(1941 – 2017)
Ich war wohl nicht der einzige, der vom Text der Todesanzeige für Ueli Pfister beeindruckt war.
Ja „für immer sind Spuren Deines Lebens, Deiner Gedanken Ideen und Überzeugungen da, und sie werden uns an Dich erinnern“.
Ich werde im Folgenden meinen eigenen Erinnerungen nachgehen, wohl wissend, dass sie nur einen kleinen Ausschnitt beleuchten, aber dafür einen sehr langen Zeitabschnitt betreffen. Wir kannten uns seit über 50 Jahren, d.h. seit unserer Studienzeit an der Uni Zürich. Freundschaften, die in jungen Jahren geschlossen werden, wachsen im Lauf des Lebens mit, und sie sind mit später geschlossenen Freundschaften kaum vergleichbar.
Ich will die Gelegenheit benützen, um meiner Dankbarkeit gegenüber einem echten langjährigen Freund Ausdruck zu verleihen. Zum Andenken gehört auch der Dank, denn Denken und Danken sind nicht nur sprachlich verwandt, es tut gut, wenn man beides so häufig und so intensiv wie möglich verknüpft.
Ueli Pfister war für mich bei zwei wichtigen Lebenssituationen wegleitend, ja, ein eigentlicher Pfadfinder. Ich werde beide Situationen noch kurz schildern.
Ich war in meiner Jugend auch bei den Pfadi, aber wir sind uns dort nicht begegnet. Vielleicht haben wir aber bei den Pfadfindern etwas gelernt, das für unsere späteren Begegnungen prägend war. Ich erinnere mich noch gut an das Pfadigesetz, das mit vier entscheidenden Punkten beginnt: Des Pfadfinders Wort ist wahr, er ist treu, er hilft wo er kann und er ist ein guter Kamerad. Und wenn ich Ueli Pfister mit wenigen Worten charakterisieren müsste, wären das genau diese vier Punkte, die das Wesentliche aussagen: Verlässlichkeit in der Kommunikation, Treue gegenüber andern und gegenüber sich selbst, dauernde Hilfsbereitschaft und jene Kameradschaft im besten Sinn, die sich in schwierigen Zeiten als Freundschaft bewährt, die aber über längere Zeit auch gegenseitig unverbindlich sein kann.
Wir lernten uns als Mitglieder der Liberalen Studentenschaft kennen und waren beide im „grossen Studentenrat“, der in jener Zeit der universitären Politisierung eine wichtige Rolle spielte. Die Liberale Studentenschaft wurde damals von Yves Genre und später von Peter Hofacher präsidiert und Ueli und ich waren so etwas wie die „Chefideologen“. Wir befürworteten eine Hochschulreform, bekämpften aber ein „politisches Mandat“ der Studierenden bei einer radikalen Gesellschaftsreform mit dem Ziel einer egalitären und totalitären Partizipation in allen Lebensbereichen.
Die Liberale Studentenschaft suchte einen pragmatischen Mittelweg zwischen den militanten Progressiven und den rein defensiven Konservativen. Es ist hier nicht der Ort und nicht die Stunde, um die politische Situation jener interessanten Zeit zu analysieren und unseren Beitrag zu würdigen. Ich habe mir aber vorgenommen, den Zusammenhang von Studenten- und Jugendpolitik und Parteipolitik in den Jahren zwischen 1965 bis 1985 als Zeitzeuge in einem Essay niederzuschreiben, das ich meinem damaligen Weggefährten Ueli Pfister widmen möchte.
Nach unserer Aktivzeit näherte sich die Liberale Studentenschaft immer mehr dem antiautoritären Flügel der Sozialdemokraten und die „alten Kämpen“ beschlossen mit guten Gründen, sich nicht mehr einzumischen und dafür innerhalb der damaligen FDP Impulse zu einem liberalen Reformkurs zu vermitteln. Nicht ohne Selbstironie gründeten wir einen informellen „Verein Ergrauter Eminenzen“, der bei verschiedenen Gelegenheiten in alten Erinnerungen schwelgte. Sehr früh mussten wir uns von zwei Freunden verabschieden, die uns durch den Tod entrissen wurden: Heinz Jäger und Max Bühler.
Parteiintern gelang es uns damals, das fragwürdige Bild einer am linken Flügel angesiedelten Jugend, die mehr Staat für eine aktivere Jugendpolitik im Rahmen eines Ausbaus der Sozialpolitik fordert, zu korrigieren. Unser Motto war „Mehr Freiheit – weniger Staat“. Es wurde in der Plakatwerbung von der Partei zwar übernommen, aber politisch nie glaubwürdig umgesetzt.
