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Ist die offene Gesellschaft am Ende?

Lesedauer: 2 Minuten


(Weltwoche – Kommentare)

Schadenfreudig wird verkündet, die Zeit der Skepsis gegenüber staatlicher Bevormundung sei vorbei. Das wäre fatal. Die besten Lösungen für unsere Probleme finden sich nur im Wettbewerb.

Von Robert Nef

Was Freiheit bedeutet, bestimmt nicht mehr der betroffene Mensch, sondern ein «Wir», das alles besser weiss, von dem aber niemand weiss, wer das wirklich ist. Es ertönt der gefährliche Ruf nach entschlossenen politischen Führern, die jetzt das Ruder in die Hand nehmen sollen, «bevor es zu spät» sei. Das liberale Motto «Mehr Freiheit, weniger Staat» wird unerbittlich durch «Mehr Staat, weniger Freiheit» ersetzt. Wenn heute die Rettung des Klimas von einer zusätzlichen globalen Verbots-, Besteuerungs- und Regulierungsbewegung erwartet wird, müssen sich aber auch diese Erwartungen und Hoffnungen an bisherigen Erfahrungen mit «Mehr Staat» messen lassen.

China hat mit militärischem Pomp siebzig Jahre Volksrepublik gefeiert. Jede Äusserung des Zweifels an dieser angeblichen Erfolgsstory wird durch Zensur unterdrückt, und ein historischer Vergleich mit dem wirtschaftlichen Aufstieg kapitalistischer Staaten wie etwa Südkorea und Japan wird tunlichst vermieden. Und wie steht es um den ökologischen Fortschritt, beispielsweise beim CO2-Ausstoss, der heute als alles bestimmender, entscheidender Faktor gilt? Gehört nicht ausgerechnet die Volksrepublik China zu den Ländern mit der umweltschädlichsten Industrie und mit dem am intensivsten ansteigenden CO2-Ausstoss? Greta Thunberg sollte in China zum Klimastreik aufrufen. Zentralverwaltungswirtschaften auf der Basis staatlicher Produktions- und Forschungsplanung haben weltweit so wenig bewirkt wie die Kontingentierungen und Rationierungen nach «grünen» und «roten» Modellen. Je etatistischer die Regimes, desto schlimmer für die Umwelt.

Die Messresultate und die simulationsgestützten Prognosen der Klimaforscher sollen hier nicht angezweifelt werden. Die berechtigten Zweifel beginnen dort, wo es in gemischten globalen Gremien zu einer Kombination von erhärteten Resultaten der Klimaforscher mit globalen und nationalen politischen Interventionsprogrammen kommt, deren tatsächliche klimapolitische Wirkung ihrerseits überhaupt nicht erforscht ist. Diese gemischt naturwissenschaftlich-politökonomische Debatte um die tauglichsten Lösungen ist erst angelaufen, und wer aus liberaler Sicht Kritik äussert, wird gleich als Wissensverweigerer diffamiert. Der liberale Philosoph Karl R. Popper hat die Auffassung vertreten und begründet, es gebe in sozialen, kulturellen und ökonomischen Belangen nie genügend erhärtetes Wissen, das es der Politik erlauben würde, politische Macht auf eine nicht mehr zu hinterfragende «Wissenschaft» abzustützen. Wie wir heute optimal auf die Herausforderungen des Klimawandels reagieren, ist eine Frage der Politik und nicht der Naturwissenschaft. Begründete Zweifel an den aktuellen Lösungsvorschlägen sind nicht nur erlaubt, sondern erwünscht.

Es braucht auch im Bereich der Ideen und der wirksamsten Methoden des Umgangs mit neuen Herausforderungen einen offenen Wettbewerb, der Lernen und Fehlervermeidung durch Vergleiche bis in den Mikrobereich hinein offenhält. Innovationen kommen in der Regel von der ökonomischen Basis, deren längerfristiges Überleben davon abhängt, und nicht von den politischen Zentralen, deren Hauptgeschäft weltweit die Machterhaltung ist. Streiken und Anklagen hilft hier nicht weiter. Verbissenheit ist immer ein Zeichen von Unsicherheit, und es ist nicht das erste Mal in der Menschheitsgeschichte, dass man den «störrischen Menschen» den Untergang verheisst, wenn sie nicht «radikal umkehren» und einspuren auf das, was eine kleine Gruppe von «Erleuchteten» verkündet.

Quelle: https://www.weltwoche.ch/ausgaben/2019-40/kommentare-analysen/ist-die-offene-gesellschaft-am-ende-die-weltwoche-ausgabe-40-2019.html

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