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Die Frage nach der Kriegsschuld verhindert den Frieden

Lesedauer: 2 Minuten


(Nebelspalter – Ukrainekrieg – 10. Juli 2022)

Auf blindem Putin-Hass kann aber kein Friedensplan basieren: Krieg in der Ukraine.

Was den Krieg in der Ukraine betrifft, muss zunächst in aller Deutlichkeit festgehalten werden, dass nichts einen militärischen «Einmarsch» in ein Nachbarland rechtfertigt, selbst wenn dieses noch so korrupt und «auslandabhängig» sein sollte. Aber: Die Frage nach einer alleinigen «Kriegsschuld» ist immer falsch gestellt, und sie führt in jene Sackgasse, die keinen dauerhaften Frieden ermöglicht. Der verhängnisvolle «Vertrag von Versailles», in dem man Deutschland als allein «kriegsschuldig» bestrafen und demütigen wollte, legte den Keim zum 2. Weltkrieg. Eroberer und Sieger taugen nicht als Friedensstifter.

Auf längere Sicht haben die Russen wohl mit ihrem Angriff (auch in der Ukraine) mehr verloren als gewonnen, selbst wenn sie ihre kurzfristigen Kriegsziele, territoriale Ausdehnung und Meereszugang, erreichen sollten.

Drei Generationen Sozialismus

Der Hauptgrund dieses Krieges ist offensichtlich, aber niemand will ihn aussprechen: Drei Generationen Staatssozialismus machen jedes Land wirtschaftlich und moralisch kaputt, und es ist – hüben und drüben – sehr schwierig, eine Zentralverwaltungswirtschaft in eine offene Marktwirtschaft zu verwandeln. Man hat im Sozialismus – wie ein Bonmot lautet – das vielfältige Aquarium des auf Privateigentum beruhenden Marktes zu einer einfältigen Fischsuppe des Kollektiveigentums verkocht, und der umgekehrte Prozess, – ich nenne ihn den «geordneten Rückzug aus Fehlstrukturen», – ist sehr anspruchsvoll.

Es geht wohl nicht ohne eine Zwischenphase des Industriefeudalismus, den man aber «von aussen» nicht stützen darf. Was jetzt für die Nachkriegszeit in der Ukraine geplant wird, ist nichts anderes als eine neue Kolonisierung, das heisst ein Abhängig-Machen vom Westen.

Es muss ja nicht gleich Liebe sein

Die Frage «Wer hat angefangen?» führt auch im Kinderstreit nie zum Frieden. Konflikte haben oft uralte und irrationale Wurzeln, und die «Suche nach Schuldigen» bringt nichts. Bei jedem Kinderstreit gilt folgendes Schlichtungsrezept: Wichtig ist nicht, wer angefangen hat, sondern wer «anfängt aufzuhören». Das bedeutet nicht Kapitulation, sondern ist ein Weckruf zur Vernunft, und im gegenwärtigen Krieg müsste er wohl von der Ukraine ausgehen.

Die Achtung vor der Auffassung der Gegner ist heute am Schwinden, und Politik wird, auch in Demokratien, nach dem von Carl Schmitt analysierten Freund/Feind-Schema betrieben. Man kümmert sich immer weniger um die gemeinsam bewegliche Lösung gemeinsamer Probleme. Auf blindem Putin-Hass kann aber kein Friedensplan basieren. Viele Menschen wollen heute jemanden hassen, und der biblische Aufruf zur Feindesliebe, ist daher aktueller denn je.

Es muss ja nicht gleich Liebe sein, aber ein gewisses Einfühlungsvermögen in die Gegenseite ist die Voraussetzung jedes Friedens. Ich bin kein Putin-Versteher, aber der blinde Putin-Hass führt in eine Sackgasse mit immer schlimmeren Folgen. Der Vergleich mit dem 2. Weltkrieg, in dem man eine bedingungslose Niederlage der einen Seite die Voraussetzung des Kriegsendes war, ist in diesem Konflikt untauglich. Eine Atommacht wird nie kapitulieren. Soll der Hass nicht ins Grenzenlose eskalieren, braucht es jenen Mut zum Aufhören, der nichts mit Unterwerfung zu tun hat.


Quelle: https://nebelspalter.ch/die-frage-nach-der-kriegsschuld-verhindert-den-frieden

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