Herr Präsident, liebe Festgemeinde,
Ich beginne mit einem Dank, denn noch selten habe ich bei der Vorbereitung eines Vortrags so viel Neues entdeckt und gelernt.
Lehrreich ist schon die Analyse Ihres Namens «Kiwanis». Meine Internet-Recherchen haben Folgendes ergeben: «Nune-Kee-Wanis» bedeutet in einem indianischen Dialekt so viel wie «Ausdruck der eigenen Persönlichkeit». Auf der englischsprachigen Webseite fand ich eine noch etwas handfestere Übersetzung: «I am foolish and wanton and I play with noise», «Ich bin töricht und mutwillig, und ich spiele laut lärmend»… Das erinnert mich an meine eigene Kindheit, an meine Kinder und Enkel und an alle Kinder der Welt! Erziehung ist gegenseitig, und ich bin von meinen Kindern durchaus autoritär erzogen worden…
Dem Internet entnehme ich ferner, dass es seit 2005 zu den erklärten Zielen von Kiwanis gehört, den Kindern der Welt zu dienen!
Ich selbst fühle mich gern als Kind: Unfertig, voller Fragen, lernfähig, bereit zu spielen und zu helfen und manchmal auch ein wenig zu rebellieren. Ich mag die «kreative Dissidenz» der Kinder, selbst wenn wir sie als Erwachsene oft auch als störend empfinden.
Kinder lernen beim Spielen, sie erfahren jene Mischung von Geschicklichkeit, Glück und Pech und bei Mannschaftsspielen auch das Zusammenspiel und das Einhalten von regeln. Das Wichtigste dabei ist die Erfahrung, dass auch das Verlieren nie definitiv ist, und dass es ein nächstes Spiel gibt, bei dem man hoffen kann, zu gewinnen.
Bei der Suche nach der Verwandtschaft von Kiwanis und Liberalismus stiess ich auf Ihre sechs Grundsätze, die Ihnen natürlich alle bekannt sind:
- Den humanen und geistigen Werten den Vorrang vor den materiellen Werten geben.
- Alltag die Anwendung der «Goldenen Regel» in allen zwischen-menschlichen Beziehungen fördern: Verhalte Dich immer so, wie Du erwartest, dass sich Deine Mitmenschen Dir gegenüber verhalten.
- Die Anwendung immer höherer Massstäbe im sozialen, geschäftlichen und beruflichen Leben fördern.
- Durch Rat und gutes Beispiel verständnisvollere, aktivere und hilfsbereitere Mitbürger formen.
- Durch Kiwanis Clubs dauernde Freundschaften gewinnen, uneigennützigen Dienst am Nächsten üben und bessere Gemeinschaften bilden.
- Mitarbeiten am Aufbau einer gesunden öffentlichen Meinung, um dadurch Rechtschaffenheit, Gerechtigkeit und Loyalität einem freien Staatswesen gegenüber sowie gute internationale Freundschaften zu fördern.
Ich bin froh, dass mein Vortrag nicht den Titel «Freiwilligenarbeit» trägt. Der Begriff «Arbeit» erinnert nämlich an Mühsal und Anstrengung. Noch schlimmer sind «Travail» / «Trabajo» und «Job». Ersterer kommt von Lateinisch «trepalium», was Folterbalken bedeutet, letzterer ist ein Dreckknollen den man sich mit den Füssen zuspielt. Das Schweizerdeutsche und Schwäbische «Schaffe» ist viel sympathischer. Es erinnert an Schöpfung. Arbeiten bedeutet für uns auch Schöpferisch-Sein.
Zudem stellt sich im Zusammenhang mit «Freiwilligenarbeit» die Frage, ob denn in einem freien Land mit freiem Arbeitsmarkt nicht auch die Erwerbsarbeit freiwillig sei. Wir arbeiten, weil dies für die meisten wirtschaftlich notwendig ist und weil es neben Anstrengung auch Befriedigung und soziale Kontakte ermöglicht, aber wir sind keine Zwangsarbeiter.
