(Leader – September 2020 – Seite 47)
Zentralismus wird in der Regel für fortschrittlich und effizient gehalten und Kommunal- bzw. Kantonalautonomie für rückständig, weil dadurch keine Einheitlichkeit erzielt werden kann. Aber ist Einheitlichkeit in einer vielfältigen Realität tatsächlich ein erstrebenswertes Ziel?
Man kann auch einheitlich irren und etwas Falsches tun. Ist es nicht viel besser, wenn zwar Gleiches gleich, aber Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit auch unterschiedlich geregelt wird? Vielfalt statt Einfalt!
Um ein aktuelles Beispiel zu nehmen: Muss ein Kanton mit nur wenig Neuinfektionen wirklich dieselben Schutzmassnahmen erlassen wie ein Kanton mit steigenden Fallzahlen?
Wenn die Realität ein «Flickenteppich» ist, müssen auch die Lösungen differenziert sein. Zudem ist die zentrale Lösung nicht automatisch die optimale, und bei unterschiedlichen Lösungsansätzen können die weniger Erfolgreichen von den Erfolgreicheren lernen.
Es hat sich im Lauf der Geschichte auch immer wie- der gezeigt, dass sich sogenannt rückschrittliche Strukturen plötzlich wieder als modern und fortschrittlich erwiesen haben.
Zentralisierung birgt immer auch die Gefahr einer «Vereinheitlichung gemäss dem neuesten Stand des wissenschaftlichen und politischen Irrtums» in sich. Keine Regierung ist davor gefeit.
Lauter kleine non-zentrale Irrtümer, die gegeneinander konkurrieren, sind hingegen auf die Dauer auch bezüglich Freiheitsgehalt und Lernfähigkeit im Vergleich mit einem grossen, hoch zentralisierten System effizienter und – nach aussen und innen – weniger gefährlich.
Quelle: https://www.leaderdigital.ch/documents/ausgaben/leader_sep_2020_web.pdf