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Geltung ist so wichtig wie Geld

Lesedauer: 4 Minuten

(Finanz und Wirtschaft – Meinungen)

Ökonomie sollte nicht zu eng definiert werden. Auch der Haushalt von Gefühlen hat seine Gesetzmässigkeiten. Ein Kommentar von Robert Nef.

«Der Geltungstrieb ist mindestens so stark wie der Erwerbstrieb.»

Die Vorstellung, der Kapitalismus basiere auf einem Menschenbild, bei dem der Profit in Geld das ausschlaggebende Motiv und Ziel aller Menschen sei, ist wirklichkeitsfremd. Sie hat den Begriff Kapitalismus derart diskreditiert, dass sich, mindestens auf Deutsch, niemand mehr als vorbehaltloser Befürworter des Kapitalismus bezeichnen mag.

Kapitalismus ist das Feindbild der Sozialisten; «die Überwindung des Kapitalismus» gehört immer noch zu den deklarierten politischen Fernzielen ihres Programms. Über einen allfälligen Ersatz darf spekuliert werden. Auch Bürgerliche meiden den Begriff. Man bekennt sich höchstens noch zur Idee möglichst freier und offener Märkte, von denen man aber erwartet, dass sie vom Staat oder von Staatengemeinschaften «gezähmt» und reguliert werden.

Seit das Geld, oder präziser «Gelder» erfunden oder entdeckt worden sind, ist der Austausch von Gütern und Dienstleistungen über grosse Distanzen und über längere Zeiträume hinweg überhaupt erst möglich geworden. Dies hat weltweit zum Aufschwung des Handels auf der Basis der Geldwirtschaft, kurz, zum Kapitalismus geführt. Der Kapitalismus ist aus dieser Sicht keine Doktrin und auch keine Ideologie, sondern das, was sich spontan ereignet, wenn Arbeitsteilung, Geld und Kredit erfunden oder entdeckt worden sind und ein prägendes Element menschlicher Kommunikation bilden.

Die Kritik am Geld- und Kreditwesen, dem eine verhängnisvolle Tendenz zur Gier und zum reinen Materialismus angelastet wird, ist ihrerseits ideologisch. Kapital hat keinen Selbstzweck. Es ist ein Mittel der Kommunikation, die Bedürfnisse befriedigen und Knappheiten überwinden will, und Wirtschaft ist ihrerseits ein Teilbereich der Kultur. Die Verknüpfung von Geldern, privaten und gemeinsamen Haushalten und gemeinsam tradierter und entwickelter Kultur ist hoch komplex.

Diesseits von Angebot und Nachfrage

Wirtschaft in diesem weiteren Sinn wird, sobald die Menschen arbeitsteilig zusammenwirken und ihre Grundbedürfnisse gestillt haben, vor allem von den psychologischen Sekundärbedürfnissen des Glücksstrebens (auf Englisch «pursuit of happiness»), gesteuert: Befriedigung, Anerkennung, Wertschätzung, Zuneigung, Vertrauen, Bekanntheit, Ruhm. Der Geltungstrieb ist mindestens so stark wie der Erwerbstrieb, und sehr oft wird Letzterer nur so hartnäckig verfolgt, weil man hofft, ihn in den Dienst des Ersteren stellen zu können.

Menschen wollen nicht einfach alle mehr Geld verdienen und weniger arbeiten. Sie wollen geliebt werden, beliebt sein, etwas bedeuten, sich selbst verwirklichen oder auch einfach in Ruhe gelassen werden. Geld kann dabei eine Rolle spielen und eignet sich zur immer raffinierteren Befriedigung der Primärbedürfnisse. Es versagt aber sehr oft im Bereich des differenzierteren Geltungs- und Wertschätzungsbedürfnisses, das auf andern «Märkten» mit anderen «Währungen» getauscht wird. Nicht zufällig spricht man vom «Jahrmarkt der Eitelkeiten», und die Glücksforschung hat die Alltagserfahrung bestätigt, dass das Tauschen als solches reizvoll ist.

Die Unterscheidung von Tauschwert und Gebrauchswert ist aus dieser Sicht willkürlich. Was einem Menschen etwas «wert» ist und wie viel er dafür ausgeben will, ist individuell und subjektiv. Natürlich kann man sich mit mehr Geld auch mehr Geltung und Anerkennung beschaffen, aber die diesbezüglichen Möglichkeiten bleiben unter Menschen, die sich gegenseitig kennen und – mindestens zum Teil – auch durchschauen, beschränkt. Wer reich ist, wird nicht automatisch geliebt – im Gegenteil. Er wird zum Ziel des Neides, und beneidet zu werden, macht nicht glücklich.