Im Zusammenhang mit Freiwilligenarbeit ist heute häufig auch von Volunteering und von karitativer Tätigkeit die Rede. Beliebt ist in der Schweiz auch der Begriff Milizprinzip: Miliz als freiwilliges, teilzeitliches, nebenberufliches und grundsätzlich unentgeltliches persönliches Engagement. Der Militärdienst ist zwar –, meines Erachtens zu Recht – in der Schweiz nach wie vor obligatorisch, aber die anspruchsvolle Übernahme einer Vorgesetztenfunktion ist freiwillig.
Bei der Miliz geht es um Dienstleistung, und Dienstleistung ist ein Schlüsselbegriff einer modernen arbeitsteiligen Gesellschaft: Dienen und Leisten. Beides erfordert Engagement und Einfühlungsvermögen in die Bedürfnisse anderer. Es stimmt nicht, dass Arbeiten grundsätzlich moralisch abstumpft und immer egoistischer macht. Wie steht es nun aber mit der finanziellen Gegenleistung? Beim freiwilligen Engagement fällt diese weg, aber ich neige dazu, trotzdem von einem Tausch zu reden. Man tauscht Leistung gegen Befriedigung und Anerkennung, und das sind keine Nonvaleurs. Man lernt bei diesem Engagement, und man erhält Feedback, positives und negatives, und man erlebt Dankbarkeit, Freude und Freundschaft. Das das ist nicht «gratis», das ist unbezahlbar.
Eine funktionierende Gesellschaft hat nämlich mindestens drei Säulen: Freiheit als Voraussetzung, Freude als Antrieb und Freundschaft als Ziel. Und der tragende Querbalken, der auf diesen 3 Säulen ruht ist nicht etwa die Gerechtigkeit, sondern der Friede. Alle diese Begriffe beginnen mit Fr-, mit einem Lippen- und mit einem Gaumenlaut, und sie sind in der deutschen Sprache auch wortgeschichtlich verwandt.
Liegt dies alles nun ausserhalb jeder Ökonomie? Für mich befinden sich solche Überlegungen nicht «Jenseits von Angebot und Nachfrage» sondern nur jenseits des reinen Geld- und Profitdenkens.
In der ökonomischen Theorie wird immer wieder diskutiert, ob jede höhere Moral ausserhalb des Tauschprinzips und damit auch ausserhalb der ökonomischen Betrachtungsweise liege, oder ob es so etwas wie eine optimale Bewirtschaftung des Altruismus als einem «knappen Gut» gebe. Was ist denn der Unterschied zwischen einer rein kommerziell und professionell angebotenen Dienstleistung und einem auf reiner Nächstenliebe basierenden Angebot? Gibt es nicht auch einen «Hunger nach Anerkennung», dessen Befriedigung man mit guten Gründen auch innerhalb der Ökonomie ansiedeln kann?
Ökonomie und Moral, werden häufig gegeneinander ausgespielt, wie wenn Ökonomie per se schon unmoralisch wäre. Bis weit in bürgerliche Kreise hinein gilt das marxistische Vorurteil, jedes Geldverdienen gehe zu Lasten von Ausgebeuteten und sei in erster Linie ein Dienst an sich selbst und zu Lasten der Gemeinschaft mit ihren «öffentlichen Interessen». Es gelte darum, den Geist des Profites durch Moral zu zähmen. Und wenn dies allein nicht hilft, will man die allzu knappe Moral durch mehr staatlichen Zwang und durch mehr Zwangsabgaben in ordentliche gemeinnützige Bahnen zu lenken. Die «soziale Marktwirtschaft», so wird argumentiert, werde erst aufgrund einer vom Staat erzwungenen Ordnung wirklich sozial. Das Schlimme daran ist nicht, dass dies dem sozialistischen Parteidenken entspricht, sondern dass es in Form von «schlechtem Gewissen» auch breite Kreise von Befürwortern der Marktwirtschaft befällt, die man eben deshalb durch möglichst zentrale Gesetze, durch Besteuerung und durch staatlichen Zwang in ordentliche und gemeinnützige Bahnen lenken will.
