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Die Macht der Verführung

Lesedauer: 2 Minuten

(Basler Zeitung, 10.02.2016 & 07.03.2016)

Es gibt neben der staatlich legitimierten und limitierten Zwangsausübung auch Formen der Macht, die sich nicht auf staatliche Gesetze stützen. In diesem Zusammenhang spricht man in der Regel von Manipulation, von verborgenen Verführungen, welche Macht erlangen, weil sie sich unterhalb oder ausserhalb des Bewusstseins abspielen. Der deutsche Dichter Lessing hat mit guten Gründen in seinem Theaterstück «Emilia Gallotti», die Verführung als die stärkste Macht bezeichnet. Verführung ist allgegenwärtig, auch im Bereich der Religion und des Staates. Die Medien, ja alle Kulturschaffenden, haben die Aufgabe, mit Argusaugen alle Formen der Verführung zu beobachten und zu kritisieren, welche die jeweiligen Machtträger spontan oder mit Hilfe ihrer professionellen Informationsstäbe praktizieren.

«Manipulation» war als Gegenstand der Fundamentalkritik ein «Leitfossil» der 68er Bewegung. Man wollte sich aus einer als Zwangsjacke empfundenen allseitigen (aber vor allem ökonomischen) Manipulation befreien, nach dem Motto «Macht kaputt, was Euch kaputt macht». Das Gegenmittel war die Emanzipation, das Herausführen aus der Unmündigkeit des Manipuliert-Seins durch das Establishment mit dem Motiv der politischen Mitbestimmung der «Alternativen». Zu wenig bewusst war man sich damals, dass die Übergänge zwischen schädlicher Manipulation (angeblich von rechts) und guter Motivation (angeblich von links) fliessend sind, was im satirischen Kunstwort «Motipulation» treffend zum Ausdruck kommt. Wir stecken heute mitten drin in der allerseits gut gemeinten politisch korrekten «Motipulation».

Die damaligen 68er Intellektuellen haben entweder die Seite gewechselt und sind Unternehmer geworden oder sie bilden in der Regierung und in den Medien jenes Mitte-links-Establishment, das in den Medien und in den Bürokratien und auch im staatlichen Bildungswesen den Ton angibt.

Die sogenannte «Macht der Wirtschaft» und auch die «Macht der Technik» lassen sich willentlich individuell gezielt verweigern, die Macht des Staates nicht. Wer kann denn ein Individuum, einen potentiell Konsumierenden eigentlich zwingen, ein bestimmtes Produkt, eine bestimmte Dienstleistung, tatsächlich zu konsumieren?
Wenn jemand Coca-Cola nicht mag, hat das globale Unternehmen Coca-Cola keine Macht über ihn, wenn jemand kein Auto kaufen will, so ist die ganze Autolobby machtlos, und wer keine private Versicherung abschliessen will, kann auch dem aufdringlichsten Agenten einfach ”Nein” sagen, eine Zeitung kann abbestellt werden, und den Fernsehapparat kann man jederzeit um- oder ausschalten oder auch darauf verzichten. Wer aber seine Steuern nicht bezahlt, wird betrieben und bestraft.

Politische Macht lässt sich nicht problemlos abschaffen, sie liesse sich aber in kleine territoriale und institutionelle Stücke schneiden, die sich gegenseitig konkurrenzieren, kontrollieren, entgiften und – wenigstens teilweise – Exit-Optionen oder alternative wählbare Vernetzungen und – vor allem – Lernprozesse durch Vergleich möglichen. Und, was ganz wichtig ist: Man kann – auch als klassisch Liberaler – nicht genug vor der Gefahr der grossen zentralen, korporatistischen Verbrüderung von Big government, Big Business und Big data im globalen «Crony capitalism» warnen.

Natürlich wird diese «Verbrüderung» teilweise recht brutal von der real existierenden Staatsmacht erzwungen, aber diese Macht ist nur darum so erfolgreich, weil auf der andern Seite, die opportunistische Bereitschaft zur Kooperation zunehmend vorhanden ist. Vor allem von der «organisierten Wirtschaft» wird sie als «Weg der Vernunft» und als alternativlose «Anpassung an Sachzwänge» in einer real existierenden etatistischen Second-best Welt angepriesen. Da lassen sich heute relativ bedenkenlos auch Ordo-Liberale und Klassisch-Liberale und andere Bindestrich-Liberale von der Staatsmacht oft allzu leicht verführen.

Robert Nef ist Publizist, präsidiert den Stiftungsrat der Stiftung für Abendländische Ethik und Kultur und ist Mitglied des Stiftungsrats des Liberalen Instituts und der Stiftung Freiheit & Verantwortung.
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