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Bewaffnete Neutralität ist kein Auslaufmodell

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(Leserzuschrift NZZ, 10.11.2022, S. 18)

Das Festhalten an einer Neutralität mit möglichst wenig relativierenden Adjektiven, die dem Ziel der eben lancierten Initiative entspricht, hat durchaus eine konservative und allenfalls auch rückwärtsgewandte Komponente. («Der Rückzug ins Schneckenhaus ist der falsche Weg, NZZ, 9, 11. 22) Diese Beurteilung im Kommentar von Tobias Gafafer trifft zu.
Sie ist aber ihrerseits zu kurzfristig und zu gegenwartsbezogen ausgerichtet. Eine sorgfältige und längerfristig angelegte Analyse weltpolitischer und geostrategischer Entwicklungen und möglicher Blockbildungen ergibt ein anderes Bild. Bewaffnete Neutralität mit offenen Optionen der Kooperation im Falle eines Angriffs hat Zukunft und ist alles andere als ein «Auslaufmodell».

Es werden künftig weltweit nicht stets die «guten», freiheitsliebenden Nationen vereint den «bösen» totalitären Kollektivisten gegenüberstehen, sondern neue Blöcke, die unterschiedliche, auch rohstoffbedingte und rein merkantilistische nationale Interessen vertreten und Ambitionen auf eine Weltherrschaft oder mindestens auf eine kontinentale Dominanz verfolgen. Angesichts solcher Perspektiven ist eine konsequente und gegen innen und aussen verlässlich festgehaltene Neutralität alles andere als ein Rückzug ins konservative «Schneckenaus». Sie ist eine bewährte, sehr weise und langfristig taugliche Option kleinerer, mittlerer und auch grosser Nationalstaaten, die möglichst eigenständig überleben wollen indem sie sich weigern, sich als sicherheitspolitische Kolonie an ein grosses Bündnis anzulehnen.
Die auf Neutralität basierende universelle Offenheit ist nicht nur in der Aussenhandelspolitik, sondern auch in der Sicherheitspolitik eine freiheitliche, zukunftsträchtige Option.

Robert Nef, St. Gallen

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