In der Basler Zeitung ist am 9. Juni 2016 ein aufschlussreicher Artikel von Sigfried Schibli zum Thema «Knappes Gut Altruismus» erschienen, dem ich Folgendes entnehme: Der amerikanische Ökonom Lawrence Summers bezeichnet den Altruismus als «wertvolles knappes Gut, das geschont werden muss». Schon vor zwei Generationen warnte Dennis H. Robertson, ein Wissenschaftler aus Cambridge, die Gesellschaft davor, «ihren knappen Tugendvorrat zu verschleudern».
Der englische Komödiendichter und Aphoristiker Oscar Wilde war mehr Dandy als Sozialist. Er fand es aber wunderbar, dass man sich durch das Bezahlen von Steuern davon dispensieren konnte, selbst wohltätig zu sein. Er empfand die Delegation des sozialen Umverteilens an bezahlte Fachleute (an die «Sozialindustrie», wie man heute sagen würde) als grosse menschliche Entlastung und als entscheidenden Fortschritt. Allerdings muss man bei Wilde stets in Rechnung stellen, dass der Text auch das Salz der Selbstironie enthalten könnte, das bei der Leserschaft bewusst Widerspruch erzeugen will.
Ich persönlich finde diese moralische «Enthaftung» die verhängnisvollste Komponente des Sozialstaates. Die Menschen verlieren dabei schrittweise die Fähigkeit, Not (als physisches oder als psychisches Phänomen) überhaupt wahrzunehmen und die Linderung von Not als persönliche Herausforderung zu sehen. Nicht zufällig gehört die Formel «das ist doch nicht mein Problem» zum kommunikativen Alltag. Wenn solche Instinkte völlig verkümmern, braucht es Generationen, bis sie wieder entstehen.
Ricarda Huch, eine Historikerin und Dichterin und – vor allem – eine Frau, sah dies anders: «Liebe ist das einzige, das wächst, wenn wir es verschwenden». Auch der Volksmund ahnt es: Geteiltes Leid, ist halbes Leid, geteilte Freude ist doppelte Freude.
Es gibt dazu auch eine umfangreiche empirische Sozialforschung, die meist auf Laborexperimenten basiert, und die man deshalb kritisch beurteilen sollte. Der beliebte, aber wenig intelligente Satz, man solle nur denjenigen Statistiken und empirischen Untersuchungen trauen, die man selbst gefälscht habe, hilft hier nicht weiter. Empirische Forschung kann nützlich und aufschlussreich sein, aber man muß ihr mit aller Vorsicht begegnen. Es macht sehr wohl Sinn, vor allem jenen Untersuchungen zu trauen, bei denen die empirischen Forscher genau das Gegenteil von dem herausfinden, was sie eigentlich beweisen wollten.
Der amerikanische Sozialphilosoph Michael Sandel benützt in seinem Buch «Moral und Politik» (Berlin 2015) ein anschauliches Bild. Der Altruismus sei wie ein Muskel, der durch Training nicht abgenutzt, sondern kräftiger werde. Wer vieles aus Nächstenliebe tut und nicht alle sozialen Leistungen dem Staat oder dem Markt überlässt, wird nicht schwächer, sondern stärker. Sandel zitiert eine Studie aus Israel, in der drei Gruppen von Jugendlichen für einen sozialen Zweck Geld sammeln. Die erste Gruppe bekam nichts dafür. Die zweite Gruppe ein Prozent des gesammelten Geldes, die dritte 10 Prozent. Die letztgenannte Gruppe sammelte erwartungsgemäss viel Geld, weil sie einen materiellen Anreiz hatte. Erstaunlicherweise hatte aber die erste Gruppe, die aus reinem Altruismus handelte, am meisten Geld in der Sammelkasse.
Es stimmt also nicht, dass unbezahlte, ehrenamtliche Tätigkeit schlechtere Leistungen erzielt als bezahlte. Was darf man daraus schliessen? Es gibt vielleicht so etwas wie eine Ökonomie der Hilfsbereitschaft, deren Entgelt in Anerkennung besteht. Sie setzt zusätzliche Kräfte frei und bewirkt eine Art der Ansteckung beim Engagement, ein Funken der Freude, der hinüberspringt und das bewirkt, was Ricarda Huch beschreibt.
