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Besteuerung ohne Schranken

Lesedauer: 5 Minuten

Staatsgeschichte ist stets auch Steuergeschichte: des permanenten Versuchs der einen, zusätzliche Steuern zu erheben, und der anderen, sich dagegen zu wehren. Die Grenzen des Staatswachstums zeichnen sich nun jedoch ab.


Robert Nef, Finanz und Wirtschaft, Meinung, 25.10.2023

Steuern werden auch in der Schweiz generell als Last empfunden, aber Forderungen nach pauschalen oder gezielten Steuersenkungen haben nicht einmal in Wahljahren hohe Priorität. Im Ausland gilt die Schweiz vielerorts immer noch als Steuerparadies, obwohl der Durchschnittshaushalt inzwischen auch schon 40% seiner Einkünfte als Zwangsabgaben dem Staat abliefern muss, Tendenz steigend. Diese Zwangsabgaben stehen aber nicht einfach auf der Steuerrechnung, sie sind zum Teil in die Preise des täglichen Konsums integriert und werden lediglich bei der Einführung überhaupt noch zum politischen Thema. Wer eigentlich bei juristischen Personen tatsächlich besteuert wird, ist schwer zu entschlüsseln. Sie können im politischen Prozess nicht mitbestimmen. Mindestens ein Teil dieser Lasten landet auch wieder bei den Konsumenten.

Schon kurze Zeit nach ihrer Einführung werden Steuern zum Bestandteil der Normalität. Lediglich steigende Treibstoff- und Energiepreise sowie immer höhere obligatorische Krankenkassenprämien schaffen es an die Spitze der Liste der politischen Sorgen. Eine höhere steuerfinanzierte Subventionierung des Gesundheitswesens wird sogar als Ausweg aus der kontinuierlichen Kostensteigerung empfohlen, und hohe Energiepreise gelten als willkommener Beitrag zur Klimarettung.

Vom deutschen Finanzminister Franz Etzel (1902–1970) stammt die bemerkenswerte Feststellung, der Staat sei keine Kuh, die im Himmel gefüttert und auf Erden gemolken werden könne. Dieser Himmel, in dem angeblich gefüttert wird, hängt oft voller Wolken, und hinter diesen Wolken spielen sich die steuerpolitischen Spielchen ab, die der italienische Finanzwissenschaftler Amilcare Puviani (1854–1897) in seinem Werk «Teoria della illusione finanziaria» satirisch und zutreffend beschrieben hat. Er gab den Regierungen der Welt folgende Ratschläge, wie man aus der Bevölkerung möglichst viel Geld herauspressen könne.

Die klassischen Tricks

Erstens: besser indirekte als direkte Steuern, um sie im Warenpreis verbergen zu können. Zweitens: Kreditfinanzierung der Staatsausgaben, um künftige Generationen (und nicht die jetzige) zu besteuern. Drittens: Förderung der Inflation, um Staatsschulden zu entwerten. Viertens: Besteuerung von Luxusgütern und Schenkungen, da dies nur eine Minderheit trifft. Fünftens: Etabliere «befristete Steuern» in einer Ausnahmesituation und lasse sie bestehen. Sechstens: Nutze soziale Konflikte zur Besteuerung unpopulärer Gruppen, wie z.B. Reicher. Siebtens: Drohe mit der Verweigerung von Leistungen und sozialem Zusammenbruch bei Steuerminderung. Achtens: Zerlege die Steuern über das Jahr in Raten. Neuntens: Verschweige die tatsächliche Höhe der Belastung. Zehntens: Führe die Haushaltsberatungen im Parlament so, dass sie unverständlich bleiben. Elftens: Verstecke Ausgabepositionen im Haushaltsplan hinter Allgemeinbegriffen. Diese zynischen steuer- und finanzpolitischen Rezepte sind leider immer noch aktuell, und sie werden weltweit ziemlich schamlos praktiziert.

«Die ‹Peitsche› einer neuen Abgabe wird verbunden mit dem ‹Zuckerbrot› von Erleichterungen und Wohltaten aller Art.»

Die allgemeine Steuerpflicht hat zwei historische Wurzeln. Steuern wurden von den siegreichen Eroberern eines Territoriums als Tribut zwangsweise erhoben, angeblich zur Verteidigung gegen aussen, effektiv zur Stabilisierung der Herrschaft der aggressiven Eroberer gegenüber den wehrlosen Eroberten. Aus dieser Sicht sind sie tatsächlich illegitim und ein Instrument der Herrschaft.

Es gibt aber auch die historische Entstehung der Steuern aus dem genossenschaftlichen Gemeinwerk. Ursprünglich waren auch freie Gemeinschaften darauf angewiesen, dass gewisse Arbeiten im Dienste aller durch Gemeinwerk abgegolten wurden, man denke an Bewässerungssysteme sowie den Bau und den Unterhalt von gemeinsam genutzten Infrastrukturen und die gemeinsame Sicherheitsproduktion – etwa durch einen Sheriff oder durch eine Bürgerwehr. Wer dies nicht durch persönliche Leistung erbringen konnte oder wollte, konnte eine Ersatzabgabe als Clubbeitrag leisten. Das ist die, auch aus freiheitlicher Sicht, akzeptable Begründung von obligatorischen Abgaben an das Gemeinwesen.
Dauertraktandum Steuerreform

Je lokaler sie erhoben werden, desto kontrollierbarer sind der Einsatz und die Höhe und desto leichter das Auswandern in eine steuerlich günstigere Gebietskörperschaft. Es gilt der Grundsatz «keine kollektive Besteuerung ohne kollektive Zustimmung». In Kombination mit einem Steuerwettbewerb verhindert er das kontinuierliche Wachstum öffentlicher Zwangsabgaben, und dies ist der Hauptgrund, warum der Steuerwettbewerb bei zentralen Regierungen derart unbeliebt ist.

