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In Krisen und Kriegen wächst der Staat

Lesedauer: 5 Minuten


(Finanz und Wirtschaft – Meinungen)


Nach einem Kollaps überforderter, zahlungsunfähiger Staaten folgt kaum einfach der Triumph der Freiheit. Es braucht vielmehr einen schrittweisen Ausstieg aus der Staatsabhängigkeit. Ein Kommentar von Robert Nef.

«Das Grundsatzproblem ‹Staat oder Markt› bzw. ‹Zwang oder Austausch› wird immer mehr zu einer Frage des Masses und der Opportunität.»

Weltweit wächst die Staatsmacht, und wir stehen vor der Frage, was denn dieses Wachstum antreibe. Zwei Ursachen stehen im Vordergrund. Erstens die Herausforderungen von Krisen und Kriegen, die zunächst Notrecht provozieren, das dann, wenn es einmal etabliert ist, zur Normalität wird, und zweitens der zunehmend breit abgestützte, oft blinde Glaube an die Allmacht des Staates, der in säkularisierten Gesellschaften die Rolle eines Gottesersatzes übernimmt. «Der Staat soll’s richten», heisst es letztlich nicht nur in akuten Notzeiten, sondern auch gegenüber allen Herausforderungen der Zukunft. Er wird zum allzuständigen Retter der Menschheit, weil nur der Staat über die Zwangsgewalt verfügt, die für eine gemeinsame Zukunft der Menschheit für notwendig gehalten wird.

Inneres Staatswachstum und der Hunger nach territorialer Expansion sind fatal miteinander verknüpft. Sie lassen sich nach dem herkömmlichen Links-rechts-Schema nicht zuordnen. Innenpolitische und wirtschaftspolitische Misserfolge verstärken oft die Aggressionen gegen angebliche Feinde, denen man die Verantwortung für das Scheitern politischer Versprechungen zuschieben kann. Je enger Staat und Wirtschaft innenpolitisch zusammenrücken, desto aggressiver wird das politische System gegen aussen. Das produktive Konzept der wirtschaftlichen Konkurrenz wird durch das destruktive Konzept der politischen Machtkonkurrenz unter Nationen und Wirtschaftssystemen ersetzt. In der Folge erlangt die Steigerung des weltpolitischen Einflusses und der ökonomischen Stellung auf Weltmärkten höchste Priorität.

Ökonomie wird zur Nationalökonomie in einem fiktiven Wettbewerb von Staaten mit staatsabhängigen Unternehmen. Im sozialen Bereich wird der aktuelle Zustand als «ungerecht» bezeichnet, und er soll nach einem Krieg durch einen angeblich «besseren Frieden» (besonders zugunsten der eigenen Bevölkerung) ersetzt werden. Die Militärmacht wird so auch zum Instrument der politischen Ideologie und einer expansiven merkantilistischen Aussenhandelspolitik.

Kollektiver Zwang ist kontraproduktiv

Zwei historische Erfahrungen werden dabei sträflich missachtet. Auch der Staat und seine Führung bestehen aus irrtumsanfälligen Menschen, deren Macht selbst in einer Demokratie leicht ausser Kontrolle gerät, und der kollektive Zwang bewirkt auf die Dauer oft das Gegenteil seiner ursprünglichen Motive. Gibt es einen Ausstieg aus dem Teufelskreis dieser beiden weltweit zu beobachtenden Phänomene? Braucht es zur Überwindung der zunehmenden Staatssucht einen Zusammenbruch, eine Insolvenz oder eine akute Krise in einem vitalen Bereich, z.B. in der Energieversorgung?

Es gibt gegen eine schrittweise Zunahme der Staatsmacht kein Patentrezept. Beide erwähnten «Treiber» rufen nach unterschiedlichen Bremsen, weil auch die Motive stark differieren. Kriege werden von politischen Führern und Verführern mit Machtambitionen und Wahnvorstellungen angezettelt, und sie können weder vom Markt noch von friedlichen Zivilgesellschaften aus eigener Kraft gestoppt werden. Das ist der Fluch des Krieges, dass er letztlich auch bei den Friedfertigen mehr Gewalt und mehr Staatsgewalt provoziert.

Kriege sind als solche nicht populär, aber wenn sie als Schritt zu einer besseren gemeinsamen Zukunft angepriesen werden, wächst im Hinblick auf den in Aussicht gestellten Sieg vor dem Krieg und im Krieg allerseits die Opferbereitschaft, während die Bereitschaft zum Friedensschluss sinkt. In Kriegen geht es um Sieg der «eigenen Guten» und um die Niederlage der «gegnerischen Bösen». Aus dieser Sicht gibt es keine graduellen Lösungen und keinen politischen Spielraum für Kompromisse.

Für einen Friedensschluss braucht es aber entweder den totalen Zusammenbruch der einen Seite oder einen rationalen Grundkonsens, dass Friede auf die Dauer für die meisten Betroffenen und Beteiligten eben die bessere Option ist als die Fortsetzung von Gewalt und Widerstand.

