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Politische Praxis: Der Fluch des Etatismus

Lesedauer: 4 Minuten


(Eigentümlich frei – Nr. 228 – Dezember 2022 – Seite 32-33)

Pendeln zwischen Sozial-Nationalismus und National-Sozialismus

von Robert Nef

Der Autor und ef-Redaktionsbeirat war langjähriger Leiter des Liberalen Instituts Zürich. 2016 wurde er mit der Roland-Baader-Auszeichnung geehrt. In ef 217 schrieb er zuletzt über „Friedrich August von Hayek: Historisch erhärteter Realitätssinn“.

Nationalismus und Sozialismus sind nach dem Sturz des Feudalismus durch die Französische Revolution im 19. Jahrhundert entstanden. Die beiden Bewegungen werden in der Ideengeschichte als Gegensätze dargestellt, wobei man den Nationalismus als „rechts“ und den Sozialismus als „links“ bezeichnet hat. Beide Ideologien befürworten den Staat und „mehr Staat“, die von Marx inspirierten Sozialisten allerdings nur als Übergangslösung zu einer prophezeiten klassenlosen Gesellschaft ohne Staat. Das Rätsel, wie ein System, das in einer unbestimmten Übergangszeit auf einer totalitär-etatistischen Diktatur des Proletariats beruht, urplötzlich ohne staatlichen Zwang funktionieren soll, hat er allerdings nicht gelöst.

Für die Nationalisten ist der Staat nicht nur der Hort des Rechts, sondern auch die gemeinsame Basis der Identifikation, wobei sich oft zwei Flügel bildeten: einerseits ein national-liberaler, basierend auf national-liberaler Ökonomie, und andererseits ein national-sozialistischer, bei dem der Staat eine entscheidende Zuteilungspolitik betreibt, die die nationale Solidarität stärken soll. Auch beim sozialen Nationalismus gilt das Primat der Politik. Die Wirtschaft soll aus dieser Sicht als Dienerin am Volk in Konkurrenz mit anderen Volkswirtschaften vom Staat dominiert, reguliert und gestützt werden, und sie wird durch Parteinahme – angeblich – gleichzeitig national und sozial. Vieles erinnert dabei an die aktuelle Politik der EU und der USA, wobei die merkantilistische Politik durch Staatenverbünde auf zentralerer Stufe fortgesetzt wird.

Die National-Sozialisten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die sich auch Faschisten nannten, hassten und verachteten die Liberalen, den weltoffenen Markt und den Kapitalismus. Letzterer wurde als Veranstaltung des „jüdischen Großkapitals“ diffamiert, Ersterer als Doktrin von welterobernden vaterlandslosen Händler-, Insular- und Mischvölkern ohne Bezug zu „Blut und Boden“.

Es ist mehr als eine grobe Vereinfachung, wenn doktrinäre Sozialisten heute nach ihrem Links-Rechts-Schema liberale Staatsskeptiker und national-konservative Staatsvergötterer in denselben Topf werfen, mit der Bezeichnung „rechts“ abstempeln und sich selbst auch noch historisch als die einzige Bewegung im Widerstand gegen den nationalen Sozialismus von Hitler und Mussolini in Szene setzen.

Friedrich August von Hayek hat in seiner nach dem Zweiten Weltkrieg erschienenen Schrift „Der Weg zur Knechtschaft“ in Anknüpfung an die radikale Kritik an der sozialistischen Staatswirtschaft von Ludwig von Mises auf die innere kollektivistische Verwandtschaft des International- Sozialismus mit dem National-Sozialismus hingewiesen. Das hat ihm die Verachtung all jener beschert, die Politik nach dem Freund-Feind-Schema betreiben und links als „gut“ und rechts als „böse“ betrachten.

Aus strikt liberaler Sicht ist das herkömmliche Links- Rechts-Schema untauglich. Freiheitsfreunde sind nicht automatisch gegen Solidarität, solange diese frei gewählt und selbstbestimmt ist, und der Sozialismus stellte ursprünglich – schon rein terminologisch – nicht den Staat, sondern die „societas“, die Gesellschaft, in den Mittelpunkt. Dies hat dann intern zu unterschiedlichen Gruppierungen geführt, unter anderen auch zur Genossenschaftsbewegung, die jenen Zentralismus und Etatismus kritisiert, der heute weltweit von fast allen Parteien, allerdings mit unterschiedlichen Motiven, vorangetrieben wird.

