Zum Inhalt springen

Schleichender Etatismus

Lesedauer: 3 Minuten


(Nebelspalter)

Die sozialdemokratischen Parteien gewinnen in Europa kaum mehr Wahlen. Die Zahl deklarierter Parteimitglieder aus der angestammten linken Wählerschaft der «lohnabhängigen Arbeiter» ist im Zeitalter der Automatisierung und elektronischen Vernetzung rückläufig.

Szene aus Gulliver’s Reisen: Gulliver in Brobdingnag.

Die etatistische Linke ist in der Verbindung von «Rot-Grün» unter der Führung von staatsgläubigen und staatsabhängigen Intellektuellen trotzdem auf dem Vormarsch. Der demokratische Sozialismus gewinnt im Umverteilungsstaat seine Anhänger heute nicht mehr durch ideologische Appelle, sondern durch ein schrittweises Abhängig-Machen aller von staatlichen Dienstleistungen und Geldern und durch die Propagierung des Staates als Garanten einer umwelt- und klimaverträglichen Entwicklung. Parteiübergreifend hat sich heute ein opportunistisches Programm durchgesetzt, das sich von Partei zu Partei nur noch graduell unterscheidet: «Mehr Staat für alle und noch etwas mehr für mich und meine eigenen Interessen, möglichst auf Kosten anderer». Fast alle sind ein wenig «etatistisch-sozialistisch» geworden, natürlich ohne dies zuzugeben. Man nennt es «realistisch» und «solidarisch», «fortschrittlich» und «umweltbewusst». Auch die angeblichen «Anti-Linken» sind für «mehr Staat» im Hinblick auf ihre eigenen Anliegen in korporatistischen Netzwerken.

Man kann diese Art von zunehmender Staatsabhängigkeit mit guten Gründen als kollektive Sucht bezeichnen, die zu einer entmündigenden Abhängigkeit aller führt. Der aktuelle Zustand mit einer Staatsquote von über 50 Prozent und einer fast gleich grossen Zahl von direkt oder indirekt staatsabhängigen Arbeitnehmenden wird als «neue Normalität» empfunden. Eine entsprechend angepasste und anpasserische und mit-süchtige Medienlandschaft unterstützt dieses trügerische Grundgefühl. Solange die öffentlichen Mittel reichen, merkt das kaum jemand. Alles Gute und Not-wendige wird zur Staatsaufgabe. Der Staat muss die steigenden Gesundheitskosten tragen, der Staat muss das Klima retten, der Staat muss die Vollbeschäftigung sicherstellen, der Staat muss günstigen Wohnraum und verbilligte Mobilität für aller bereitstellen, der Staat muss Kinderbetreuung und Bildung gewährleisten, der Staat muss die Zugewanderten integrieren und der Staat muss die Kultur finanzieren, koste es was es wolle.

Aber wenn die Ansprüche steigen und das Verteilte und Umverteilte plötzlich knapper wird, steigt die Bereitschaft zur Rebellion, die allerdings nicht «weniger Staat» fordert, sondern «noch mehr Staat» mit unterschiedlichsten, auch widersprüchlichen Motiven, die dafür vorgebracht werden. Die Frage, wer das alles letztlich bezahlen soll, wird gezielt ausgeklammert. Weil dieses «Wirtschaften zulasten Dritter» nicht nachhaltig praktizierbar und finanzierbar ist, wird früher oder später eine heterogene Koalition der unzufriedenen Staatsklienten dagegen rebellieren. Die präventive polizeiliche Rebellionsbekämpfung wird zur primären und immer intensiveren und kostspieligeren Staatsaufgabe. Der Wohlfahrtsstaat entpuppt sich dann definitiv als totalitärer Bevormundungs- und Polizeistaat, eine Entwicklung, die sich in der Geschichte schon mehrmals abgespielt hat. Der Staat als «Freund und Helfer» und als generöser «roter» Umverteiler wird schrittweise zum unerbittlichen Unterdrücker und zum «grünen» Zuteiler immer knapper werdender Ressourcen. Spätestens dann beginn bei «Rot-Grün» die Suche nach Schuldigen. Wen wundert’s, dass man sie zunächst bei den «reichen Abzockern» lokalisieren wird, die angeblich genau um das «zuviel verdienen» was in den Staatskassen fehlt. Aber diese Rechnung wird ohne den (Volks)Wirt gemacht. Die Methode, die Armen reicher zu machen indem man die Reichen ärmer macht, hat auf die Dauer noch nirgends funktioniert.

Quelle: https://www.nebelspalter.ch/schleichender-etatismus

Schlagwörter:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert