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Miliz braucht mehr Markt

Lesedauer: 4 Minuten

(Finanz und Wirtschaft – Meinungen)

Überlastung stellt das Milizprinzip in Frage. Die Lösung heisst nicht mehr Zentralisierung und Bürokratisierung, sondern deren Abbau. Ein Kommentar von Robert Nef.

«Das Milizprinzip ermöglicht Politik als Berufung auf Zeit statt als Beruf.»

Föderalismus, Subsidiaritätsprinzip und Milizprinzip stehen zurzeit wieder unter Beschuss. Kirchturmpolitik, Kantönligeist und Kleinstaaterei müssen als Ursache zahlreicher Fehlleistungen des politischen Systems herhalten.

Tatsächlich öffnet sich aber auf der untersten Stufe einfach zuerst die Schere zwischen den Versprechungen der Umverteilungspolitiker und der Unmöglichkeit, sie nachhaltig zu finanzieren. Das führt zu einer unaufhaltsamen Flucht in den höheren Verband, der diese Schere schliessen soll.

Aber wie? Mit finanziellen Mitteln, die man zunächst den Privaten wegsteuert, in der Folge durch Zentralisierung und Harmonisierung des Steuersystems «nach oben» leitet und dann teilweise durch den Finanzausgleich zurück nach unten umleitet. Die angebliche Unfähigkeit Privater und kleiner politischer Einheiten, Probleme zu lösen und selbst zu finanzieren, ist aber kausal mit einer kontinuierlich steigenden, zunehmend von zentralen Instanzen erhobenen Besteuerung verknüpft: ein Teufelskreis, dessen Ursachen und Wirkungen empirisch untersucht werden sollten.

Das Subsidiaritätsprinzip beginnt dann in die falsche Richtung zu laufen, wenn man das Kriterium des «Nicht-imstande-Seins, eine Aufgabe auf privater oder bürgernaher Stufe zu erfüllen», zunächst als Argument für verstaatlichte Professionalisierung und dann als Argument für notwendige Zentralisierung verwendet.

Es läuft aber auch in die falsche Richtung, wenn die Zentrale die Aufgaben, die sie nicht mehr erfüllen und finanzieren kann bzw. will, zurückdelegiert. Ohne eine strenge Beweislastregel zulasten der Zentralisierer und der Zentralen ist das Subsidiaritätsprinzip wirkungslos, ja schädlich, weil es dann im Effekt zentralisierend wirkt. Der Begriff Non-Zentralismus eignet sich besser für eine klare Zielsetzung.

Dezentralisierung nennt man häufig auch das Abschieben von Aufgaben nach unten, wobei die Verfügung über die dafür notwendigen finanziellen Mittel bei den zentralen Instanzen bleibt, die aufgrund des Finanzausgleichs auch eine zusätzliche fiskalische Umverteilungsmacht haben. Vor allem im Sozialbereich ist das unterfinanzierte Abschieben an die Gemeinden leider immer häufiger.

Fusion gemahnt an Kapitulation

Häufig werden als Gegenmittel Fusionen empfohlen. Das erlaubt zunächst Rationalisierungen und eine bessere Auslastung der vollamtlichen Angestellten. Häufig wird aber dabei auch ursprüngliche Freiwilligenarbeit professionalisiert, was insgesamt mehr Kosten verursacht. Fusionen sind daher oft eine Kapitulation vor der Realität der scheinbar unaufhaltsamen Zentralisierungs-, Professionalisierungs- und Bürokratisierungstendenz, die dem politischen System (und dem Mehrheitsprinzip) inhärent ist.

In manchen Fällen sind sie allerdings ehrlicher und transparenter als ein verlogener Pseudoföderalismus. Neben Wagners Gesetz der wachsenden Staatsausgaben und Parkinsons Gesetz der wachsenden Bürokratie gibt es die oben dargelegte Gesetzmässigkeit eines Trends zur Zentralisierung als Flucht aus der Verantwortung. Alle drei Trends sind fatal miteinander verknüpft. Was ist dagegen zu unternehmen? Gibt es Gegenstrategien?

Alle Lösungen, die Gebietskörperschaften durch Fusionen qualitativ verändern, verschlanken und verbessern wollen, indem man ihnen regionale oder private Dienstleistungsbetriebe «überstülpt», sind suspekt. Sie verwischen Verantwortlichkeiten, die dadurch noch unübersichtlicher werden.

Effiziente Politik besteht nicht aus dem Umverteilen und Hin- und Herschieben von Staatsaufgaben und Staatsausgaben, sondern aus der Übernahme von Verantwortung, wenn etwas schiefläuft. Das erfolgreichste, wenn auch am wenigsten wahrscheinliche Sanierungsmodell ist «weniger Staat» auf allen Ebenen, je zentraler, desto rigoroser.

