(NZZ – MEINUNG & DEBATTE – GASTKOMMENTAR – Dienstag, 17. März 2015, Nr. 63, Seite 18)
Gegen das milliardenschwere nationale Kulturförderungsprogramm.
Vor genau zehn Jahren habe ich mich in einem Artikel mit dem Titel «Kultur ist Sache der Kultur» in der NZZ als liberaler Kritiker einer zentralstaatlichen Kulturpolitik geäussert. Viele staatsgläubige Kulturfreunde haben mir damals vorgeworfen, ich missachte die zentrale Bedeutung der Kultur für das Leben der Menschen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Meinung, alles Lebenswichtige müsse auch Sache des Staates sein, führt direkt zu einer Staatsabhängigkeit alles Lebens. Der Dichter Hölderlin hat es wie folgt formuliert: «Das hat den Staat zur Hölle gemacht, dass ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte.» Jacob Burckhardt hat die Kultur, neben Staat und Religion, als eine der drei geschichtsgestaltenden Potenzen analysiert. Er sieht ihre Rolle nicht als Dienerin des Staates, und – was wichtig ist – er zählt die Wirtschaft (Agricultura, Gewerbe und Handel) ebenfalls zur Kultur.
Der Trugschluss
Staatliche Kulturförderung fördert die Staatsabhängigkeit der Kultur und trägt wenig zur Kultivierung des Staates bei. Der Staat beruht letztlich auf dem Zwangsmonopol, das in vielen Belangen tatsächlich notwendig sein mag, und die Mittel des Staates beruhen auf Zwangsabgaben. Mit Kultur hat das wenig zu tun. Die Meinung, je mehr der Staat die Kultur via Steuergelder fördere und damit verbillige, desto grosszügiger würden auch die hoch Besteuerten privat in die Kultur und deren Förderung investieren, ist ein gefährlicher Trugschluss. Das Gegenteil ist der Fall. Kultur wird so immer mehr zum Service public und sinkt auf dessen Niveau.
Wenn Marc Tribelhorn in seinem Plädoyer für das milliardenschwere nationale Kulturförderungsprogramm von Bundesrat Berset (NZZ 13. 3. 15) zum Schluss kommt, dieses Programm «zur Stärkung der kulturellen Identität» sei «Teil eines republikanischen Selbstverständnisses», ist dies nichts anderes als ein Bekenntnis zu einer zentralstaatlichen Kulturpolitik. «Republikanisch» ist in diesem Zusammenhang einfach eine etwas vornehmere Bezeichnung für «etatistisch». Selbstverständlich ist es weder im Parlament noch in der NZZ unstatthaft, sich für solche Ziele zu engagieren. Liberal ist das aber nicht.
Das zentrale Anliegen des Liberalismus ist nämlich die Begrenzung des Staates und nicht seine kontinuierliche Ausdehnung auf öffentliche Angelegenheiten und Dienstleistungen, die zu einem ständigen Wachstum der Res publica führen. Die politisch entscheidende Grenze verläuft zwischen Staat und Nicht-Staat, zwischen dem Zwangsmonopol einerseits und dem fremdherrschaftsfreien Tausch als Basis der Kommunikation anderseits. Kultur basiert auf freier Kommunikation und nicht auf Zwang. Kultur gab es schon, bevor es Staaten gab, und sie war und ist ihrem Wesen nach nie national, sondern, wie die gute Küche, lokal und regional. Weder das klassische Athen noch Florenz, Siena und Venedig, noch Weimar zur Zeit von Goethe und Schiller, noch Leipzig zur Zeit von Bach waren Zentren einer national definierten und geförderten Kultur.
Die Kultur hat sich stets mit dem Wahren, Schönen und Guten befasst, das von der staatlichen Macht und vom staatlichen Geld unabhängig ist und nicht selten sogar seine Kraft aus der radikalen Machtkritik geschöpft hat und immer wieder schöpft. Ich halte hier nicht gegen jede Kulturförderung durch das Gemeinwesen. Es hat Sinn, wenn sich kulturbewusste freie Bürger anstelle von adligen und kirchlichen Fürsten auch finanziell für kulturelle Zwecke engagieren. Wenn die Bürgerschaft einer Stadt oder eines Kantons mehrheitlich für die Förderung von Kulturinstitutionen auf Kosten der eigenen Steuerzahler und im Wettbewerb mit andern Gebietskörperschaften gewonnen werden kann, führt dies zu einer völlig anderen Kulturförderung, als wenn die Kulturbeauftragten einer Stadt oder eines Kantons um die Gunst einer nationalen oder gar internationalen Kulturförderungsinstanz buhlen müssen, die zentral eingetriebene Steuergelder in Milliardenhöhe verteilt und umverteilt.
Zentralistische Fehlkonstruktion
Es geht hier nicht um die Definition von besseren Förderungs- und Verteilungskriterien. Jede staatliche Förderung diskriminiert automatisch die Nicht-Geförderten, und es kann – wenigstens rückblickend – festgestellt werden, dass diese oft die Kreativsten waren. Je weniger zentral die Kultur finanziert wird, desto besser kann sich jener Wettbewerb um Originalität und Qualität entfalten, der gerade für eine vitale, vielfältige Kultur überlebenswichtig ist. Darum gibt es gute Gründe, das nationale Kulturförderungsprogramm als etatistische und zentralistische Fehlkonzeption zu bekämpfen. Wer auf die bestehende verfassungsmässige Zuständigkeitsordnung für die Kultur aufmerksam macht, ist weder ein Kulturbanause noch ein Rechtspopulist, sondern ein um die freie Entfaltung der Kultur auf der Basis der bestehenden Verfassungsordnung besorgter liberaler Bürger dieses Staates.
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Robert Nef ist Präsident der Stiftung für Abendländische Ethik und Kultur und Mitglied des Stiftungsrates des Liberalen Instituts.
(NZZ – MEINUNG & DEBATTE – ZUSCHRIFTEN VON LESERINNEN UND LESERN – Mittwoch, 25. März 2015, Nr. 70, Seite 20)
«Freie Entfaltung der Kultur»
Die Worte von Robert Nef (NZZ 17. 3. 15) lassen sich gleichermassen auf den Markt übertragen. Wird Kulturförderung Marktmächten und Plutokraten überlassen, sinkt sie ebenfalls auf deren Niveau und verkommt zum Service public der Triebbefriedigung und der Distinktionsmerkmale. Wenn Kulturschaffende sich als Experten den bescheideneren Ansprüchen des Massenpublikums und jenen, die nur von Geld etwas verstehen, andienen müssen, leidet die Kunstfreiheit, denn die Marktkultur ähnelt dem Sozialismus in der Produktion für einfältige Bedürfnisse. Die Gesetze von Angebot und Nachfrage sind deterministischer Natur, mithin Zwänge. Sie unterwerfen den freien Diskurs freier Persönlichkeiten dem ökonomischen Primat von Effizienz, Präferenzen und Knappheit. Ein pluralistischer Ansatz respektiert die Eigensphären der Wissenschaften, da man sie in einem liberalen Verständnis nicht auf einen gemeinsamen Nenner zurückführen darf, und setzt sich für das Verteilen von Mitteln und Macht ein, die ein aufmerksamer Betrachter nicht nur dem Staat zuschreiben wird. Wer also um die freie Entfaltung der Kultur besorgt ist, reduziert deren Bedingungen nicht auf die ökonomische Ordnung, sondern ermöglicht ihre Vielfalt durch die Brechung einseitiger Eigeninteressen.
Thomas Läubli, Zürich