Wer freiwillig in Vereinen mittut, gemeinnützige Leistungen erbringt, unentgeltlich publiziert, ist nicht einfach ein idealistisches, nicht ökonomisiertes Individuum «jenseits von Angebot und Nachfrage», sondern befriedigt ebenfalls seine Bedürfnisse, die nicht ausserhalb der Ökonomie im weiteren Sinn liegen. Der Gewinn in Geld steht nicht im Zentrum, sondern der Gewinn bezüglich Geltung – vor andern und vor sich selbst.

Auch das ist Ökonomie. Man sollte die Ökonomie nicht zu eng definieren. Auch der Haushalt der Gefühle hat seine Gesetzmässigkeiten, die beim Kommunizieren und Tauschen eine Rolle spielen. Erfolgreicher Handel beruht auf optimaler Verknüpfung von Rationalität mit Emotionen.

Die Politiker, die von Publikumsgunst abhängigen Kulturschaffenden und auch die öffentlich finanzierten Lehrer und Gelehrten stehen in der Rolle des «Homo politicus» im Dienst der politischen Gemeinschaft und geniessen seit der Antike ein hohes Ansehen. Sie loben und feiern sich gegenseitig, indem sie ein «Primat der Politik» verkünden, meist oft auf Kosten der Steuerzahler, von denen sie sich finanzieren lassen.

Geringer geschätzt wurden schon damals die Bauern und die Handwerker, die Produzenten von Gütern und Dienstleistungen und erst recht die Händler, die oft gleichzeitig verachtet und beneidet und als «Spekulanten» diffamiert worden sind. Der Gott Mercurius war nicht nur der Gott des Handels, sondern auch der Schutzpatron der Diebe. Dies ist das immer noch wirksame Erbe an Vorurteilen aus der Kultur der Antike, d. h. einer Gesellschaft, deren Produktivität nicht auf Kapitalismus, sondern auf Sklaven, Eroberungskriegen und Kolonien beruhte.

Eine Unterscheidung zwischen «Ausbeutern» und «Ausgebeuteten» ist in einer offenen Tauschgesellschaft zunehmend widersinnig. Wenn die Zivilgesellschaft eine für alle zunehmende Produktivität anstrebt, ist sie auf Innovationen, d. h. auf produktivitätssteigernde Entdeckungen und Erfindungen angewiesen. Dazu braucht es den Wettbewerb, v. a. den Ideenwettbewerb, der seinerseits auf Offenheit und Vielfalt und auf Medienfreiheit angewiesen ist. Er ist die Basis des individuellen und des kollektiven Lernens. Zusätzlich braucht es Investoren als Kapitalgeber, die Geld und Erfindergeist verknüpfen.

Vom Wert der Anerkennung

Was sind die Anreize dazu? Ob der Innovations- und der Geltungstrieb allein ausreichen würden, um auch ohne Patentschutz die für alle wichtigen Erfindungen und Entdeckungen zu generieren und praktisch umzusetzen, ist schwer zu beantworten. Wo das staatliche Zwangsmonopol und das Kollektiveigentum vorherrschen, schwinden Erfindergeist und Risikobereitschaft.

Aber ist jede staatliche Regulierung verzichtbar? Es gibt gute Gründe, eine Gesellschaft mit staatlich und international geschützten Eigentums- und Urheberrechten für innovativer zu halten als eine ohne diese Garantien. Der Anreiz des finanziellen Gewinns ist zwar bei Erfindungen oft nicht ausschlaggebend, aber trotzdem wichtig. Ganz ohne monetäre Anreize funktioniert eben vieles doch nicht, vor allem dort, wo Innovationen von grösseren Investitionen mehrerer Beteiligter abhängen.

Betriebswirtschaftslehre und Arbeitspsychologie haben den Stellenwert der persönlichen Anerkennung aller Mitarbeitenden längst entdeckt. Sie wird bewirtschaftet; wer als Arbeitsanbieter darauf verzichtet, spürt dies früher oder später auf der Ertragsseite. Der Kapitalismus basiert auf einem Zusammenwirken menschlich gleichwertiger Erwerbstätiger, die aber nicht gleich entlohnt werden, weil sich im Lohn auch die Knappheit der angebotenen Arbeitsleistung spiegelt und die Lohnkosten letztlich auch den Preis mitbestimmen, der seinerseits wettbewerbsfähig sein muss.

Der produzierende, konsumierende, Dienste leistende, konsensual arbeitsteilig und gegen Geld tauschende, sparende, investierende Mensch ist die Basis einer kreativen, sich selbst tragenden Zivilgesellschaft. Das Geltungsbedürfnis ist dabei mindestens so wichtig wie das Erwerbsstreben. Arbeitslosigkeit bedeutet zunächst Erwerbslosigkeit, aber sie bewirkt auch den Verlust der mit dem Lohn eng verknüpften persönlichen Wertschätzung, der oft noch viel schwerer wiegt.

Zum Autor
Robert Nef ist Stiftungsratsmitglied des Liberalen Instituts Zürich.

Quelle: https://www.fuw.ch/article/geltung-ist-so-wichtig-wie-geld/

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