- und aussenpolitisch Frieden vor Macht setzt. Er ist die Basis einer auf herrschaftsfreiem Austausch beruhenden Marktwirtschaft, in der man gegenseitig voneinander lernt und profitiert. Dieses unheroische gegenseitige «Leben und Leben-Lassen» in Vielfalt führt zu einer spontanen Ordnung, in der die nie abschliessend definierbare Balance zwischen Tradition und Innovation immer wieder neu gefunden wird. Nicht: «e pluribus unum» (aus vielem eines) sondern «e pluribus pacem et continuum» (aus Vielem Vielfältiges und nachhaltigen Frieden).
Solange der Weltfrieden auf einem einzigen mächtigen politischen Friedensgaranten beruht, bleibt der Weltfrieden von der Erhaltung dieser Macht, die naturgemäss stets umstritten ist, abhängig. Der Rückzug der USA aus der Rolle der Weltmachtpolitik und die Sanierung der eigenen Finanzen sind keine schlechten Ideen. Sie werden den Rest der Welt weder den langfristig (demographisch) schlecht aufgestellten gleichgeschalteten Chinesen noch den sich selbst überschätzenden Russen ausliefern. Was allerdings dabei weltweit wachsen muss, ist die Bereitschaft zur Selbstverteidigung gegen jede Grossmacht, die sich ökonomische oder militärische Weltbeherrschung anmasst.

Die Schweizer wollen niemanden beherrschen, weder allein noch im Verbund. Das hat Zukunft.

Intelligentes Eigeninteresse

Dauerhaften Frieden gibt es erst, wenn sich Menschengruppen möglichst kleinräumig und möglichst gemischt (und angriffsunfähig) organisieren, einen toleranten «Grundkonsens» praktizieren und friedlich tauschen und bereit sind, sich gegen alle zu verteidigen, die sie unterdrücken oder ihnen – angeblich – helfen wollen. Sie brauchen einander nicht zu lieben.

Wir Schweizer sind aufgrund des Neutralitätsprinzips bezüglich der Ambitionen für eine nationale Vormachtstellung beispielhaft bescheiden, und wir brauchen uns weder als konservative Nachzügler noch als Rosinenpicker beschimpfen zu lassen. Anstelle eines zentralistischen Nationalismus necken und tolerieren wir einander wegen lokaler und sozio-kultureller Besonderheiten. Wir versuchen, die Fehler anderer zu vermeiden und die eigenen Erfolge zu optimieren. Unser Verhältnis zum eigenen Land ist rational und basiert auf einem Grundkonsens. Wir tolerieren einander, aber es gibt kein stark emotional aufgeladenes nationales Gemeinschaftsgefühl. Wir nehmen Rücksicht auf Minderheiten, denn ohne Minderheitenschutz funktioniert auf die Dauer kein Mehrheitsprinzip, und wir sind bereit, uns gemeinsam gegen aussen zu verteidigen. Wir wollen untereinander, mit unseren Nachbarn und mit der ganzen Welt möglichst gute Geschäfte machen, von denen – im intelligenten Eigeninteresse – alle Beteiligten profitieren sollen. Beherrschen wollen wir niemanden, weder allein noch im Verbund mit anderen. Das hat Zukunft.

Robert Nef, Publizist in St. Gallen, ist Mitglied des Stiftungsrates des Liberalen Instituts

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