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Die FDP und die Verlockungen der Mitte

Lesedauer: 3 Minuten

(NZZ – MEINUNG & DEBATTE – GASTKOMMENTAR – Dienstag, 26. Mai 2015, Nr. 118, Seite 21)

Die Zugewinne der FDP bei kantonalen Wahlen in jüngster Zeit sind wohl auch darauf zurückzuführen, dass die Freisinnigen der «Versuchung der Mitte» widerstanden haben. Es sind nicht zuletzt die Jungen, die sich der staatlichen Regulierung und Zwangsverrentung sämtlicher Lebensbereiche widersetzen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Selbstbewusstsein im bürgerlich-liberalen Lager eher konservativ pessimistisch. Viele rechneten mit einer Wirtschaftskrise, und die Meinung, man müsse sich jetzt auf ein gemässigt sozialdemokratisches Zeitalter einstellen und dabei einfach Schlimmstes verhüten, war auch bei den bürgerlichen Parteien, die immer noch eine bequeme Mehrheit hatten, weit verbreitet.

Dann kam der Schock der 68er Bewegung. Man reagierte im bürgerlichen Lager defensiv, ahnte aber, dass die Zeit der «geistigen Landesverteidigung» vorbei war und dass sich ein gesellschaftlicher Strukturwandel und eine Öffnung im Hinblick auf neue Ideen abzeichneten. Dass sich die von Anfang an nicht homogene Bewegung recht bald in einen etatistisch-linken und einen antiautoritären anarchistisch-linken Flügel aufspaltete und sich letzterer von selbst auflöste, wird heute erst im Rückblick klar. Die neue etatistische Linke war dann beim Umbau der SP von einer Arbeiter- zu einer Staatsbeamten- und Intellektuellenpartei massgeblich beteiligt.

Einer ihrer wichtigsten Erfolge besteht bis heute darin, dass die Meinung an Universitäten und in vielen Medien verbreitet wird, der zivilisatorisch-kulturelle und soziale Fortschritt beruhe auf einer politischen Sozialdemokratisierung der Gesellschaft und der freie Markt, der Neoliberalismus und der Kapitalismus seien Relikte aus dem bürgerlich dominierten 19. Jahrhundert, die im 21. Jahrhundert definitiv obsolet geworden seien. In den 1970er und 1980er Jahren herrschte unter den führenden Köpfen der Freisinnig-Demokraten die Meinung vor, «die Jungen», d. h. die nächste Generation, würden auf breiter Front «mehr Politik für Jugendanliegen», «mehr internationale Öffnung» und eine «Beschleunigung der Integration in Europa» fordern. Man forcierte, unterstützt durch PR-Agenturen, die als besonders «urban» und «fortschrittlich» empfundenen und in den Medien hochgespielten «sozialen» und «grünen» Anliegen, und man nahm in Kauf, dass diese Politik mit dem gleichzeitig als Werbung benützten Slogan «Mehr Freiheit – weniger Staat» kaum kompatibel war. Man rechnete auch nicht damit, dass eine global offene, reiselustige Jugend gleichzeitig auch mehr nationales Selbstbewusstsein entwickeln könnte.

Viele waren der Meinung, wer «die Jugend» auf seiner Seite haben wolle, müsse sich nach links, d. h. nach «mehr Sozialstaat», öffnen. Vor allem an den Hochschulen etablierten sich die Alt-68er mit der Meinung, sie seien die Avantgarde gegen ein falsches bürgerlich-konservatives Bewusstsein. In diesen Kreisen ist natürlich die Forderung nach «Mehr Freiheit – weniger Staat» bis heute der Ausgangspunkt des Niedergangs eines für zeitgemäss gehaltenen sozialliberalen und durch den Staat vermittelten Freiheitsverständnisses.

Die innenpolitische Entwicklung nach der Jahrtausendwende nahm einen andern Verlauf. Dass es ausgerechnet bei politisch interessierten Jugendlichen zu einer Reaktion gegen den medialen Mitte-Links-Mainstream kam und dass es neben der nationalkonservativen EU-Skepsis in bäuerlich-konservativen ländlichen Gebieten auch unter vielen Jugendlichen in städtischen Regionen eine Skepsis gegenüber dem Trend zur Internationalisierung und zur europäischen «Verwohlfahrtsstaatlichung» gab und zunehmend gibt, wurde damals weder prognostiziert noch erwartet.

Es sind aber vor allem die Jungen, die unter der staatlichen Regulierung und Zwangsverrentung sämtlicher Lebensbereiche leiden. Immer klarer wird von den Jungen wahrgenommen, dass der expandierende Wohlfahrtsstaat auf Kosten kommender Generationen in Kombination mit einer kaum mehr kontrollierbaren Einwanderung gewaltige politische und finanzielle Hypotheken auftürmt. Sie müssen von den nächsten Generationen verzinst und amortisiert werden. Dies erklärt, warum staatsskeptische, libertäre Auffassungen in Kombination mit hoher nationaler Eigenständigkeit bei vielen Jungen en vogue sind. Sie entsprechen einer persönlichen Interessenlage, und die Ablehnung staatlicher Bevormundung entwickelt sich auch ohne diesbezügliche Indoktrination. Was auf die Dauer nicht finanzierbar ist, funktioniert nicht und kann daher auch kein politisches Ziel sein. Wer dies bestreitet oder verharmlost, betreibt keine glaubwürdige und zukunftstaugliche Politik.

Die kantonalen Jungparteien der FDP wechselten konsequenterweise im Lauf einer Generation vom linken auf den rechten Flügel, wenn man «links» mit Etatismus, Interventionismus und Internationalismus (mehr Staat und EU-Beitritt) und «rechts» mit Anti-Etatismus, Interventions- und Umverteilungsskepsis (weniger Daseinsvorsorgestaat und kein EU-Beitritt) gleichsetzt. «Weniger Staat» im Sinn von «weniger Bevormundung und Daseinsvorsorge» liegt im Trend. Auch bei der Jungen SVP gibt es mehr libertäre Staatsskepsis, als vielen Nationalkonservativen lieb ist.

Der Vormarsch der FDP in kantonalen Wahlen ist wohl nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Partei der «Versuchung der Mitte» widerstanden hat und sich glaubwürdig als «rechtsbürgerlich», aber nicht xenophob, als EU-skeptisch, aber global offen zu erkennen gibt und sich endlich von der Vorstellung verabschiedet, die Zukunft liege im Sinne eines zivilisatorischen Fortschritts tendenziell bei einem zwar massvollen, aber kontinuierlichen Ausbau des Sozialstaates und einer mittelfristig damit verknüpften EU-Integration. Ideologischer Links-Etatismus à discrétion und auf Kosten der nächsten Generation liegt nicht mehr im Trend. Die Prognose eines generellen Sieges der auf zwangsweiser Umverteilung, Etatisierung, Zentralisierung und Internationalisierung basierenden Sozialdemokratie hat sich – wenigstens in der Schweiz – nicht bewahrheitet.

Im Gegensatz zur Schweiz gab es diesen Gesinnungswandel bei der deutschen FDP nicht oder nur ganz marginal, was zur Folge hatte, dass die Partei sich in Flügelkämpfen zerstritt und zum Opfer ihrer Mitteposition wurde. Die Mitte, die sich damit «profiliert», dass sie keine Linie hat und opportunistisch einmal links und einmal rechts koaliert, verliert bei der jungen Generation jede Glaubwürdigkeit und Attraktivität.


Robert Nef leitete von 1979 bis 2007 das Liberale Institut.

NZZ 26. Mai 2015, Seite 21

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