Neue Steuern und Zwangsabgaben sind immer ein Stein des Anstosses, und trotzdem wäre es verhängnisvoll, würde man den real existierenden Abgabenmix als gegeben hinnehmen. Die Suche nach neuen Staatseinnahmen und die Bemühungen um kontinuierlich fliessende, wenn möglich zunehmende Geldquellen sind so alt wie der Staat selbst und wie der Widerstand dagegen.

«Steuerreform» ist in jedem politischen System ein Dauertraktandum. Während sich im demokratischen Steuerstaat Steuergegner mit Zähnen und Klauen gegen jede neue Steuer und Abgabe und gegen jede Steuererhöhung wehren und die generelle Steuersenkung auf ihr Banner schreiben, versuchen Steuerbefürworter mit dem Appell an die Vernunft, an die Solidarität oder an den Gemeinsinn Mehrheiten zu überzeugen.

Staatsmacht einhegen

Solche Appelle sind aber wirkungslos, wenn die «Peitsche» der neuen Abgabe nicht verbunden wird mit dem «Zuckerbrot» von Erleichterungen und Wohltaten aller Art, die aufgrund der neuen Einnahmen oder des prognostizierten Lenkungseffekts versprochen werden.

Selbst ein unbegrenzter Staat hat stets nur begrenzte finanzielle Mittel. Warum? Er kann die Steuerschraube anziehen bis an den Punkt, an dem höhere Steuern einen kleineren Steuerertrag bewirken. Dieser Punkt ist schon im Mittelalter vom arabischen Ökonomen Ibn Khaldun beschrieben worden. Der Staat kann sich auch verschulden bis an den Punkt, wo die Bedienung der Schulden nur noch durch weitere Verschuldung möglich ist. Der Staat kann sodann sein Geld, in dem er verschuldet ist, durch Inflation entwerten, bis die eigene Währung im Keller ist und der Sparwille, der Leistungswille und die Konsumbereitschaft zusammenbrechen. Der Staat kann den Boden, die Gebäude und seine natürlichen Ressourcen verstaatlichen und bekommt dafür nur den jeweils aktuellen Marktpreis für Ertrag und Verkauf. Der Staat kann letztlich sein Humankapital an mobilisierbarer Arbeitskraft verstaatlichen und löst dabei nur das, was die Menschen zu leisten bereit sind, und ihre Leistungsbereitschaft sinkt in dem Ausmass, als sich Leistung für ein Individuum nicht mehr lohnt und der Leistungszwang an der Verweigerungsgrenze scheitert. Dann hat der Staat aussenpolitisch auch noch die Möglichkeit, sich durch Bündnisse, militärische Aggression oder Erpressung an der Produktivität anderer Staaten zu bereichern, aber Trittbrettfahrertum, Aggression und Kolonisierung sind teuer und auf längere Sicht, wie die Geschichte zeigt, defizitär. Das sind die Grenzen des Staatswachstums und der Staatsmacht, die gleichzeitig auch eine Schranke der Besteuerung bewirken.

Diese Grenzen sind noch nicht erreicht, aber eine Minderheit geschichtsbewusster weitblickender Menschen sieht sie auf dem Radar. Eine vom Staat abhängige Gruppe von Menschen versucht durch populäre Behauptungen, diese Einsichten zu leugnen, und eine Mehrheit von Staatsabhängigen ist vorerst bereit, ihnen Glauben zu schenken. Darum sind das wichtigste politische Ziel die Begrenzung der Staatsmacht und die Etablierung einer Ordnung, in der die Benützer das, was sie nutzen, selbst bezahlen und bereit sind, den Bedürftigen ohne Umweg über den Staat dabei zu helfen.

Fataler Gewöhnungseffekt

Die grösseren Nationalstaaten, die immer wieder behaupteten, ihr Hauptzweck sei der Friede, waren doch stets in zweierlei Hinsicht auf Kriege angewiesen. Einerseits zur Existenzsicherung des an sich unproduktiven Staatsapparats, der die Steuern als Einnahmenquelle braucht und darum als notwendige Sicherheitsprämie begründet, anderseits zur permanenten Erweiterung des Kreises der besteuerbaren Personen und Transaktionen durch Eroberung zusätzlicher Territorien. Wenn Krieg herrscht, wird der Staat unter dem Eindruck der totalen Bedrohung zur Schicksalsgemeinschaft, und in dieser Situation gibt es offenbar Gründe, ihn durch zusätzliche Abgaben vor dem Untergang zu retten.

Das ist die Schattenseite der Steuergeschichte vieler Nationalstaaten: Neue Steuern wurden immer aus der momentanen Not eines Engpasses begründet, und wenn die Not vorbei war, hatte man sich so daran gewöhnt, dass die Abschaffung nicht mehr infrage kam. Mit dem Zusammenbruch grosser Reiche wird allerdings auch das Netz der Steuereintreiber unterbrochen.

Steuergeschichte ist ein permanenter Versuch der mächtigen, zunehmend Unproduktiven, von den mehr oder weniger ohnmächtigen Produktiven Steuern einzutreiben, ein Versuch, zusätzliche Steuern zu erheben, einerseits, und ein Versuch, sich wirksam dagegen zu wehren, andererseits. Die Geschichte der Staatenwelt ist zwar nicht nur, aber doch in hohem Ausmass eine Geschichte der kollektiven Besteuerung und des individuellen Steuerwiderstands.

Robert Nef ist Publizist und Mitglied des Stiftungsrats des Liberalen Instituts.


Quelle: https://www.fuw.ch/besteuerung-ohne-schranken-638723462869

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