Grob vereinfachend lassen sich drei Spielarten der Moral unterscheiden.
Die anspruchsvollste und daher seltenste Ausprägung der Moral ist die Moral der völlig Selbstlosen, die Moral der Heiligen: Zuwendung um ihrer selbst willen, jenseits von Angebot und Nachfrage, eine Moral des bedingungslosen Schenkens. Sie ist ein Wunder, aber Wunder geschehen häufiger als man gemeinhin erwartet. Fast jeder hat diese Spielart der Moral schon erlebt oder gar selbst praktiziert, aber eben doch als Ausnahme und nicht als verallgemeinerungsfähige Regel. Auf Ausnahmen lässt sich keine Gemeinschaft dauerhaft ein, das wäre riskant und naiv.
Der griechische Philosoph Heraklit hat den Krieg, als «Vater aller Dinge» bezeichnet. Wenn man den Begriff Krieg etwas weiter fasst und dafür Kampf, Konflikt, Auseinandersetzung und Wettbewerb einsetzt, fällt es schwer, zu widersprechen. Aber wer ist die Mutter aller Dinge? Meine Antwort ist: «der Tausch». Im Krieg braucht es Opfer und Helden. Auf dem Markt braucht es Einfühlungsvermögen in die Bedürfnisse des Tausch- und Vertragspartners gepaart mit einem intelligenten Egoismus. Anstelle einer eigenen Analyse der Tauschmoral zitiere ich aus Wilhelm Röpkes 1956 gehaltenen Vortrag zum Thema «Wirtschafsethik heute»:
Wenige werden ernstlich leugnen wollen, dass die Welt in der man Geschäfte macht, verhandelt, kalkuliert, spekuliert, Angebote vergleicht und Märkte erkundet, moralisch genau jener Mitte entspricht, die das alltägliche bürgerliche Leben kennzeichnet. Selbstverantwortung, Initiative unter dem Antrieb des Gewinnes durch möglichst vollkommene Befriedigung anderer , Verfechtung des eigenen Interesses bei ständigem Ausgleich mit den Interessen der anderen, Zusammenarbeit im äusseren Gewande des Rivalisierens, Solidarität, ständiges Wägen des Gewichtes des eigenen Beitrags auf der Waage des Marktes, fortgesetztes Ringen um die beste Leistung mit der Förderung der eigenen Position als Kampfpreis, – dies und vieles andere sind unvollkommene Formulierungen, mit denen wir das moralische Klima dieser Welt zu kennzeichnen versuchen. Es ist ein laues Klima, (…), das eine bestimmte milde Luft minimaler Rücksichtnahme zu verbreiten geeignet ist, die elementare Gerechtigkeit einer Entsprechung von Leistung und Gegenleistung fördert und zugleich jenes Klima, das der Entfaltung produktiver Energien am günstigsten ist. Wilhelm Röpke, in: Wirtschaftsethik heute, Drei Reden, Hamburg 1956, S. 14 ff.
Soviel zur zweiten, zur mittleren Spielart der Moral. Die dritte Spielart der Moral ist jenes Minimum, das auch in einer freiheitlichen Gesellschaft durch Erzwingbarkeit gekennzeichnet ist: Der Rechtsstaat, den Immanuel Kant den Garanten des ethischen Minimums bezeichnet hat. Vor allem die Mosaischen Gebote «Du sollst nicht morden» und «Du sollst nicht stehlen» und »Du sollst vor Gericht kein falsches Zeugnis ablegen» stehen hier im Vordergrund. Diese Minimalmoral sollte erzwingbar sein, und weltweit haben Individuen die Durchsetzung dieser Moral an eine hierfür geeignete Institution delegiert, die gemeinsam finanziert wird. Das ist der Sheriff im weitesten und besten Sinn, auf den die wenigsten verzichten möchten.