Kampf um die Vormacht im Staat

Dass Politik auch in Friedenszeiten so etwas wie ein unerbittlicher Kampf um die Vormacht im Staat sei, prägt leider immer noch das Weltbild vieler Menschen. Diese kriegerische Grundstimmung des Entweder-oder rechnet auch innenpolitisch mit einem Scheitern der einen Seite, das einen radikalen Neubeginn auf der anderen Seite ermöglichen soll. Die Vorstellung von «Sieg und Niederlage» bestimmt vor allem in Wahlzeiten zunehmend die nationale Politik in Europa, vor allem in Staaten, in denen Wahlen auch einen Regimewechsel bewirken.

Staaten haben weltweit als Rohstoffeigentümer, als Zentren der Geldpolitik und als Anbieter und Kunden im Bereich der öffentlichen Infrastruktur eine sehr grosse wirtschaftliche Macht, und es ist in vielen Branchen der Privatwirtschaft von erheblichem Vorteil, mit dem politischen System zu kooperieren, um damit mindestens indirekt an seinem Gewaltmonopol zu partizipieren. Weltweit hat sich ein Korporatismus (d.h. ein Deal zwischen Staat und Wirtschaft) etabliert, bei dem es schwer auszumachen ist, wer in der Wirtschafts-, der Finanz- und der Steuerpolitik wirklich wen bestimmt oder wie und in welchem Mass mitbestimmt wird.

Natürlich wird diese «Verbandelung» teilweise recht handfest von der real existierenden Staatsmacht erzwungen, aber diese Macht ist nur darum so erfolgreich, weil auf der anderen Seite die opportunistische Bereitschaft zur Kooperation zunimmt. Vor allem von der «organisierten Wirtschaft» wird sie als «Weg der Vernunft» und als alternativlose «Anpassung an Sachzwänge» in einer real existierenden etatistischen Second-Best-Welt angepriesen. Da machen heute leider auch Bürgerliche vertrauensselig mit, und sie berufen sich auf die gefährlich Maxime: «Es gibt in Demokratien praktisch keine Alternative zur sozialdemokratischen Daseinsvorsorge für alle», und aus dieser Sicht genügt es, wenn verhindert wird, dass sie in den totalitären, zentralverwalteten Staatssozialismus abdriftet.

Das Grundsatzproblem «Staat oder Markt» bzw. «Zwang oder Austausch» wird immer mehr zu einer Frage des Masses und der Opportunität. Angestrebt wird ein sozialer Friede auf Zeit («Peace for our Time») zulasten kommender Generationen, und die Grundfrage nach den langfristigen Kosten und Folgen für alle wird verdrängt. Es gibt leider zu wenige politisch Engagierte, die sich für eine weitsichtige Kultur von Eigenständigkeit und Freiheit einsetzen, die auf der Basis freier, friedlicher, nachhaltig praktizierbarer und rücksichtsvoller mitmenschlicher Kooperation beruht und ihrem Wesen nach nicht erzwungen werden kann.

Revolutionen bewirken mehr Staat

Die Freiheitsfreunde, die nicht resigniert haben, hoffen oft auf den «grossen Knall», auf eine freiheitliche Revolution, die das Versagen der Politik endgültig entlarven soll. Diese Hoffnung ist aber wenig rational. Nach einem Zusammenbruch von zunehmend überforderten und zahlungsunfähigen Staaten steigt aus den Trümmern kaum die Freiheit wie ein Phönix aus der Asche. Jeder Neubeginn läuft Gefahr, mit mehr Staatsmacht und weniger Freiheit zu starten. Politiker profilieren sich ja im Staat, weil sie in einem besseren, stärkeren und mächtigeren Staat eine bessere Zukunft für alle in Aussicht stellen. Das Resultat politischer Umbrüche, sei es nun nach rechts oder nach links, ist in der Regel mehr Staat und nicht weniger Staat. Nicht nur Krieg, sondern auch die Hoffnung auf einen radikalen innenpolitischen Wechsel ist Treiber des Staatswachstums.

Müssen die Freunde der Freiheit und die Skeptiker des kontinuierlichen Staatswachstums angesichts dieser säkularen Trends kapitulieren? Nein. Es gibt Auswege und Chancen. Es gibt das Szenario eines schrittweisen Ausstiegs aus der Staatsabhängigkeit, einer Entziehungskur, die umso wahrscheinlicher wird, je kleiner der politische Verband ist, der das Experiment wagt. Gewinnen wird, wer als Erster den Ernst der Lage erkennt und das Experiment mit «weniger Staat» anpackt, bevor dieser weltweit zum allzuständigen und allmächtigen und tendenziell überforderten Daseinsvorsorger für alle wird.

Zum Autor
Robert Nef ist Mitglied des Stiftungsrats des Liberalen Instituts.

Quelle: https://www.fuw.ch/article/in-krisen-und-kriegen-waechst-der-staat

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