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Das Ende von «immer mehr Staat»

Lesedauer: 4 Minuten

(Finanz und Wirtschaft – Meinungen)

Die Einsicht, dass die Staatstätigkeit nicht ohne Schaden für alle stets weiter ausgedehnt werden kann, ist an der Basis weit verbreitet. Ein Kommentar von Robert Nef.

«Staatlicher Zwang taugt wenig als Mittel der Gesellschafts- und Wirtschaftssteuerung.»

Die Zahl der beim Staat Beschäftigten hat in der Schweiz in den vergangenen dreissig Jahren 65% zugenommen, und die Gesamtausgaben des Staats haben sich in derselben Zeit mehr als verdoppelt. Politik ist nach einer – sowohl zynischen als auch realistischen – anonymen Definition «die Kunst, von den Reichen das Geld und von den Armen die Stimmen zu erhalten, beides unter dem Vorwand, die einen vor den andern zu schützen».

Diese «Kunst» besteht im Wesentlichen darin, so viel wie möglich zwangsweise umzuverteilen, bis an die Grenze, an der die Produktivität sinkt und die Verschuldungsfalle zuschnappt und es demzufolge immer weniger umzuverteilen gibt.

In der Schweiz besteht dank der direkten Demokratie die Möglichkeit, Parlamentsvorlagen in einer Volksabstimmung abzulehnen, wenn deren Finanzierung fragwürdig und intransparent ist, wie dies bei der kürzlich vom Volk abgelehnten AHV-Pseudoreform der Fall war. Die Eidgenossenschaft wird so vor dem ungebremsten Abdriften in die Umverteilungs- und Verschuldungsfalle bewahrt.

Umverteilung ist auch bei den Reichsten durchaus populär, denn sie wird von diesen als eine Versicherungsprämie für die Erhaltung des «sozialen Friedens» wahrgenommen. Die Hauptopfer bringt der hoch besteuerte Mittelstand, der dadurch schrittweise «proletarisiert» wird.

Zudem profitiert die immer grösser werdende Gruppe der staatlichen und vom Staat abhängigen Umverteilungsindustrie davon. Diese Konstellation bewirkt in einer auf dem Mehrheitsprinzip basierenden Organisation zunächst eine Art von politischem Suchtverhalten.

Umverteilung geradezu Staatszweck

Umverteilt wird nicht nur in der Sozialpolitik, sondern zunehmend auch in allen Bereichen der sogenannt «klassischen Staatsaufgaben». Sie ist – von vielen unbemerkt – zum wichtigsten Staatszweck geworden.

Dass dabei auch Widersinniges stattfindet und viele davon profitieren, die nach den politisch propagierten Umverteilungsregeln gar nicht begünstigt werden sollten, ist noch viel zu wenig erforscht und publik gemacht worden.

Umverteilung hat regelmässig unbeabsichtigte Nebenwirkungen. Sehr oft gehen die wirklich Bedürftigen leer aus, weil sie eine Minderheit bilden, die politisch nicht organisierbar ist und daher niemanden wirklich interessiert.

Die Sozialisten werfen dem Kapitalismus vor, er beschleunige eine Umverteilung von Arm zu Reich und bewirke so, dass die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher würden. Verschiedene unabhängige und unvoreingenommene internationale Studien bestätigen zwar eine weltweite Zunahme der Zahl der Reichen und ihres Reichtums, doch – und das wird geflissentlich verschwiegen – auch eine weltweite Abnahme der absoluten Armut.

Der Trick, dass man Armut einfach anders definiert und in Relation zum Reichtum setzt, um so jederzeit auch dort eine Zunahme feststellen zu können, ist zwar von seriösen Wissenschaftlern entlarvt worden, aber der unsinnige Begriff der «relativen Armut» hält sich hartnäckig in den Medien und in der politischen Debatte.

Auffallend ist die Tatsache, dass die Zahl der Armen in denjenigen Ländern abnimmt, in denen die Wirtschaft und vor allem auch die Arbeitsmärkte vergleichsweise frei sind und die zwangsweise Umverteilung moderat ist.

Dies hat damit zu tun, dass sehr viel Reichtum nicht einfach verprasst, verkonsumiert und irgendwo gebunkert wird. Reiche investieren, wenn sie nicht exzessiv besteuert werden, in allgemein produktivitätssteigernde Unternehmen, die dann einen wirksamen Beitrag zur Anhebung des allgemeinen Lebensstandards leisten. Der Reichtum der Reichen wird damit auch zum Motor für einen Rückgang der Massenarmut, an der in einer Marktwirtschaft niemand interessiert ist.

