(Publiziert in: DAS MAGAZIN, 19.09.2008, S. 14f)
Mehr Mut zur Unbeliebtheit – nur so hat die FDP eine Chance, sagt einer ihrer Vordenker.
Die Zahl derjenigen, die sich gerne als «Auch-Liberale» bezeichnen, ist wesentlich grösser als die der FDP-Wähler. Im Grundsatz ist man gerne liberal. Aber wenn es darum geht, zwischen mehr Freiheit und mehr Sicherheit zu wählen, dann trennen sich die echten von den «Auch-Liberalen». Wenn es um Entscheidungen geht, haben jene Parteien den grössten Zulauf, die einen grösseren Anteil vom Staatskuchen versprechen. Der Liberalismus wird handkehrum zur politischen Hypothek, wenn es um die Kosten der Selbstverantwortung geht. Der Appell an die Eigenverantwortung mündiger Menschen und das Programm eines geordneten Rückzugs aus Bevormundung, Reglementierung, Zentralisierung und massiver Besteuerung harmoniert nicht mit einer zunehmenden Nachfrage nach einem Ausbau des Wohlfahrtsstaats zugunsten der eigenen Gruppierung und zulasten Dritter. Eigentlich ist es unmöglich, gleichzeitig liberal und populär zu sein. Das ist eines der Hauptprobleme der FDP.
Der seit längerer Zeit absehbare Zusammenschluss der Freisinnig-Demokratischen Partei der Schweiz mit der Liberalen Partei ist im Wahlkampf 2007 durch die Bezeichnung «FDP – Wir Liberalen» vorbereitet worden. Er hat der FDP keine neuen Wähler gebracht und den Schwund bei der Liberalen Partei eher noch beschleunigt. Nun ist man bemüht, die Fusion mit dem kleinstmöglichen Imageschaden für beide Beteiligten über die Runden zu bringen.
Noch ist nicht abzusehen, inwiefern und in welche Richtung sich die Parteienlandschaft der Schweiz nach der Abwahl Blochers, der Spaltung der SVP und der Neugründung der Grünliberalen verändert hat. Es weiss zwar niemand richtig, was in unserem Regierungssystem «Opposition» bedeutet, aber rein stimmungsmässig gibt es in der Schweiz so etwas wie ein Zweiparteiensystem: die SVP und ihre Sympathisanten auf der einen und der äusserst heterogene und labile Zusammenschluss der übrigen Parteien auf andern Seite. Man zögert, mit den Begriffen «Rechts», «Mitte» und «Links» zu operieren, weil ja die internen Gemeinsamkeiten nur noch von Fall zu Fall in Erscheinung treten. Grob vereinfacht stehen die Neinsager auf der einen Seite jenen gegenüber, die sich nur darin einig sind, dass sie Nein sagen zu den Neinsagern. Die Zeiten, um ein strikt liberales Profil aufzubauen, das konsequenterweise in vielen Belangen «weniger Staat, weniger Interventionen und weniger Steuern» fordern müsste, sind für eine traditionell staatstragende Partei in diesem Klima extrem ungünstig.
Wenn man heute bei Wahlen mehr als 20 bis 25 Wählerprozente, das heisst praktisch eine Zweiervertretung in der siebenköpfigen Landesregierung erreichen will, ist man als Volkspartei in einer Demokratie gezwungen, Konzessionen an die jeweils attraktivsten Themenkreise zu machen, die Popularität geniessen. Man kann diese Feststellung auch zu einer generellen Kritik an den Parteien zuspitzen: Keine Volkspartei kann es sich leisten, auf einen gewissen Grad an Populismus zu verzichten. Es gibt aber bekanntlich verschiedene Spielarten des Populismus, und ein Teil der parteipolitischen Polemik besteht darin, den eigenen Populismus als besten Weg zur Problemlösung zu preisen und den Populismus der andern als reine Polemik und Stimmenfängerei abzutun.
Auch diesbezüglich ist die Unterscheidung zwischen Linkspopulismus (mit dem Ziel von mehr Gerechtigkeit durch mehr Umverteilung) und Rechtspopulismus (mit dem Ziel von mehr nationaler und demokratischer Selbstbestimmung und weniger Immigration) zu simpel. Es gibt auch den Populismus der Mitte (mit dem Ziel eines «dritten Weges» und einer Kooperation eines interventionistischen Staates mit einer teilregulierten Wirtschaft). Und es gibt einen Populismus der Grünen (mit dem Ziel, die Natur und das Klima vor einem drohenden Kollaps zu retten).