Jene soziale und religiöse Grunderfahrung, dass es mir besser geht, wenn es auch den andern gut und besser geht, (zusammengefasst in der Formel «Liebe deinen Nächsten, denn er ist wie Du»), entspricht einer anthropologischen Grunderfahrung, die moralischen, ökonomischen und politischen Kriterien gerecht wird.
Eine grosse Zahl von Funktionen und Tätigkeiten, die sich früher in der Familie, in der Nachbarschaft und in kirchlichen und karitativen Gemeinschaften ausserhalb der Ökonomie im engeren Sinn abspielten, sind heute institutionalisiert, ökonomisiert und teilweise auch verstaatlicht worden.
18,6% der ständigen Wohnbevölkerung der Schweiz führen informelle unbezahlte Arbeiten aus. Anders als bei den ehrenamtlichen und freiwilligen Tätigkeiten für Vereine oder Organisationen übernehmen Frauen viel häufiger unbezahlte Hilfeleistungen für Verwandte oder Bekannte als Männer (23,2% der Frauen gegenüber 13,8% der Männer). Am häufigsten führen die Frauen Hütedienste für bekannte oder verwandte Kinder aus. Bei den Männern stehen andere Dienstleistungen für Bekannte oder Nachbarn an erster Stelle. Personen, welche solche unbezahlten Tätigkeiten ausführen, setzen durchschnittlich beinahe zwei Arbeitstage pro Monat dafür ein (Frauen 17,2 Stunden, Männer 11,9 Stunden pro Monat).
Es ist heute ein hochkompliziertes Netzwerk an sozialen Dienstleistungen entstanden, in dem Professionelles mit Unprofessionellem, Bezahltes mit Unbezahltem, Obligatorisches mit Freiwilligem und Subventioniertes mit Unsubventioniertem verknüpft wird.
Die Empfänger solcher Dienstleistungen sind zum Teil bezahlende Kunden und zum Teil Konsumenten des steuerfinanzierten «Öffentlichen Dienstes», der seine Angebote nicht nach sozialen Gesichtspunkten an Bedürftige, sondern nach dem «Giesskannenprinzip» an alle verteilt.
Es sollen nach der egalitären Vorstellung im Wohlfahrtsstaat aufgrund gesetzlicher Normen alle mit allen solidarisch sein. Dass permanent alle allen helfen ist aus dieser Sicht keine moralische Frage, sondern eine sozialstaatliche Rechtspflicht.
Dieses Mischsystem wird zurzeit von verschiedenen Seiten in Frage gestellt. Anstelle des fragwürdigen Zwangs sollen vermehrt freiwillige Netze organisiert werden, die anstelle der staatlichen und professionellen Sozialhilfe funktionieren.
In der Freiwilligenarbeit, im Volunteering, wie es in den USA genannt wird, steckt tatsächlich ein hohes, zum Teil noch ungenutztes Potenzial. Es wäre allerdings verfehlt, wenn man verdrängen wollte, dass diese Art von Tätigkeit auch ihre Grenzen hat.
Die Nachfrage nach freiwilligen Dienstleistungen ist grösser als die Bereitschaft dazu, und viele, die unentgeltliche Freiwilligenarbeit leisten, haben grosse Mühe, Nachfolgerinnen oder Nachfolger zu finden.
Gesucht ist eine neue Abgrenzung zwischen ehrenamtlichen, staatlichen und kommerziellen Lösungen. Welche Bereiche an Staatsstellen übergehen, welche
im «gemischten», teils subventionierten, teils freiwilligen Sektor bleiben, welche neu privatisiert werden und welche in Zukunft sinnvollerweise finanziell selbsttragend oder gewinnbringend zu organisieren sind, ist neu zu ermitteln und auszuhandeln.
Die Einführung obligatorischer Sozialdienste packt das Problem von der falschen Seite her an, weil es ausgerechnet im Dienstleistungsbereich das Entstehen zusätzlicher bezahlter Arbeitsmöglichkeiten verhindert und die Motivation zum freiwilligen Engagement reduziert.