Umverteilung ist als solche nicht verwerflich, denn auch durch Tausch, Markt und private Wohltätigkeit wird umverteilt, allerdings auf der Basis von einvernehmlichen und freien Entscheiden. Aus liberaler Sicht ist daher an der zwangsweisen Umverteilung primär der Zwang in Frage zu stellen.

Besteuerung durch Zwang ist generell unpopulär, aber der Zusammenhang muss von den Gezwungenen als solcher wahrgenommen werden. Auf diese Zusammenhänge hinzuweisen und immer wieder die lästigen Fragen zu stellen – «Was kostet das?» und «Wer soll das bezahlen?» – ist eine entscheidende Aufgabe wirklich liberaler Politik.

Breite Sozialdemokratisierung

Zu Unrecht hat sich die FDP der Schweiz von der liberalen Forderung «Mehr Freiheit – weniger Staat» in den vergangenen dreissig Jahren faktisch verabschiedet.

Es gab sogar Kommentatoren, die diesen seinerzeit erfolgreichen Slogan für den späteren Wählerschwund der Freisinnigen verantwortlich machten: Eine staatstragende Partei könne doch nicht just jenen Staat in Frage stellen, den sie selbst massgeblich mitgestaltet habe. Diese Sichtweise vernachlässigt die Tatsache, dass die Liberalen in den bevormundenden Sozialstaat regelrecht hineingeschlittert sind.

Die heutige Schweiz ist meilenweit vom freisinnig geprägten, föderativ aufgebauten Bundesstaat der Gründerjahre entfernt. Das ist der wahre Grund für den Wählerschwund, und eine Rückkehr zu einem konsequenteren Liberalismus wird von einer jüngeren, staatsskeptischen Wählerschaft honoriert werden. Die Ahnung, dass die ungebremste «Mehr-Staat-Politik» nicht nachhaltig praktiziert werden kann, ist an der Basis weiter verbreitet als im politischen und medialen Mainstream.

Wie kam es denn in der Schweiz zu dieser Sozialdemokratisierung des Bürgertums, die auch die deutsche Politik geprägt hat? Viele politisch exponierte Bürgerliche hatten Angst vor einem Popularitätsverlust, wenn sie sich dezidiert gegen den Staatsinterventionismus engagieren würden, und eine grosse Zahl hat eben jenes Staatswachstum geduldet oder gar gefordert, das sich zugunsten bestimmter Interessen- und Wählergruppen auswirkte.

Nein zum bequemen Weiterwursteln

Es sind heute vor allem die Jungparteien der Freisinnigen und der Schweizerischen Volkspartei, die eine Politik des kontinuierlichen sozialstaatlichen Weiterausbaus in Frage stellen, weil sie mit guten Gründen an der Zukunftstauglichkeit dieses bequemen, wohlfahrtsstaatlichen Weiterwurstelns zweifeln.

Glücklicherweise mehren sich heute die Anzeichen dafür, dass die Phase einer erfolgreichen Kooperation der Linken mit den linken Flügeln anderer Parteien auf der Basis von etatistischen Kompromissen überwunden werden kann. Es gehört auch bei vielen Intellektuellen nicht mehr zum «guten Ton», mehr Umverteilungsstaat und mehr Sozialismus zu fordern.

Entscheidend für die Zukunft ist die Erkenntnis, dass staatlicher Zwang nicht nur im Widerspruch zur Freiheitsidee steht, sondern dass er als Mittel der Gesellschafts- und Wirtschaftssteuerung wenig taugt und in Bezug auf das soziale Verhalten mittel- und langfristig sogar destruktiv wirkt. Der auf Zwang und Kontrollen aufgebaute totalitäre Sozialismus hat die Menschen nachweisbar weniger sozial gemacht.

Der französische Wissenschafter und Philosoph Blaise Pascal (1623–1662) hat in seinen «Pensées» – schon bevor es den Sozialismus gab – den politischen Machbarkeitswahn, die Menschheit liesse sich durch Zwangsmassnahmen verbessern, wie folgt kommentiert: «Der Mensch ist weder Engel noch Biest, aber das Unglück besteht darin, dass, wer ihn zum Engel machen will, ihn zum Biest macht.»

Zum Autor
Robert Nef ist Stiftungsratsmitglied des Liberalen Instituts Zürich.

Quelle: https://www.fuw.ch/article/das-ende-von-immer-mehr-staat/

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