(Leader September 2022, Seite 8)
Anlässlich von Auslandreisen, bei denen ich zahlreiche Persönlichkeiten aus der Wirtschaft und der Think-Tank-Szene
treffe, die weder im akademischen noch im gouvernemental-diplomatischen Bereich tätig sind, stelle ich fest, dass es ein aktives Interesse am Sonderfall Schweiz gibt – viele brauchen auch den Ausdruck «Erfolgsmodell».
Genannt werden: Föderalismus mit Steuerkonkurrenz, Neutralität, direkte Demokratie, Kommunalautonomie, EU-Nichtmitgliedschaft, reine Miliz-Defensivarmee mit Verzicht auf Angriffsfähigkeit. Wir sollten das nicht ignorieren. Es kursiert heute vor allem unter Intellektuellen die Meinung, die Schweiz habe einen Nachhol- und Modernisierungsbedarf und müsse sich international anpassen, mit Staatsverträgen vernetzen und aktiv – auch in militärischen – Bündnissen mitwirken.
Da wird einmal mehr Anpassung mit Fortschritt verwechselt. Man kann auch in die falsche Richtung fortschreiten. Das beharrliche Festhalten an bewährten Werten sollte in der Politik weder mit nationalem Konservatismus noch mit Lernverweigerung verwechselt werden. Gerade wer sich gegen politische Modetrends stellt, muss mit Blick nach vorn bereit sein, dagegen aktiv anzukämpfen. Trends veralten, Prinzipien bleiben.
Leider wird in der Politik – und noch mehr in der immer einflussreicher werdenden Verwaltung – dem Trend der internationalen Anpassung gehuldigt. Das führt zum Paradox, dass die «offizielle Schweiz» alle Merkmale schrittweise abschaffen will, für die uns andere achten, bewundern und manchmal sogar beneiden. Und all dies nur, weil wir den Wahn haben, wir müssten endlich gleich sein wie sie.
Robert Nef, Publizist, St.Gallen