Zukunftsträchtiger ist die Betrachtungsweise, welche sich auf die positiven und menschlich bereichernden Erlebnisse und Erfahrungen im Zusammenhang mit solchen Engagements besinnt, diese aktiv kommuniziert und die Frage nach den persönlichen Opfern und ihrer Kompensation durch Geld in den Hintergrund rückt.
In den USA, die eine tief verwurzelte Tradition des sozialen Engagements kennen, wird «Volunteering» wie folgt angepriesen: «Volunteering in einem anderen Land ist ein wunderbarer Weg andere Kulturen zu erleben und neue Freunde zu gewinnen, die auch gerne helfen. Das Sammeln von neuen Erfahrungen, Kenntnissen und Fertigkeiten kann für Dein späteres Leben nützlich sein.»
Man appelliert also auch an das längerfristige Eigeninteresse, was ich gut finde, sicher erfolgreicher als der moralische Appell, man möge das Gegenseitigkeitsprinzip hinter sich lassen und den Schritt wagen von einer ruhelos-raffgierigen Habgier zum selbstlosen Sein der freiwilligen Hingabe.
Das Spannungsfeld zwischen einem egoistischen Haben und einem altruistischen Sein ist m.E. allzuoft falsch beurteilt worden. Geben ist zwar, wie es im Neuen Testament heisst, seliger denn Nehmen, aber um geben zu können, muss man zunächst selbst etwas haben, es sei denn man gebe etwas, das man zuvor jemand anderem weggenommen (bzw. weggesteuert) hat. Diese Praxis ist im umverteilenden Sozialstaat leider durchaus üblich, sie ist aber weder moralisch noch sozial.
Meine persönlichen Erfahrungen stammen aus der Praxis: 1500 Diensttage als Milizoffizier, 20 Jahre Präsidium eines als Stiftung organisierten Kinderspitals und viele weitere Engagements im Grenzbereich von Beruf, Berufung und Selbstbestätigung und, das sei ehrlicherweise zugestanden, wahrscheinlich auch der Selbstprofilierung.
Ich habe aber freiwilliges Engagement immer als Bereicherung empfunden, viel gelernt und damit mehrheitlich gute Erfahrungen gemacht.
Die gleichzeitig pädagogische und betriebswirtschaftliche Frage, die bei einem Freund der Freiheit besonders hohe Anforderungen stellt, ist im Sozialengagement omnipräsent: Führen oder wachsen lassen… Beides ist gleich wichtig. Diese Art von Tätigkeit lässt sich mit der Erziehung eigener Kinder vergleichen. Man lernt dabei selbst viel, weil man wenig Macht hat und immer wieder überzeugen muss. Es geht um eine besonders subtile Form des Tausches. Engagement macht Freude, und Freude erzeugt wiederum Engagement. Das ist ein Positivsummenspiel.
Es ist wie bei der Gartenarbeit: Säen und pflanzen einerseits, Schädlinge und Wildwuchs bekämpfen (oder dulden) und Unkraut jäten anderseits. Der Unterschied von Kraut und Unkraut ist allerdings nicht immer eindeutig.
«Il faut cultiver notre jardin.» So lautet die alle philosophischen Diskurse abschliessende Weisheit des Candide in der Erzählung von Voltaire.
Einen wichtigen Leitspruch beachte ich seit meiner frühen Jugend als Pfandfinder. Er stammt von Lord Baden Powell: «Versuche es, die Welt ein kleines bisschen besser zu verlassen als Du sie vorgefunden hast.» Das ist keine neue bahnbrechende Erfindung des Gründers der Pfadfinderbewegung, sondern eine menschliche Urweisheit, die es in allen Kulturen gibt: Es soll den Kindern, bzw. der nächsten Generation mindestens gleich gut oder besser gehen. Und ausgerechnet vor dieser Urweisheit hat die verwöhnte Nachkriegsgeneration, zu der ich mich auch zähle, kapituliert. Wir stecken mitten drin in ihrer Verletzung und in ihrem Verrat.
Wir verteilen im Wohlfahrtsstaat Geld, das noch gar nicht verdient ist, d.h. wir machen Schulden zulasten unserer Enkel und Urenkel.
