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Wer repräsentiert den Volkswillen?

Lesedauer: 2 Minuten


(Nebelspalter, 24. Mai 2023)

Kommentar zum Volkswillen

Jean-Jacques Rousseau prägte den Begriff der Wahlaristokratie als Vorläufer für die repräsentative Demokratie. (Bild: Wikimedia)

Im Zusammenhang mit der medial verbreiteten Aussage, «die Kantone seien heute für das Rahmenabkommen», sind grundsätzliche Zweifel angebracht. Selbst wenn die «Stimme eines Kantons» an einer Konferenz innerhalb von kantonalen Exekutiven vorgängig durch Mehrheitsprinzip ermittelt wird, können Konferenzen von kantonalen Regierungsvertretern niemals den «Volkswillen» ihres Kantons verbindlich zum Ausdruck bringen.

Wenig repräsentative Demokratie

Es wird oft übersehen, wie wenig verpflichtend das angebliche «Mandat» eines Wählenden für die Gewählten in Parlamenten ist. Noch geringer ist der Einfluss auf gewählte Regierungsmitglieder, die sich kaum je strikt an das vor den Wahlen verkündete Programm halten. Die persönliche «Verkörperung» eines Wählerwillens durch angeblich politisch Mandatierte ist weitgehend eine Illusion. Die repräsentative Demokratie ist viel weniger repräsentativ als sie es vorgibt.

Wenn ein Vorsitzender einer Regierungskonferenz in den Medien als «höchster Gesundheitsdirektor» oder «höchster Erziehungsdirektor» genannt wird, und mit diesem Anspruch öffentliche Meinungsäusserungen mit einem Verbindlichkeitsanspruch vertritt, widerspricht dies sowohl dem Prinzip der Subsidiarität als auch der Gewaltentrennung. Auch eine Volkswahl in die Exekutive ist keine zureichende Legitimation zur Vertretung des gesetzgeberischen Volkswillens in einer Konferenz. Dachorganisationen dienen dem Meinungsaustausch und nicht der Meinungsbildung, und Mitglieder einer Exekutive können in einer Konferenz nicht plötzlich legislative Funktionen wahrnehmen.

Dies gilt sowohl im nationalen als auch im internationalen Rahmen. Die Exekutivvertretungen geben zwar meist vor, das Interesse ihres Landes, das heisst all ihrer Bürgerinnen und Bürger zu kennen, richtig zu interpretieren und wirksam zu vertreten. Tatsächlich vertreten sie aber, auch wenn sie «im Namen und im Auftrag ihres Volkes» auftreten, oft nur eine komplexe Mischung von Macht und Eigeninteressen ihrer Verwaltungsapparate und der für die aktuelle Regierungsbildung verantwortlichen Parteienkoalition.

Schlecht legitimierte Sonderinteressen

Die UNO und ihre Suborganisationen, die viele Völkerrechtler gerne als «zur Rechtsetzung berufene Dachorganisationen global organisierter öffentlicher Interessen» wahrnehmen, ist in Realität oft ein Konglomerat von schlecht legitimierten Sonderinteressen einer internationalen Klasse von Funktionären. Sie vertreten in erster Linie die Interessen ihrer derzeitigen Regierung und nicht unbedingt jene der Bevölkerung des Landes, das sie repräsentieren.
Was man «den Willen der Gliedstaaten zur Stärkung der grösseren Gemeinschaft» nennt, beruht oft nur auf dem Willen jener verantwortlichen Politiker und Funktionäre, die im Einzelfall dann nicht zögern, sich im Umfeld ihrer Wählerschaft später über das Vereinbarte wieder hinwegzusetzen.

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