Ueli Pfister kam als Inlandredaktor zur NZZ und hat zusammen mit andern jüngeren Mitgliedern der FDP Stadtpartei die Idee lanciert, ein Liberales Institut zu gründen, das sich jenseits der Tages- und Parteipolitik mit liberalen Grundsatzfragen befassen sollte. Er fragte mich an, ob ich bereit wäre, mindestens halbtags, die Geschäftsführung zu übernehmen, und als ich zusagte, war das Liberale Institut 1979 gegründet. Der Start war nicht einfach, und die Vorstellungen über die Ziele und Aufgaben der neuen Institution waren nicht immer auf einen Nenner zu bringen. Unsere freundschaftlich- kameradschaftliche Zusammenarbeit am Liberalen Institut dauerte über 25 Jahre und Ueli war zunächst Mitglied des Beirats, unter Peter Forstmoser und später Daniel Thürer Mitglied des Stiftungsrates und bis zur Neuorganisation mit dem neuen Geschäftsführer Pierre Bessard auch Präsident des Stiftungsrates. Ueli Pfister begleitete mich zunächst als Geschäftsführer, unterstütze mich bei Konsens und tolerierte mich bei Meinungsverschiedenheiten, und er hat sich dann zugunsten einer neuen Organisationsstruktur zurückgezogen.
1991 hat sich Ueli Pfister für mich ein zweitesmal als „Pfadfinder“ betätigt und als freundschaftlicher Kamerad bzw. als kameradschaftlicher Freund bewährt. Als Vorstandsmitglied bei den „Schweizer Monatsheften“ suchte er einen Nachfolger für den erkrankten François Bondy. Es gelang uns, dort gemeinsam jenen Kurs zu verfolgen, den man rückblickend zutreffend als „Erneuern und Bewahren“ charakterisiert hat.
Neben diesen intensiven beruflich –politischen Kontakten sind wir uns im Militärdienst in Zentralschulen und in Fachkursen immer wieder begegnet. Aber wir pflegten auch ausserhalb von Beruf und Militär freundschaftliche Kontakte, rückblickend muss ich gestehen, dass sie eher zu kurz kamen. Aus der Sicht eines 75-Jährigen darf man ruhig gestehen, dass man geneigt ist, den Stellenwert des Berufs- und Familienlebens, der Politik, des Militärs und des Freiwilligenengagements zu überschätzen, was dann oft dazu führt, dass alte Freundschaften zu kurz kommen.
Ich möchte meine Dankesworte mit einer Geschichte abschliessen, die nicht nur für unsere Freundschaft, sondern für das Funktionieren des schweizerischen Miliz-Netzwerks ganz generell typisch ist:
Ueli Pfister und ich waren im Militärdienst in unserer letzten Funktion beide Chef Truppeninformationsdienst, er in der Felddivision 6 und ich in der Mechanisierten Division 11, die beide dem Feldarmeekorps 4 unterstanden. Als es darum ging, den Posten unseres gemeinsamen Vorgesetzten Oberst Oscar Fritschi zu ersetzen, fragte mich der Korpskommandant, den wir beide aus gemeinsamen Diensten gut kannten, ob ich Interesse hätte an dieser Funktion. Ich bejahte, machte aber einen Vorbehalt und bat ihn, doch zuerst Ueli Pfister anzufragen, der das bestimmt mindestens so gut wie ich machen würde und darum aus meiner Sicht Vorrang habe. Später erfuhr ich, dass Ueli ganz ähnlich reagierte, aber mir den Vorrang gelassen hätte. Zum Zug kam dann eine Informationsspezialistin aus dem Militärischen Frauendienst, die sich allerdings als Frau Oberst bei Kursen regelmässig dispensieren liess, sodass wird nie in den Genuss kamen, sie als gemeinsame Vorgesetzte zu erleben.
Nach dieser kleinen charakteristischen Geschichte zum Thema Kameradschaft suche ich noch nach einem Schlusswort, und da fällt mir eines jener Soldatenlieder ein, das man damals noch oft gesungen hat. Es enthält eine Anspielung auf den Galaterbrief des Apostels Paulus („Einer trage des andern Last“) und wirkt daher in dieser Feier bestimmt nicht als Fremdkörper.
„Ach, was willst Du traurig sein, lieber Kamerad
Überall lacht Sonnenschein, winkt und hell und rot der Wein,
Reck den Rücken grad!
Drücken Dich die Sorgen,
Leg sie auf die Schultern mir,
Heute und auch morgen
Trag ich sie mit Dir“.
In dankbarem Gedenken an gemeinsame Lasten und Freuden
Robert Nef
St. Peter, 11. Juli 2017