Verführerische Kompromisse
Die FDP hat seit Generationen versucht, den Liberalismus mit dem Populismus der Mitte zu verknüpfen. Dabei musste sie die Erfahrung machen, dass die grundsätzlich beliebte Position der Mitte früher oder später zur Erosion des Profils führt und zu Koalitionen und Kompromissen aller Art verführt. In der Mitte lässt sich eine Zeit lang mit einem Wähleranteil von 25 bis 30 Prozent gut leben, aber der dauernde Zwang zum Kompromiss nach beiden Seiten führt zu einem Verlust an Glaubwürdigkeit und an Attraktivität für einen konsequenten, prinzipienbewussten Nachwuchs: Der ohnehin heterogene Populismus der Mitte wird durch den rechten, den linken und den grünen Populismus buchstäblich aufgerieben. Das hat die FDP unterschätzt.
Immerhin, das «Anti» gegenüber allen Manifestationen der organisierten Macht ist weltweit ein gemeinsames Merkmal aller Liberalen: Freiheit als Anti-Gewalt, als Anti-Zwang, als Anti-Willkür. Welche Rolle der Staat dabei spielt, bleibt auch unter Liberalen kontrovers. Ist der Staat selbst als bürokratische Maschinerie das Übel, das zwar notwendig ist, das es aber einzudämmen und zu bekämpfen gilt – oder ist er der «Freund und Helfer», der die Voraussetzungen dafür schafft, dass die Früchte freien Handelns von allen geerntet werden können?
Das Dilemma der Freisinnig-Demokratischen Partei der Schweiz ist letztlich mit ihrem Ursprung verbunden und gründet in der historischen Tatsache, dass sie sich von Anfang an als «staatstragende liberale Partei» definierte. Sie assimilierte schrittweise konservatives und sozialdemokratisches Gedankengut und verlor dabei an liberalem Profil. Das war der hohe Preis, den man bezahlte, um am politischen Machtkartell beteiligt zu bleiben. Der diskrete Charme der Konkordanz besteht allerdings darin, dass auch die andern Parteien denselben Preis bezahlen müssen. Die Frage ist nur, wem dies auf die Dauer nützt – und wem dies schadet.
Paradoxe Koalitionen
So lange es totalitäre sozialistische und faschistische Regimes gab, wusste man, wo sich die Gegner der Liberalen befanden. Nach 1989 ist die eindeutige ideologische Zuordnung schwieriger geworden. Sind zum Beispiel die grünen Anti-Globalisten eine linke oder eine rechte Bewegung oder ein unentwirrbares Gemisch? Sind EU-Skeptiker liberal oder anti-liberal, oder gibt es beide Spielarten? Wir müssen uns in der Politik an neue Koalitionen gewöhnen, die nach dem herkömmlichen Schema paradox sind.
Der Liberalismus ist und bleibt die Gegenströmung zu jenem Etatismus, der an die Verbesserung des Menschen durch zentral ausgeübten staatlichen Zwang glaubt. Strikt Liberale sind überzeugt, dass mündige Menschen grundsätzlich in der Lage sind, ihre Probleme eigenständig zu lösen, und dass Eingriffe in die Privatautonomie nur dann zulässig sind, wenn deren Notwendigkeit (im ursprünglichen und engsten Sinn) nachgewiesen ist. Es gab in der Schweiz so etwas wie den «liberalen Staat». Die Freisinnigen haben aber zu spät realisiert, dass der expandierende Vorsorge- und Service-public-Staat des ausgehenden 20. Jahrhunderts nicht mehr ihr Staat war, sondern ein nicht nachhaltig finanzierbarer, bevormundender Leviathan. Konsequenterweise muss aus dieser Sicht nicht nur «weniger Staat» gefordert werden, sondern «ein anderer Staat». Ein Staat, der einen verlässlichen rechtlichen Ordnungsrahmen schafft, in dem sich die privatautonome Zivilgesellschaft der Zukunft entfalten kann.
Die Suche nach mehr Profil, mit dem man bisherige Wähler bei der Stange halten und neue Wähler mobilisieren kann, ist in allen Parteien aktueller denn je. Ob ein strikter Liberalismus, der die Bereitschaft zum Lernen, zum Leisten und zum Lebensunternehmertum vor die Forderung nach umfassender Versorgung stellt, in Zukunft bei Wahlen zulegen könnte, bleibt eine offene Frage. Populär ist das nicht, und wer den kurzfristigen Erfolg sucht, darf sich nicht mit weit gesteckten Zielen befassen. Wer aber den langfristigen Erfolg im Auge hat, muss bereit sein, auch Phasen der Unbeliebtheit durchzustehen und auf populistische Konzessionen zu verzichten. Damit spricht man eine Gruppe von Aktiven und Innovativen an, die das Zeug hat, beim schrittweisen Ausstieg aus einer Fehlentwicklung die Führung und Verantwortung zu übernehmen.