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Für alle Freunde der Freiheit

Lesedauer: 3 Minuten

(Schweizerzeit – Nr. 15, Freitag, 13. August 2021 – Seite 18-19)

«Freiheit in Deutschland» – ein neues Buch von Gerd Habermann

Rezension von Robert Nef, Publizist, St. Gallen

Der deutsche Historiker und Sozialphilosoph Gerd Habermann legt nach seinem Standardwerk zur Kritik am Wohlfahrtsstaat eine sehr lesenswerte, auch politisch bedeutsame Geschichte der Freiheitsidee vor, der man auch in der Schweiz eine grosse Leserschaft wünscht.


Im Lauf der Jahrhunderte gab es im deutschen Sprach- und Kulturraum eine Vielfalt von nebeneinander existierenden Gemeinschaften, die ein Zusammenleben in Freiheit zum Ziel hatten. Es gelingt dem Autor, eine Gesamtschau über diese Bestrebungen zu vermitteln und den Gründen für deren Erfolg und Misserfolg nachzugehen.

Ein ganzes Kapitel ist der Freiheit der Bauern im Mittelalter gewidmet. Es gab damals vielerorts politische Zusammenschlüsse mit dem gemeinsamen Ziel, einen genossenschaftlichen Freistaat zu verwirklichen. Das Deutsche Reich war damals ein lockerer Verband unterschiedlichster Gebietskörperschaften. Die innerhalb dieses Rahmens erfolgte Gründung der Eidgenossenschaft wird in einem Abschnitt mit der Überschrift «Die Schweiz – das Gelingen» gewürdigt.

Vielfalt begünstigt Freiheit

Alle Versuche einer abschliessenden Vereinheitlichung unter der politischen Herrschaft einer Zentralen haben etwas Gewaltsames. Die Tatsache, dass der deutsche Sprachraum nicht identisch ist mit den politischen Grenzen des heutigen Deutschland, und dass die deutsche Geschichte nur im Kontext mit der Geschichte Europas adäquat beschrieben werden kann, bieten dem Autor Gelegenheit, das heute vielerorts vorherrschende Vorurteil zu entkräften, die Geschichte der Deutschen sei von den fatalen Irrtümern nationalistischer und sozialistischer Totalitarismen im 20. Jahrhundert geprägt. Mit guten Gründen weist der Autor darauf hin, dass der Dezentralismus (Wilhelm Röpke) und der auch als «Kleinstaaterei» gescholtene Partikularismus in Deutschland während Jahrhunderten ein buntes Nebeneinander ermöglicht hat. Diese Vielfalt hat die Entwicklung freiheitlicher Werte begünstigt und befruchtet. Im kleinen Weimar sind sich Menschen begegnet, deren Werke bis heute als Weltkulturgut nachwirken, und im ebenfalls kleinen, entlegenen Königsberg, schrieb Kant seine Werke, die für die Philosophie der Freiheit Marksteine setzten.

Gegen Unterdrückung und Zentralisierung

Die Geschichte der Freiheit ist geprägt von den Widerständen gegen alle Formen der Unterdrückung, der Knechtschaft und der erzwungenen Zentralisierung. Sowohl die Unterdrückung als auch die Auflehnung dagegen sind Phänomene, die weltweit und in allen Epochen nachweisbar sind und die man nicht bestimmten Völkern und Ländern zuordnen kann. Habermann zeigt, dass Deutsche zur Geschichte der Freiheitsidee Grosses und Bleibendes beigetragen haben.

Besonders hervorzuheben ist Friedrich Schiller, der mit seinem Wilhelm Tell für den 1848 gegründeten Schweizer Bundesstaat eine wichtige ideelle Basis gestiftet hat. Freiheit kann auf die Dauer nicht durch den Staat von oben erzwungen und nach aussen verteidigt werden. Sie entsteht in vielfältigen, experimentell offenen kommunikativen Lern- und Wettbewerbsprozessen immer wieder neu und muss beharrlich gegen alle Versuche der Zentralisierung und Bürokratisierung verteidigt werden. Als Gegenmittel nennt Habermann in seinem Schlusskapitel den Wettbewerb von kleinen politischen Einheiten, den konsequenten Minderheitenschutz und den Vorrang der Privatautonomie vor dem politischen Zwangsapparat und den Rückbau des ausufernden Umverteilungsstaates.

«Sturzbach der Freiheit»

Für den Verfasser dieser Rezension gibt es drei wichtige Beiträge der Deutschen (im Sinn einer Sprach- und Kulturgemeinschaft) zur Geschichte der Freiheit. Erstens: Die deutsche Aufklärung und Klassik. Zweitens: Der Wettbewerb im Rahmen der non-zentralen Vielstaaterei und der Städtebünde und der Konfessionen im lockeren Reichsverbund. Drittens: Der deutsche Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg, den man zu Unrecht als «Wunder» bezeichnet hat. Ludwig Erhard hat dafür einen treffenden und zukunftsträchtigen Begriff geprägt: Den «Sturzbach der Freiheit».

Was sich unmittelbar nach dem Krieg ereignet hat, war keine von Besatzungsmächten und deutschen Fachleuten gemeinsam veranstaltete und mit Hilfe des Marshall-Planes finanzierte staatliche Wirtschaftsreform unter dem nachträglich gesetzten Titel «Soziale Marktwirtschaft». Die neue Wirtschaftsfreiheit setzte sich im Chaos nach dem Krieg spontan durch. Niemand erwartete nach der Hitlerzeit das Heil von einer zentralen Obrigkeit, und man setzte auf Leistungsbereitschaft, Wettbewerb, Privatinitiative und freie Kooperation, weil es keine Alternative gab. Leider werden diese entscheidenden Triebfedern von Freiheit und Wohlstand in den letzten Jahrzehnten auch in Deutschland immer weniger beachtet.

Fazit

Gerd Habermann verfolgt in seinem Buch die Geschichte des politischen Liberalismus in Deutschland bis zu dessen Wurzeln. Es ist ihm zudem anhand des Beispiels der Geschichte der Deutschen gelungen, aufzuzeigen, dass die Idee der Freiheit und des Wettbewerbs ihre Wurzeln in der historischen Vorzeit hat und damit zur Geschichte der Menschheit gehört.

Die Idee der Freiheit als Auszug aus der Knechtschaft ist viel älter als der im Zeitalter der Aufklärung entstandene politische Liberalismus. Es gibt aus dieser Perspektive keinerlei Gründe, ein europaweites oder gar weltweites Ende des Strebens nach Freiheit und Eigenständigkeit zu prognostizieren. Freiheit hat Herkunft und Zukunft, aber sie muss weltweit immer wieder neu errungen werden.


Gerd Habermann: «Freiheit in Deutschland – Geschichte und Gegenwart». Lau-Verlag, Reinbek 2021.

Schweizerzeit – Nr. 15, 13. August 2021 – Seite 18-19

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