Die hierfür notwendigen Rezepte sind bekannt und wären z. T. sogar mehrheitsfähig, wenn sich mutige Politiker fänden, die sie vertreten: institutionalisierte Ausgabenbremsen, Finanzreferenden, Staatsquotenbremsen, Personalstopp, Steuerwettbewerb, viele und vielfältige Vetopositionen. Aber die subtile Vernetzung von Konkordanzregierung, Verwaltung und Parlament wirkt hier als Verhinderungspotenzial.

Was ist das Gegenrezept zu Fusion und Zentralisierung? Deregulierung und Privatisierung. Wo Zwang war, soll Vertrag werden. Weniger Staatsaufgaben und -ausgaben, weniger Staatsapparat, dann sind auch Kleinstgemeinden und Kleinkantone wieder funktionsfähig. Die zweitbeste Lösung ist die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private, in erster Linie benutzerfinanziert; Benutzer können auch kleine Gemeinwesen sein.

Diese fallweise und temporäre Auftragsvergabe an Private taugt allerdings nicht als Lösung für alle bisherigen politischen kommunalen Vollämter. Dort braucht es weiterhin politische Wahlen und keine privaten Mandatierungen. Vollämter können aber auch dort vor der Wahl öffentlich ausgeschrieben werden, und es dürfen sich auch «Auswärtige» bewerben, wie das Prof. Reiner Eichenberger (Universität Freiburg i. Üe.) vorgeschlagen hat.

In kleineren Gemeinden mit Face-to-Face-Kontakt ist es aber am besten ein ansässiger Nebenberuflicher. Das Milizprinzip ermöglicht Politik als Berufung auf Zeit und nicht als Beruf fürs Leben. Das verhindert ein karrierebedingtes politisches Nomadentum.

Es gibt tatsächlich eine Krise des Milizprinzips. Man löst sie nicht durch Zentralisierung, Bürokratisierung oder mehr staatsangestellte Fachleute, d. h. durch «mehr Staat», sondern durch mehr Markt. Öffentliche Aufgaben können an konkurrierende private Anbieter, die auch für mehrere Gemeinden aktiv sein können, vergeben werden. So eröffnen sich wertvolle Vergleichs- und Lernmöglichkeiten.

Beauftragte Dienstleister sind Fachleute auf Zeit und nach Bedarf: temporär und inhaltlich limitierte Staatsbeauftragte (auf Abruf) statt Vollzeit-Staatsangestellte, die sich ihre Vollzeit-Auslastung selbst organisieren. Anstelle einer Wiederwahl findet im Falle der Zufriedenheit eine Wiederbeauftragung durch die politisch Zuständigen statt. Bei mangelhafter Auftragserfüllung wechselt man zum besseren und günstigeren Konkurrenten. Auch das ist eine politische Machtkontrolle und grundsätzlich überhaupt nichts Neues.

Nur Umkehr führt aus der Sackgasse

Die Volkswahl legitimiert diejenigen, die politische Führungs-, Kontakt- und Repräsentationsaufgaben wahrnehmen, die in kleineren Gemeinden klein sind und klein bleiben. Andere Aufgaben können durch beauftragte Fachpersonen und Fachstellen (auch Private, die von mehreren Kleingemeinden beauftragt werden können) übernommen werden.

Die entscheidende Entlastung kommt aber nicht durch Fusionen und auch nicht durch ein besseres Management der vorhandenen und zunehmenden Aufgabenlast zustande, auch nicht durch Einführung einer weiteren Staatsebene, sondern durch eine Trendumkehr, d. h. durch eine Verkleinerung dieser Last: weniger Staatsausgaben, weniger Staatsaufgaben, weniger Zentralbürokratie und weniger professionelle Staatsdiener. Alle diese Ziele verlangen eine eigentliche Umkehr, die in der derzeitigen parteipolitischen Konstellation wenig Chancen hat.

Das braucht aber nicht immer so zu bleiben. Am Ende einer Sackgasse gibt es nur die Umkehr, und dass sich der bevormundende, zwangsweise umverteilende, sich zunehmend zulasten künftiger Generationen verschuldende und ressourcenverschwendende Zentralstaat nicht einfach nach den Prinzip «mehr vom Gleichen» und «mehr Zentralisierung» weiterentwickeln kann, ist eine unter jungen Menschen zunehmend verbreitete Grundeinstellung. Ihr politisches Programm hat sie aber noch nicht gefunden.

Zum Autor
Robert Nef ist Stiftungsratsmitglied des Liberalen Instituts Zürich.

Quelle: https://www.fuw.ch/article/miliz-braucht-mehr-markt/

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