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Pandemiepolitik als Verstaatlichungsschub

Lesedauer: 4 Minuten

Die Schweiz hat ein weitgehend verstaatlichtes Gesundheitssystem mit einigen privaten Ergänzungen. Es ist qualitativ derzeit noch nicht schlecht. Doch die Kostenexplosion wird irgendwann einen radikalen Sanierungsbedarf auslösen.


Robert Nef, Finanz und Wirtschaft, Meinung, 27.03.2023

Das Coronavirus hat weltweit das Gesundheitswesen ins Zentrum des Interesses gerückt. Alle Staaten waren durch die Pandemie herausgefordert. Sie wurden als Krisenmanager mit einer grossen Fülle von komplexen Aufgaben konfrontiert, die in nicht totalitären Staaten normalerweise von der Zivilgesellschaft, von der Wirtschaft und von gemischtwirtschaftlichen Strukturen – schlecht und recht – gelöst werden.

Was hat die weltweit mit diversen Kombinationen von Eingriffen, Zwangsmassnahmen und Subventionen praktizierte Pandemiepolitik bewirkt? Was ist die Bilanz von Schaden und Nutzen? Abschliessend lässt sich das wohl kaum je beurteilen, aber auf ein Nachdenken und Nachforschen sollte trotzdem nicht verzichtet werden.

Wie die meisten akuten Krisen bewirkte die Pandemie weltweit generell «mehr Staat». Wer als Staat Zwang anwendet, trägt sowohl rückblickend als auch vorausschauend die Beweislast, nicht nur akute Not zu wenden, sondern auch das Grundproblem zu lösen. Oft wird dieses durch Zwang nur verewigt oder gar verschärft. Verstaatlichungsschübe, wie sie von Kriegen und Krisen ausgelöst werden, führen erfahrungsgemäss zu höheren Steuern und Schulden und zu mehr Zentralismus und zu generell teureren und schlechteren Lösungen. Sie sind leider selten reversibel, weil der geordnete Rückzug aus Fehlstrukturen eine äusserst anspruchsvolle Operation ist, für die man in Demokratien keine Mehrheiten findet. Und: Wer verzichtet in zentralen politischen Strukturen schon freiwillig auf Macht?

Analyse ohne Anklagen und Aggressionen

Freunde der Freiheit halten sich an den Grundsatz, die Politik solle «in erster Linie nicht schaden». Das ist auch eine fundamentale Maxime der ärztlichen Kunst, die bei einer Pandemie herausgefordert ist. Bei genauerer Betrachtung ist diese Anweisung wahrscheinlich aber doch zu simpel. Man kann ein komplexes Verhalten nie durch eine einzige Maxime steuern, und der Hinweis auf das Primat der Passivität ist bei Schadensvermeidung bzw. Schadensminderung wohl zu eindimensional. Wer aus lauter Angst, etwas Falsches zu tun, nichts unternimmt, kapituliert vor den Herausforderungen einer Krise. Es gibt aber in der antiken Medizin noch einen anderen, entgegengesetzten Grundsatz: Was Medikamente nicht heilen, heilt das Messer, und was das Messer nicht heilt, heilt das Feuer.

«Pandemiepolitik dient der Bewältigung eines temporären Notstands. Sie darf weder zum Muster der Gesundheits- noch der Sozialpolitik werden.»

Bei den Coronamassnahmen hat die Politik weltweit einen wahren generellen und ungezielten Feuersturm entfacht. Dabei ist viel Krankmachendes gestoppt, aber auch viel Gesundes mitverbrannt worden. Zudem, auch das sei eingestanden bzw. ergänzt: Medizinische Vergleiche sind manchmal hilfreich, aber wer meint, der Staat bzw. die Wirtschaft verhielten sich wie natürliche Organismen, übersieht, dass darin auch viel «Kultur» steckt, die man nicht durch Wiederherstellung eines Urzustandes «verbessern» kann.

Die Coronakrise war real, die Reaktionen weltweit wahrscheinlich eine Mischung von Adäquatem und Übertriebenem, und das muss jetzt kritisch und unvoreingenommen erforscht werden. Es geht nicht um die «Suche nach Schuldigen» und nach Sündenböcken. Die Analyse soll ohne Anklagen und ohne Aggressionen auf jene erfolgen, die vieles falsch gemacht haben, aber eben ohne das Wissen, über das man stets erst hinterher verfügt. Hätten denn die Kritiker auf Anhieb alles richtig beurteilt und perfekt reagiert? Es gilt jetzt, die richtigen Fragen zu stellen, die plausiblen Antworten zu finden, die besten Schlüsse zu ziehen und dann mit der notwendigen Mischung von Selbstbewusstsein und Demut zu kommunizieren. Es geht jetzt, frei nach dem Wort des Historikers Jacob Burckhardt, nicht darum, aus der Geschichte «klug für das nächste Mal», sondern ein bisschen «weiser für immer» zu werden.

