(Weltwoche)
Auch wenn selbsternannte Antirassisten dagegen Sturm laufen: Wo Fremdes das Eigene befruchtet, blüht das Leben.
Mit dem Abbruch eines Konzerts von drei Schweizern, die in Bern im entsprechenden Outfit Reggae-Musik spielten, ist der Tiefpunkt der politisch korrekten Rassismusdiskussion erreicht. Es ist jener Punkt, bei dem sich der Antirassismus selbst als Rassismus entlarvt.
Die vom Abbruch betroffenen Musiker haben nicht resigniert, aber sie wollen sich nicht parteipolitisch vereinnahmen lassen. In einem Interview äussern sie sich im Nebelspalter wie folgt: «Jesse: Kulturelle Aneignung findet statt. Überall auf der Welt. Ohne das jetzt werten zu wollen. Die Frage ist: ‹Wie findet sie statt?› Wird die ‹angeeignete› Kultur respektlos behandelt oder Leute aufgrund ihrer Kultur ausgeschlossen? Dominik: Vor allem halte ich es für sehr problematisch, von kultureller Aneignung in Bezug auf Musik zu sprechen. Musik ist dazu da, dass sie verbindet und nicht ausschliesst. Vor allem schätzen es die Menschen aus der Rastafari-Kultur, wenn ihre Ansichten, ihre Vibes sozusagen, durch Musik weitergetragen werden.»
Regenbogenfarbene Tagesordnung
Wenn die betroffenen Musiker «das nicht werten wollen», heisst das nicht, dass man als Freund einer freien, weltoffenen Kultur, als Befürworter des kulturellen Austauschs schweigen sollte. Dass es Fanatiker gibt, die überall Rassismus wittern, ist in einer offenen Gesellschaft wohl nicht zu vermeiden. Aber dass es eine Öffentlichkeit gibt, die sich zunehmend dadurch einschüchtern lässt, um ja nicht etwas allenfalls Unkorrektes zu machen, ist ein Alarmzeichen. Gefügige, vom Mainstream geprägte Etatisten finden sich nicht nur in Bern, aber wehe, wenn sie schweizweit zunehmend den Ton angeben und niemand mehr wagt, ihnen zu widersprechen.
Kultur besteht seit je aus Austausch und aufs einer Übernahme dessen, was anderswo Erfolg hat.
Menschen mit einem noch gesunden Menschenverstand müssen sich jetzt von diesen Scharfmachern abgrenzen. Sie dürfen sich diese Unkultur der politischen Korrektheit nicht schrittweise und bis und mit kultureller Aneignung gefallen lassen. Man darf jetzt angesichts einer aus dem Ruder gelaufenen Rassismus- und Genderdiskussion auch in der Schweiz nicht einfach zur medial tonangebenden rot-grünen und regenbogenfarbenen Tagesordnung zurückkehren.
Kultur wird durch Austausch belebt. Das gilt nicht nur in der Musik, aber es manifestiert sich dort besonders deutlich. Viel angeblich eigenständige Volksmusik beruht auf grenzüberschreitendem Import. Die Appenzeller spielen und tanzen nicht nur Wälserli, sondern auch Masolke. So nennen sie die aus Polen «kulturell angeeignete» Mazurka. Wien wurde zur Weltstadt der Musik, weil es dort zur musik-kulturellen Aneignung osteuropäischer Harmonien und Rhythmen kam. Auch der «Türkische Marsch» von Mozart war eine gleichzeitig aus- und eingrenzende Aneignung, nicht zufällig in jener Stadt, vor deren Mauern der damalige Vormarsch der Türken nach Westeuropa gestoppt wurde.
Kultur besteht seit je aus Austausch und auf einer Übernahme dessen, was anderswo Erfolg hat. Selbstbewusstes Kulturleben und Rezeption von Fremdem befruchten sich gegenseitig, wenn das Fremde nicht dominiert. Was auffällt, gefällt, und was andern gefällt, muss aktiv kommuniziert und getestet werden. Es wird zur Mode, die ihrerseits autonom selektioniert, was Bestand hat und was wieder verschwindet, um dann in anderem Gewand irgendwann wieder aufzutauchen. In der Mode ist der Zusammenhang von Wirtschaft und Kultur gut sichtbar, und jene Kultur wird steril, in der die Politik bestimmt und bezahlt, was gerade Mode sein darf.
Charme des Eigentums
Wirtschaft hat kulturelle Wurzeln und beruht auf dem Austausch von Eigenem und Fremdem. Der eigentliche Charme des Eigentums besteht darin, dass es zunächst zwar spezifiziert und isoliert, aber gerade durch Isolation den Austausch als Transaktion und als einvernehmliche wechselseitige Aneignung ermöglicht. Was aus dieser neuen Kombination von Eigenem und durch Austausch Angeeignetem entsteht, ist nicht vorausbestimmbar. Darum haben die Musiker recht, wenn sie bemerken, die Bewertung bleibe stets offen und liege jenseits von Zulassung und Verbot. Der Marktpreis zeigt die jeweilige Knappheit besser an als alle noch so objektiven oder gar moralisierenden behördlichen Bewertungen.
Eine von Gleichheitsfanatikern definierte homogene Weltkultur, bei der das, was allen gemeinsam ist und gemeinsam gehört und gehören darf, obrigkeitlich definiert und von Gerichten sanktioniert wird, ist eine totalitäre und egalitäre Horrorvorstellung. Sobald von Regierungen und von Gerichten entschieden wird, wer sich von wem was kulturell und ökonomisch aneignen darf und was allenfalls rassistisch gedeutet werden könnte, kippt eine auf Privateigentum und Privatautonomie und offenen Märkten beruhende Gesellschaft in eine totalitäre, sozialistische Zwangsgemeinschaft um. Kultur wird definitiv zur Sache des Staates. Der Staat bestimmt dann nicht nur, wer welche Musik spielt, sondern auch, wer öffentliche Reden halten darf und wer generell den Ton angibt.
Wehret den Anfängen! Wir sind schon recht weit in die falsche Richtung fortgeschritten.
Quelle: https://weltwoche.ch/story/kulturelle-aneignung-ist-ein-segen/