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Es braucht keinen Konkordanzvertrag

Lesedauer: 2 Minuten

(NZZ – ZUSCHRIFTEN – Dienstag, 18. Juni 2019, Seite 9)

TRIBÜNE

Gastkommentar von ROBERT NEF

Dem Bundesrat wird gelegentlich vorgeworfen, er sei in Grundsatzfragen uneinig und könne daher seine staatsleitende Funktion nicht wahrnehmen. Dass er beim Rahmenabkommen zunächst durch eine breite Vernehmlassung den Puls der vorherrschenden Meinung fühlen wollte und sich schliesslich sogar einige der geäusserten Vorbehalte zu eigen gemacht hat, wird nicht überall verstanden. Eine zur Konkordanz verpflichtete Mehrparteienregierung ist zwar stabil, aber innenpolitisch und aussenpolitisch wenig berechenbar.

Die Disziplinierung der Konkordanz durch ein Regierungsprogramm bzw. einen Koalitions- oder Konkordanzvertrag, wie sie Michael Schönenberger in seinem Leitartikel angeregt hat, würde die aussenpolitische Berechenbarkeit erhöhen, was allerdings zulasten der innenpolitischen Beweglichkeit und der Anpassungsfähigkeit ginge und dem Prinzip widersprechen würde, dass Volk und Stände auch in der Aussenpolitik das letzte Wort haben und diese Kompetenz weder nach Bern noch nach Brüssel übertragen wollen. Der Bundesrat muss als Landesregierung das Volk nicht vertreten, er muss als Exekutive die Aufträge von Volks- und Parlamentsmehrheiten ausführen, Verfassung und Gesetze anwenden, das Budget einhalten und über Geschäftsführung und Auftragserfüllung Rechenschaft ablegen. Die Exekutivmitglieder sind Beauftragte und nicht Vertreter einer ermittelbaren und temporär fixierbaren Mehrheitsmeinung. Sie sind auch keine Regenten.

Der Ruf nach einer strafferen politischen Führung weckt bei jedem Freiheitsfreund berechtigtes Misstrauen.

Volksvertreterinnen und -vertreter sitzen im Parlament, aber auch dort fragt man sich, wen sie eigentlich vertreten. Sie vertreten ihr Wählersegment, falls sie das Profil erfüllen, das sie und ihre Partei im Wahlkampf propagiert haben. Die Regierung wird in der Schweiz nicht vom Volk gewählt, sondern von der Vereinigten Bundesversammlung. In ihr sind alle grösseren Parteien aufgrund ihres Wähleranteils vertreten, und eine regionale und gendermässige Ausgewogenheit wird in der politischen Ausmarchung angestrebt, wenn auch nicht immer erreicht. Freie Menschen haben kein Grundbedürfnis, sich regieren zu lassen, und gewählte Exekutivmitglieder sollen nur innerhalb des von Verfassung und von der Gesetzgebung gegebenen Rahmens in Freiheit, Vermögen und politische Rechte eingreifen dürfen, um «dem Wohl des Landes» nach ihrer Interpretation zu dienen, und auch nicht auf der Basis eines Konkordanzvertrags. Aus dieser Sicht gibt es auch keinen Bedarf an gouvernementaler Beratung und Belehrung über offene politische Entscheidungen. Der Ruf nach einer strafferen politischen Führung weckt bei jedem Freiheitsfreund berechtigtes Misstrauen. Wichtig ist, dass ein Exekutivmitglied sein Departement straff und effizient führt. Dort darf und muss es als hierarchisch verantwortliche Spitze regieren, aber nur dort.

Leider haben die Medien mit ihrer personenbezogenen Hofberichterstattung die Exekutivmitglieder in den letzten Jahren und Jahrzehnten zu einer Art Ersatzmonarchen gemacht. Die Beliebtheit wird wichtiger als die korrekte Auftragserfüllung, die stets auch mit Unpopularität verknüpft ist. Die Volkswahl jedes Einzelmitgliedes als «Schönheitskonkurrenz» und Beliebtheitstest wäre diesbezüglich keine Verbesserung, sondern ein Rückschritt. Nach wie vor überlegenswert wäre eine Volkswahl der Gesamtregierung mit konkurrierenden parteipolitisch und sprachregional ausgewogenen 7er-Tickets (die sich intern je auf ein gemeinsames Minimalprogramm verpflichtet haben) im Sinn einer politischen «Richtungswahl», wie dies Prof. Jürg Niehans seinerzeit vorgeschlagen hat. Aber auch diese Idee ist wirklichkeitsfremd.


Robert Nef ist Publizist und Mitglied des Stiftungsrates des Liberalen Instituts.

NZZ 18. Juni 2019, Seite 9

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