Zu stark zentralisiert

Was bedeutet dies jetzt konkret für das Gesundheitswesen der föderalistischen Schweiz nach der Pandemie? Es ist weder zu kantonal noch zu wenig zentralisiert, es ist zu staatlich und zu zentralstaatlich und zu zentral-obligatorisch, kurz: zu stark von Nachfrage, Angebot und Eigenverantwortung und Privatautonomie abgekoppelt.

Pandemiepolitik dient der Bewältigung eines temporären Notstands, und sie darf weder zum Muster der Gesundheits- noch der Sozialpolitik werden. Vor allem: Sie darf das Gesundheitswesen und die kantonale Gesundheitspolitik nicht noch enger mit nationaler Sozial- und Sozialversicherungspolitik verknüpfen. Diese ist nach dem Schock der Krise und des Zweiten Weltkriegs national zentralisiert worden, und es ist nur zu hoffen, dass sie jetzt nicht auch noch schrittweise europäisiert wird.

Jede Zentralisierung vergrössert nämlich die Distanz zwischen den echten, aber vielfältigen Nöten an der Basis. Gut gemeinte Umverteilung von Reichen zu Bedürftigen und die Solidarität zwischen vorwiegend Gesunden mit häufig Kranken verwandelt sich oft in ihr Gegenteil und wird zur Umverteilung zwischen Menschen mit einem vernünftigen Umgang mit Gesundheit und Krankheit (die nicht einkommensabhängig ist) mit Menschen, die zu einem Überkonsum an medizinischen Leistungen neigen (die es auch überall gibt). Sie werden angesichts des wachsenden Angebots von Leistungen, die andere finanzieren, kaum mehr gebremst. Jedes Gut und jede Leistung, die letztlich auf Kosten anderer in Anspruch genommen werden kann, neigt zur grenzenlosen Steigerung. Dass im aktuellen Gesundheitswesen – ungewollt – allerseits auch vieles «von unten nach oben» umverteilt wird, ist noch zu wenig erforscht worden.

Grosse regionale Unterschiede

Dies steuert sehr vieles in die falsche Richtung: Kostenexplosion, Rationierung, drohender Qualitätszerfall. Tatsächlich gibt es im Gesundheits- und Krankheitsverhalten (inkl. der diesbezüglichen Versicherungsbereitschaft) zwischen Appenzell Innerrhoden und Basel-Stadt grosse Unterschiede, was ja bei den differenzierten Krankenkassenprämien ansatzweise berücksichtigt wird. Aber wahrscheinlich werden Basler und Genfer auch in der obligatorischen Krankenversicherung von Appenzellern und Thurgauern quersubventioniert. Warum also noch mehr zentralisieren? Ähnliches gilt auch bei schichtspezifischen Unterschieden.

Eine definitive nationale Zentralisierung des Gesundheitswesens ist ein Irrweg. Faire Vergleiche würden die Überlegenheit privatwirtschaftlicher Lösungen, aber auch deren Schwächen und Lücken zeigen, die dann subsidiär durch «massgeschneiderte» staatliche Auffangnetze möglichst nahe an der Basis korrigiert werden können.

Heute haben wir ein weitgehend verstaatlichtes System mit einigen privaten Ergänzungen und Schlupflöchern. Es ist qualitativ derzeit noch nicht schlecht, aber es unterliegt einer Kostenexplosion, die früher oder später einen radikalen Sanierungsbedarf auslöst. Gesundheit ist ein sehr hohes und vital wichtiges, aber auch ein individuell personenbezogenes Gut. Keine Gesellschaft kann auf die Dauer die finanzielle Sorge und Vorsorge um die Gesundheit vollständig vom Staat finanzieren lassen und die Individuen davon dispensieren.

Marktfeindliches Mantra

Die Wahrscheinlichkeit einer grundsätzlichen Reform steigt, wenn die systembedingt zunehmende Unbezahlbarkeit des Status quo – mit oder ohne Krisen – endlich wahrgenommen wird. Das müssten problembewusste und weitsichtige Sozialwissenschafter und Gesundheitsökonomen nachweisen, aber vorläufig vernimmt man dort mehrheitlich das populäre Mitte-links-Mantra: keine Märkte im Bereich Gesundheit und Bildung.

Zum Glück gibt es noch Unabhängige und Dissidenten, die den Mut haben, den Finger auf die wunden Punkte zu legen. Aber das diesbezügliche Krisenbewusstsein fehlt noch weitgehend. Für eine Rückkehr zur Vernunft ist der Staat in der Schweiz im Moment noch zu reich, und wir können uns wahrscheinlich auch nach Corona ein «Weiterwursteln» im Gesundheitswesen leisten, weil man die Krise durch Notrecht ins Gesamtsystem implantiert hat. Nachhaltig und generell gesundheitsfördernd ist dies nicht.
Robert Nef ist Stiftungsratsmitglied des Liberalen Instituts.Mehr Infos

Robert Nef ist Publizist und Mitglied des Stiftungsrats des Liberalen Instituts.


Quelle: https://www.fuw.ch/pandemiepolitik-als-verstaatlichungsschub-657767446154

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