Von Kennedy stammt das berühmte Zitat: «Frag‘ nicht, was der Staat für Dich tun kann, sondern was Du für den Staat tun kannst». Es geht auf einen Ausspruch des Römischen Redners und Philosophen Cicero zurück und entspricht der Vorstellung einer guten Bürgertugend.
Aus liberaler Sicht müsste man aber heute im Zeitalter der Anspruchsinflation und eines immer intensiver intervenierenden Staates Folgendes noch ergänzen:
«Frag‘ nicht, was der Staat alles zusätzlich auch noch tun soll, sondern frag‘, was er besser unterlassen würde.» «Frag‘ nicht, was der Staat an Dienstleistungen noch zusätzlich erbringen könnte, sondern frag‘, wer denn letztlich diese Dienstleistungen bezahlen soll.»
Die ganze empirische Sozialforschung über Politikwünsche ist darum so fragwürdig, weil man den Leuten zwar Alternativen zur Wahl gegenüberstellt aber kaum je sagt, was, wann wieviel kosten wird. Auch bei Abstimmungen wird oft massiv untertrieben oder verschwiegen, was ein Ja und was ein Nein kostet. Beim Krankenversicherungsgesetz erinnere ich mich, dass Bundesrätin Dreifuss öffentlich für ein Obligatorium geworben hat dem Hinweis, die Prämien würden dann sinken.
Ich möchte diesen Festvortrag nicht mit billigen Klagen über eine stets unzulängliche Politik abschliessen, sondern mit der ganz banalen Alltagsweisheit eines deutschen Schlagers, den Sie vielleicht noch kennen:
«Wer soll das bezahlen? Wer hat das bestellt? Wer hat so viel Pinke-Pinke, wer hat so viel Geld?» (30)
Man hat den Text, m.E. zu Unrecht, folgendermassen parodiert: «Papa soll bezahlen, Mama hat bestellt…» Dies widerspricht der Tatsache, dass Frauen in der Regel beim Schuldenmachen zurückhaltender sind als Männer – Ausnahmen bestätigen die Regel. Der heute aktuelle Refrain müsste folgendermassen lauten:
«Die Enkel solln’s bezahlen, Opa hat bestellt, er vererbt die Schuldenberge, als sei’s der Lauf der Welt…»
Die fleissig vorsorgenden Ameisen sollen – einmal mehr – wie in der Fabel von Lafontaine, die sorglosen Grillen überwintern. Ich bin überzeugt, dass die Schuldenmacherei zulasten kommender Generationen zu Notständen und Krisen aller Art führen muss. Ich sähe lieber viele kleine, non-zentrale Krisen als eine grosse, zentrale Krise.
Wir sollten dafür sorgen, dass angesichts dieser Fehlentwicklung mindestens der Geist der Eigenverantwortung und der Face-to-face-Hilfsbereitschaft von Generation zu Generation weitergegeben wird. Es wird nämlich diesbezüglich eine akute Nachfrage nach Altruismus und nach Sympathie geben.
Einmal mehr findet man bei klassischen Dichtern einigen Trost, z.B. bei Friedrich Hölderlin mit seinem: «Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch.» Von ihm stammt auch die Erkenntnis: «Das hat den Staat zur Hölle gemacht, dass ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte.»
Das Rettende kann aber nur wachsen, wenn es auf dem wohlfahrtsstaatlich überdüngten und ausgelaugten Boden noch ein Rhizom, ein Wurzelgeflecht gibt, das wieder ausschlägt.
Ich meine in der Familie und in der Nachbarschaft, im Freundeskreis und in der kleinen Betriebsgemeinschaft, sei dieser im besten Sinn radikale Wurzelgrund nie ganz auszurotten. Er ist ein Wildkraut und kein Zuchtgemüse.
Es ist tatsächlich so, wie es der Schweizer Dichterpfarrer Jeremias Gotthelf formuliert hat:
«Nur wer Liebe sät, kann auch Liebe ernten.»
Säen Sie weiter und bauen Sie durch freiwilliges Engagement weiter am Eckpfeiler einer liberalen Gesellschaft! Es lohnt sich in jeder Beziehung.