Die fatale Links-Rechts-Dichotomie übersieht, dass es auch einen Gegensatz gibt zwischen Kollektivisten und Individualisten sowie zwischen Befürwortern von Zwang einerseits und Anhängern freiwilliger Vereinbarungen andererseits. Den Staat ganz abschaffen wollen die Anarchisten, aber diese Bewegung hat sich schon früh in zwei verfeindete Gruppierungen aufgespalten, die unter sich ebenfalls Flügelkämpfe ausfechten, vor allem wenn es um die Stellung des Individuums sowie den Wert des Privateigentums und des Geldes geht.

Mischformen von Kollektivismus und Individualismus werden von Kommunitaristen und Kommunalisten propagiert, die eine Gesellschaft anstreben, die auf freiwilligem Austausch und gegenseitigen Lernprozessen und nicht auf zentralstaatlichem Zwang beruht. Letztere wollen auf möglichst lokaler Ebene unterschiedliche Experimente freien Zusammenklebens wagen und lassen sich im herkömmlichen Parteienschema nicht einordnen. Diese genannten Gruppierungen haben es weltweit schwer, sich in einer politischen Welt, in der über Mehrheiten oder Mehrheitskoalitionen um die Macht im Zentralstaat gerungen wird, wirksam zu organisieren.

Pendelten zwischen linkem und rechtem Etatismus: Benito Mussolini und Adolf Hitler, hier München 1940

Der aktuell gefährlichste Gegner der Freiheit ist nicht der Sozialismus mit seinen intern ebenfalls unterschiedlichen Koalitionen, sondern der zentralistische Etatismus, der in der Politik weltweit von fast allen Parteien vorangetrieben wird.

Daraus ergibt sich folgende, höchst unpopuläre These: Sowohl der herkömmliche Sozialismus als auch der bürgerliche Antisozialismus fordern trotz unterschiedlicher Motive mehr Staat und mehr Zentralismus. Sie bewirken entweder einen linken Korporatismus mit Dominanz der politisch organisierten Gruppeninteressen, der Staatsrentner und Staatsfunktionäre oder einen rechten Korporatismus mit Dominanz der organisierten Wirtschaft als Großkartell.

Sozial-Nationalismus versus National-Sozialismus (im ursprünglichen Wortsinn) sind die Degenerationsformen ihrer Ursprungsideologie. Beide sind verknüpft mit zunehmender, nicht mehr bremsbarer Staats- und Fiskalgewalt mit oder ohne demokratisch legitimierte Führer. Wenn diese scheitern, werden sie in Wahlen durch ein Pendant der Gegenseite ersetzt, das dann jeweils den bestehenden Apparat noch mehr ausbaut. Es gibt also ein informelles politisches Konglomerat von linken und rechten Etatisten, die ein ideologisches Scheingefecht führen, das zum Staatsverwaltungs- und Fiskalwachstum führt und den paritätisch zusammengesetzten Staatsapparat als „lachenden und profitierenden Dritten“ kontinuierlich aufbläht.

Die Sozial-Nationalisten sind für den umverteilenden Obrigkeitsstaat, der die ökonomische Basis der gemeinsamen Abhängigkeit bildet, die man dann „nationale Solidarität“ nennt. Die International-Sozialisten starten mit der Utopie der „internationalen Solidarität“, resignieren aber bei allen historisch gestarteten Experimenten bald vor der Tatsache, dass Menschen zwar an das Teilen gewöhnt werden können, aber Solidarität stets zur Gruppensolidarität mutiert und niemals zur Bereitschaft aller, alles mit allen zu teilen. Wer Solidarität verstärken will, braucht in der Regel ein Feindbild und wird damit zum National-Sozialisten. Nächstenliebe geht dann auf Kosten der Feindesliebe, die seit jeher sehr schwer vermittelbar ist, obwohl sie im Sinn des Einfühlungsvermögens in die Gegenseite eine wichtige Voraussetzung des Völkerfriedens wäre.

Sozialisten starten mit der Solidarität gegen „Klassenfeinde“. Aber diese wandelt sich schnell zu einem auf die nationalen und gleichdenkenden und fühlenden Genossen beschränkten Sozialismus, zu einem nationalen Wirgefühl einer Gruppe, die sich als besonders qualifiziert und auserwählt bezeichnet. Penetrant deutlich wird dies in der russischen und in der chinesischen Spielart der Kombination von Staats-Sozialismus und Staats-Kapitalismus. Beide appellieren an ein historisch verankertes „Wir-Gefühl“, das seinerseits nach außen immer imperialistischer und nach innen immer repressiver wird.

Das ist der Fluch des Etatismus.

Eigentümlich frei – Nr. 228 – Dezember 2022 – Seite 32-33

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