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Die Kirchen und ihr Hang zu politischen Kampagnen

Lesedauer: 3 Minuten

(NZZ – Meinung & Debatte – Montag, 7. Mai 2021, Seite 19)

Die Kirchen dürfen und sollen politisch Widerstand gegen die Staatsgewalt leisten, wenn diese in die Glaubenssphäre eingreift. Sie sollten aber nicht die Mittel der Politik als Instrument zur Durchsetzung ihrer eigenen, glaubensbasierten Anliegen missbrauchen. Gastkommentar von Robert Nef

Bei der Konzernverantwortungsinitiative stellte sich wieder einmal die Frage nach dem politischen Mandat der Landeskirchen, und sie hat nach dem knappen Ausgang zugunsten der Gegner auch zu einer Klage beim Bundesgericht geführt. Dieses hat nun entschieden, die heikle und vielschichtige Grundfrage offen zu lassen, weil sich ja der Standpunkt der Kläger trotz dem propagandistischen Engagement der Kirchen auf der anderen Seite durchgesetzt habe.

Es kann nicht darum gehen, von den Kirchen eine vollständige politische Abstinenz zu verlangen. Wenn sich der Staat zu viel Macht anmasst und sich auch in Glaubensangelegenheiten einmischt, müssen nicht nur einzelne Christen, sondern auch kirchliche Gemeinschaften Widerstand leisten, auch politisch. Wenn sich die Kirchen um Politik im Sinne eines Widerstands gegen allgemeinverbindlichen Zwang im Bereich ihres Bekenntnisses kümmern, ist dies in ihrem ureigensten Interesse. Diese Art von «Politik» als Handhabung des Widerstandsrechts gegen eine Staatsgewalt, die sich in die Bereiche des Glaubens einmischt, ist nicht nur legitim, sondern geboten.

Anders sieht es aus, wenn die Kirchen ihre eigenen Anliegen mit Hilfe des Staatszwangs durchsetzen wollen, weil ihre eigene Überzeugungskraft offenbar nicht ausreicht. Dies ist eine fatale Grenzüberschreitung. Daraus folgt: Politik als Widerstand der Kirchen gegen die Staatsgewalt, die in die Glaubenssphäre eingreift: Ja. Politik als Instrument der zwangsweisen kollektiven Durchsetzung ihrer glaubensbasierten Anliegen: Nein.

Kirchen dürfen ihrem Wesen nach weder im Krieg Waffen segnen, noch im politischen Kampf Plakate absegnen und aufhängen. Ihr aktives Engagement an der politischen Front ist nicht in erster Linie eine staatspolitische oder staatsrechtliche Frage, sondern eine innerkirchliche Frage nach der eigenen Zuständigkeit. Sie sind eine Gemeinschaft von Überzeugten, Hoffenden und Liebenden mit sehr vielfältigen Zugängen und Auslegungen des Evangeliums, deren zwangsweise Allgemeinverbindlicherklärung ausserordentlich heikel ist. Die Gemeinsamkeit der «bekennenden Kirche» im Zweiten Weltkrieg war kein eigenes politisches Programm, sondern die Ablehnung des Staatszwangs in kirchlichen Belangen und die Distanzierung von der Verletzung elementarer Menschenrechte. Aus katholischer Sicht wird seit je nicht die «gute Politik», sondern «das Heil der Seelen» ins Zentrum gerückt. Die Kirche respektiert die Freiheit der Gläubigen, nach ihrem persönlichen Gewissen abzustimmen und zu wählen. Es gibt aber aus ihrer Sicht Grenzen der Beliebigkeit, und von kirchlicher Seite wurde der Marxismus, der italienische Faschismus und die Rassen- und Staatslehre des Nationalsozialismus offiziell verurteilt.

Es gibt keinen Zwang zum Glauben, und wer den staatlichen Zwang zur Verwirklichung dessen, was er glaubt, einsetzen will, begeht eine sehr heikle Grenzüberschreitung. Kirchen müssen sich ihrem Wesen nach wehren, wenn sie selbst als Teil des staatlichen Zwangsapparats missbraucht oder fremdbestimmt werden, und jene Märtyrer, die sich diesem Zwang verweigert haben, verdienen unsere höchste Achtung.

Heute herrscht vielerorts die Meinung vor, das Evangelium fordere ein Bekenntnis zu einem Sozialismus, der sich für die Gleichheit einsetze.

Die allzu bereitwillige Kooperation mit totalitären Regimen aller Art ist kein Ruhmesblatt der Kirchen. Die Trennung von Kirche und Staat hätte eigentlich ein zentrales Anliegen der Kirchen sein müssen, selbst unter Umständen unter denen die Kirchen von der Staatsnähe profitiert haben. Auch das Pochen auf ein Mehrheitsprinzip, in dem «Stimme des Volkes» zur «Stimme Gottes» erhoben wird, widerspricht dem Christentum, das sich in den ersten Jahrhunderten seiner Existenz als Minderheit zu behaupten hatte und auch heutzutage gut beraten ist, wenn es sich nicht auf parteipolitische Mehrheiten verlässt und darum buhlt.

Heute herrscht vielerorts die Meinung vor, das Evangelium fordere ein Bekenntnis zu einem Sozialismus, der sich für die Gleichheit und für eine Entmachtung der Mächtigen und für die Entreicherung der Reichen einsetze und auch politisch aktiv dafür kämpfe. Zuerst Gerechtigkeit für alle und erst dann Friede auf Erden.

Freiheitsfreunde sehen das anders. Auch sie berufen sich auf eine moralische Überzeugung. Markt und friedlicher Austausch beruhen nicht, wie oft vorgeworfen wird, auf dem Gedanken der egoistischen Vorteilswahrung zulasten Dritter. Dieses Prinzip ist auf Sand gebaut und weder moralisch noch wirtschaftlich zu rechtfertigen. Auch im Bereich der Wirtschaft gilt Nächstenliebe nach dem für alle durchaus zumutbaren Massstab der Selbstliebe. Zur Gottesliebe äussern sie sich nicht, sie lassen diesen Bereich als Glaubensfrage, über die Glaubende selbst zu entscheiden haben, einfach offen. Es wäre zu begrüssen, wenn alle Kirchen vor ihrem politischen Engagement Folgendes beachten würden: Es geht in Glaubensfragen nicht um einen politischen Kampf mit dem Schwert um die angeblich «gerechte Lösung», sondern um den friedlichen Meinungsaustausch unter Menschen, die guten Willens, aber untereinander oft unterschiedliche Meinungen haben.


Robert Nef ist Publizist. Er war Mitgründer des Liberalen Instituts und ist heute Mitglied des Stiftungsrates.

NZZ Montag, 7. Mai 2021, Seite 19

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