Zum Inhalt springen

Vom Widersinn «sozialer Freiheit»

Lesedauer: 2 Minuten

(NZZ – FEUILLETON – Donnerstag, 11. Februar 2016, Seite 38)

REPLIK

ROBERT NEF


Axel Honneths Buch «Die Idee des Sozialismus. Versuch einer Aktualisierung» kommt auf leisen Sohlen daher. Doch bleibt es letztlich nostalgisch getrieben. Honneth will nach dem Scheitern fast aller Versuche der politischen Umsetzung sozialistischer Ideen retten, was zu retten ist. Georg Kohler hat das Werk aus wohlwollend-kritischer Sicht besprochen (NZZ vom 2. 2. 16). Indem Kohler trotz allem eine positive Bilanz ermöglichen will, klammert er sich an einen begrifflichen Strohhalm, der aus liberaler Sicht seinerseits zur Kritik herausfordert. Schauen wir näher hin.

Was es eigentlich heisst

Honneth bestreitet, dass sich der Sozialismus einseitig auf den Grundwert der Gleichheit berufe, und kritisiert die Blindheit der frühen Sozialisten für die auf Grundrechten beruhende, liberal verstandene Freiheit. Diese ist für ihn aber nur eine halbierte Freiheit. Er möchte sie ergänzt wissen durch eine «soziale Freiheit», als «ein solidarisches Sich-Ergänzen». Doch ist es wirklich eine Ergänzung – oder nicht eher ein Gegensatz? Frei gewählte und freiwillig eingegangene Solidarität ist auch eine liberale Option, aber eben keine von Staates wegen und durch Mehrheiten erzwingbare Pflicht. Friedrich August von Hayek hat sich zum Wort «sozial» (nicht zu verwechseln mit der Sache des Sozialen) pointiert geäussert. «Was es eigentlich heisst, weiss niemand. Klar ist nur, dass eine soziale Marktwirtschaft keine Marktwirtschaft ist, ein sozialer Rechtsstaat kein Rechtsstaat, ein soziales Gewissen kein Gewissen, soziale Gerechtigkeit keine Gerechtigkeit.» Zu ergänzen wäre nach der Lektüre von Honneth: «. . . und ‹soziale Freiheit ist keine Freiheit›».

Das ist natürlich zunächst auch bloss eine Behauptung. Sie lässt sich aber philosophisch untermauern. Freiheit besteht, nach liberaler Auffassung, auch ohne Adjektive nicht in der Befugnis, anderen Menschen zu schaden. Das soziale Element, das es für die Befürworter einer «sozialen Freiheit» zusätzlich einzubringen gilt, betrifft also nicht das Verbot einer Schädigung, sondern das Gebot eines offenbar objektivierbaren Nutzens. Wenn es um Gebote geht, stellt sich freilich sofort die Frage, wer sie erlässt und wer sie allenfalls gegen unbotmässig Handelnde durchsetzt. Aus liberaler Sicht ist klar: Wenn das Gebot, anderen durch Kooperation oder persönliche Hilfestellung zu nützen, auf einer moralischen Ebene liegt, braucht es hierzu keinerlei Zwang. Im Gegenteil, die Erfahrung lehrt, dass sich Zwang auf die Kooperations- und Hilfsbereitschaft in der Regel negativ auswirkt. Freiwillige Solidarität lohnt sich darüber hinaus in vielen Fällen auch ökonomisch. Wenn aber die auf eine «soziale Freiheit» abgestützten Gebote der Kooperation und der Solidarität durch staatliche Vorschriften (etwa im Dienst eines sozialstaatlichen Ausgleichs oder durch staatliche Mindestlöhne) erzwungen werden, wird spontane Freiwilligkeit durch kollektiven Zwang ersetzt.

Zwang in der Demokratie

Angesichts dieser Argumentation wird regelmässig der Einwand vorgebracht, ein solcher Zwang sei in einer Demokratie gar kein echter Zwang, weil er ja von einer Mehrheit beschlossen worden sei. Immer häufiger sind es aber in modernen Wohlfahrtsstaaten profitierende Mehrheiten, die belastete Minderheiten überstimmen. Das widerspiegelt eine Vorstellung von Verteilungsgerechtigkeit, welche Mehrheiten gegen Minderheiten durchsetzen. Wenn mitbestimmende Mehrheiten mitbestimmten Minderheiten schrankenlos zwingend vorschreiben können, was sie für «sozial», «gerecht» oder gar für «sozial frei» halten, ist das möglicherweise demokratisch oder sogar sozialdemokratisch. Mit Freiheit im liberalen Sinne hat das aber zweifellos nichts zu tun.

NZZ 2. Februar 2016, Seite 41 (Buchbesprechung von Georg Kohler)

Schlagwörter:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert