„Die Bildung ist eine zu wichtige Sache als dass man sie dem Staat überlassen dürfte“. (Robert Nef, „Rettet die Bildung vor dem Staatsversagen“, in: „eigentümlich frei“ vom 20. Juli 2012)
Diese provokative Formulierung geht auf ein Gespräch zurück, das 1944 zwischen dem britischen Premier Clement Attlee und dem französischen General Charles de Gaulle geführt worden sein soll. Attlee bemerkte, der Krieg sei eine zu ernste Sache, als dass man ihn den Generälen überlassen dürfe. De Gaulle, damals noch ganz Militär, konterte, die Politik sei eine zu ernste Sache als dass man sie den Politikern überlassen dürfe. Beide hatten Recht.
Ausgangspunkt der folgenden Ausführungen ist ein Buch, das schon vor fast 10 Jahren erschienen ist und das leider immer noch hoch aktuell ist. Verfasserin ist die britische Ökonomin Alison Wolf, eine Insiderin des Bildungswesens und eine Spezialistin für Bildungsökonomie. Sie ist u.a. Mitglied im Rat der United Nations University und arbeitete als Beraterin für unter anderem die OECD, das Royal College of Surgeons, die Bildungsministerien von Neuseeland, Frankreich und Südafrika und last but not least für die Europäische Kommission.
Der Titel ihres Buches lautet „Does Education Matter? Myths about education and Economic growth“, Penguin Books, London 2004 . Alison Wolf zitiert den bedeutenden liberalen Ökonomen Lord Peter Bauer mit seinem Ausspruch, Entwicklungshilfe sei weitgehend die Umverteilung von Mitteln aus den Taschen der Ärmeren in der Ersten Welt in die Taschen der Reicheren in der Dritten Welt. In Anlehnung daran bezeichnet sie das gegenwärtige Bildungssystem als die Umverteilung von Mitteln der Ärmeren aus der Ersten Welt zu den Reicheren der Ersten Welt.
Bildung gilt generell als „etwas Gutes“, das für die wirtschaftliche Zukunft entscheidend sei. Darum soll sie in vielen Ländern durch zahlenmäßige Zielvorgaben staatlich gefördert werden. In Großbritannien und Schweden sollen 50 Prozent der Jugendlichen eine Hochschulausbildung absolvieren und in Frankreich ist die Zielvorgabe für das Baccalauréat 80 Prozent. Auch in Deutschland wird eine markante Erhöhung der Studierendenzahl angestrebt, obwohl die Universitäten schon jetzt ernsthafte Kapazitätsprobleme haben.
Es kann nicht bestritten werden, dass eine moderne Gesellschaft zunehmend auf gut ausgebildete Menschen angewiesen ist, die über anspruchsvolle Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügen. Zum Teil setzen diese eine universitäre Ausbildung voraus, zum Teil können sie aber auch berufsbegleitend erworben werden.
Auf den Arbeitsmärkten lässt sich eine zunehmende Nachfrage nach Hochschulabsolventen feststellen. Immerhin gibt es zahlreiche Studien, die belegen, dass viele Aufgaben, die heute von Akademikern erfüllt werden, früher problemlos von Nichtakademikern bewältigt worden sind. Das in Europa schwergewichtig staatliche Bildungssystem ist mit den Arbeitsmärkten unzulänglich verbunden. Zahlreiche Hochschulabsolventen finden keine ihrer Ausbildung entsprechende Arbeit und müssen sich die für die Berufsausübung erforderlichen Kenntnisse in zusätzlichen Ausbildungen und Praktika erwerben. Der wachsende Bedarf an gut ausgebildeten Technikern und Ingenieuren kann vielerorts nur durch Einwanderung oder durch Auslagerung von Produktionsstätten gelöst werden. Es gibt also handfeste Gründe, staatliche Bildungsoffensiven mit dem Motto „Mehr Hochschulbildung für alle“ zu kritisieren und vor einer unnötigen Akademisierung und Überausbildung zu warnen.
Die Vermutung, dass eine staatlich gelenkte und geförderte Akademisierung automatisch zu einer Qualitätssteigerung und damit zu höherer wirtschaftlicher Produktivität führe, lässt sich statistisch nicht erhärten. Es gibt zwar einige Beispiele für wirtschaftlich erfolgreiche staatliche Bildungsoffensiven (z.B. in Südkorea). Länder mit hohen privaten Bildungsinvestitionen, in denen die Eltern direkt in die bestmögliche Schulung ihrer Kinder investieren (z.B. Hongkong) sind aber vergleichsweise noch erfolgreicher.
In vielen Entwicklungsländern hat eine staatliche Förderung der Bildung lediglich zum Wachstum einer unproduktiven Bürokratie geführt. Internationale Studien belegen eindrücklich auch eine negative Korrelation zwischen staatlichen Bildungsinvestitionen und Wirtschaftswachstum. Die Vermutung, dass ein höheres Bildungsniveau auch mehr Wirtschaftswachstum bewirke, erweist sich nicht nur gegenüber Entwicklungsländern als falsch. Die Schweiz, die aufgrund zahlreicher internationaler Vergleichsstudien als eines der reichsten Länder der Welt gilt, hat den geringsten Studierendenanteil in Westeuropa. Die Meinung, dass ein hoher Akademisierungsgrad eine Voraussetzung für den wirtschaftlichen Wohlstand eines Landes sei, lässt sich empirisch nicht nachweisen.
Die politische Forderung, der Staat müsse mehr in die höhere Bildung investieren, wird aber nicht nur wirtschaftlich begründet. Bildung wird häufig als „öffentliches Gut“ betrachtet, das auch unabhängig von seiner wirtschaftlichen Verwertbarkeit staatliche Förderung verdiene. Dabei wird oft suggeriert, dass eine Ausbildung für die Gesellschaft umso wertvoller sei, je länger und je akademischer sie vermittelt werde. Dieser Zusammenhang lässt sich nicht nachweisen. Eine hohe Durchlässigkeit zwischen handwerklichen und praxisorientierten Berufslehrgängen und Universitätslehrgängen ist wichtiger als ein hoher Akademisierungsgrad. Wenn höhere Kaderstellen in der Wirtschaft zunehmend nur noch durch Akademiker besetzt werden, hat dies mehr Nachteile als Vorteile. Ein hoch entwickeltes Berufsbildungssystem und flexible berufsbegleitende Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten sind für eine zivilisierte, kultivierte und offene Gesellschaft wichtiger als die Steigerung der Zahl der Hochschulabsolventen.Vgl. dazu: http://www. project-syndicate.org/ commentary/the-education-myth/german#b2K0FQF CkZPYPiKY.99
Der Begriff „Bildung“ und dessen Abgrenzung zur gesellschaftsorientierten Erziehung und zur ökonomisch verwertbaren Ausbildung ist kontrovers. Aus liberaler Sicht beruht Bildung auf der geglückten Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden und wird durch Tausch erworben. Sie gehört damit zu jener Ökonomie im weitesten Sinn, die auch nichtmonetäre Aspekte miteinbezieht. Aus konservativer Sicht besteht die Bildung aus einer Vermittlung von traditionellen Werten, die fortlaufend auf neue Herausforderungen abgestimmt werden: Bildung durch soziokulturelle Tradition verbunden mit maßvoller Innnovation. Der heute vor allem in Europa vorherrschende Bildungsbegriff ist politisch aufklärerisch: Bildung als Voraussetzung von Selbstverwirklichung, Bildung als Emanzipation und als Befähigung zu einer auf die Vernunft abgestützten politischen Mitbestimmung. Die Vorstellung, dass es der Sozialwissenschaft in Zukunft gelingen werde, die Grundbedürfnisse der Menschen wissenschaftlich empirisch zu ermitteln und aus diesem wissenschaftlichen Sein dann ein bildungspolitisches Sollen abzuleiten, das dann nicht auf die Bedürfnisse von Arbeitsmärkten sondern auf politische Zielvorstellungen abgestimmt ist, gehört zum politischen Credo einer primär staatlich organisierten und finanzierten Bildungspolitik.
Diese drei hier vereinfacht gegenübergestellten Bildungskonzeptionen sind glücklicherweise, wenigstens zum Teil, auch kombinierbar. Die liberale Auffassung von einem offenen Ideenmarkt bildungspolitischer Optionen lädt die konservativ- evolutionär Überzeugten und die emanzipatorisch Ausgerichteten ausdrücklich ein, sich am fundamentalen Austausch zu beteiligen und ihre Angebote auf einem offenen, nicht von staatlichem Zwang beherrschten Bildungsmarkt zu offerieren. Bildung ist ein Experiment des Menschen mit dem Menschen, dessen Ausgang nach liberaler Auffassung nicht prognostiziert werden kann und darum auch nicht allgemeinverbindlich organisiert werden soll. Die liberale Zuordnung der Bildung zum Bereich des fremdherrschaftsfreien Tauschs kann also mit guten Gründen als eine übergeordnete und überparteiliche Konzeption der Bildungspolitik bezeichnet werden.
Der Zusammenhang zwischen Bildung und Wohlstand ist sehr wichtig, und die Zerstörung der diesbezüglich weltweit existierenden Mythen ebenfalls.
Bei allen aktuellen Studien über die Wirkung von Bildungsinvestitionen zeigt sich das Problem, dass zwar die öffentlichen Investitionen relativ einfach zu ermitteln sind, dass aber die privaten Investitionen von Bildungsnachfragern, von Familien, Arbeitgebern und allfälligen Kreditgebern viel schwerer abzuschätzen sind. Die Investition in Bildung betrifft nicht nur Geld, sondern auch Lebenszeit und beide Investitionen müssen in einem größeren Zusammenhang gesehen werden. Die Investition an Zeit ist immer personengebunden. Darum sind die privaten Zeit/Geld-Investitionen in der Tat entscheidender als die finanziellen Investitionen von staatlichen Mitteln, die letztlich auf dem Zwangsmonopol beruhen. Bildung kann ihrem Wesen nach nicht erzwungen werden und sollte daher aus der Abhängigkeit vom Steuer-und Schuldenmacherstaat als Inhaber des Zwangsmonopols herausgeführt werden.
Zudem gibt es einen fatalen Zusammenhang zwischen den beiden Grundtypen der Bildungsinvestition. Je mehr nämlich der Staat investiert, desto mehr sinken die Anreize für private Investitionen. Eine „staatliche Bildungsoffensive“ kann also sehr wohl zu einem Rückgang jener privaten Investitionen führen, die für die Entwicklung des Bildungsstandes eines Landes eine entscheidende Rolle spielen.
Die von Alison Wolf zu Recht entlarvten Mythen stellen nicht den Stellenwert der Bildung selbst in Frage, sondern vielmehr die Fähigkeit des Staates, eine gegenwarts- und zukunftstaugliche Bildungsinfrastruktur anzubieten und zu betreiben. Kritik verdient m. E. nicht die Investition in Bildung als solche, sondern das, was daraus entsteht, wenn Bildungsförderung ganz generell zentral- und zwangsverwaltet und staatsfinanziert bei den Anbietern erfolgt.
Es manifestieren sich dort die meisten Phänomene, die zum Scheitern einer zentral verwalteten Planwirtschaft in sämtlichen Wirtschaftsbereichen geführt haben: Verkrustung, Bürokratisierung, zunehmende Abweichung von der tatsächlichen Nachfrage, Verzerrung der Anreize, Verlust der systeminternen Lern- und Adaptationsfähigkeit und der intrinsischen Motivation der Akteure.
Staatliche und international finanzierte Alphabetisierungs- und Akademisierungskampagnen haben den Wohlstand vielerorts wohl deshalb nicht gefördert, weil sich viele alphabetisierte und akademisierte junge Menschen in der Folge geweigert haben, einfache, handwerkliche Tätigkeiten zu verrichten, oder Kleinhandel zu treiben und kommerzielle Dienstleistungen anzubieten. Ein verfehltes sozialistisches Arbeits- und Sozialrecht und eine arrogante, notorisch unproduktive intellektuelle Bürokratiekaste haben sie darin auf nationaler und internationaler Ebene unterstützt. Man macht europa- und weltweit den Arbeitsmarkt dafür verantwortlich, wenn er nicht jene „Stellen schafft“, die dem wirklichkeitsfremden Bildungswesen entsprechen. Das ist die klassische planwirtschaftliche Verwechslung von Ursache und Wirkung. Die Realität ist falsch, der Plan war richtig: Das wirtschaftliche Leben muss sich aus dieser Fehlperspektive jener staatlichen Schule anpassen, die nicht auf das Leben vorbereitet hat…
Es gibt tatsächlich jene Spielart von staatlicher Bildungsförderung, die nur die Zahl der unproduktiven Staatsangestellten und der beschäftigungslosen, und (vor allem in Entwicklungsländern) praktisch unbrauchbaren „Schreibtischleuten“ vergrößert. Die sogenannte Jugendarbeitslosigkeit ist weitgehend die Folge einer verfehlten staatlichen Bildungs- und Beschäftigungspolitik.
Eigenfinanzierte und elternfinanzierte Bildung ist im Gegensatz zur staatlichen Bildungsförderung wahrscheinlich im Einzelfall und auch ganz generell mindestens in der Tendenz wohlstandsfördernd. Die wohlstandsrelevante Wirkung privater Investitionen (und Fehlinvestitionen) in Bildung sollten einmal den staatlichen Investitionen und Fehlinvestitionen gegenübergestellt werden. Bildungsinvestition ist nicht gleich Bildungsinvestition. Je direkter und je personenbezogener sie getätigt wird, desto erkennbarer und messbarer wird der Erfolg bzw. der Misserfolg. Der unbestrittene Erfolg des berufsbezogenen sogenannten „Zweiten Bildungsweges“ hängt wahrscheinlich ziemlich direkt von seinem Finanzierungsmodus ab. Je mehr die Berufslehre „staatlich gefördert“ und reguliert wird, desto mehr steigt die Gefahr, dass sie sich von der ökonomischen Realität zu entfernt. Der polemische Begriff „Kaputtförderung“ drängt sich in diesem Zusammenhang einmal mehr auf.
Kommerziell motivierte Bildungsangebote auf einem offenen Bildungs- und Lernmarkt sind vermutlich nachweisbar produktivitätsfördernd. Auf einem funktionierenden Bildungsmarkt, der mit dem Arbeitsmarkt direkt vernetzt ist (bzw. wäre), werden jene Bildungsangebote, für die es später auf dem Arbeitsmarkt keine Nachfrage gibt, einfach weniger genutzt. Sie verschwinden oder sie wandeln sich und werden nur noch von jenen nachgefragt, die sich den Luxus potenziell schlecht oder unbezahlter Tätigkeiten leisten können bzw. wollen oder auf einen entsprechenden Wandel bei der Nachfrage spekulieren.
Bildung könnte weltweit noch mehr zu einer kommerziellen Wachstumsbranche werden, wenn man sie aus den Fesseln staatlicher Regulierung (bzw. Fehlregulierung) befreien würde. Der Einwand, dass durch eine Marktöffnung in erster Linie bereits privilegierte Jugendliche zusätzlich profitieren würden, ist voreilig. Die steigende Nachfrage nach talentierten Nachwuchsleuten begünstigt auch privat finanzierte Begabtenförderung durch personenbezogene Stipendien und Darlehen, wenn die Anreize nicht durch staatliche Gratisangebote verzerrt werden. Wahrscheinlich würden die Chancen von wenig bemittelten Begabten auf einem offenen Bildungsmarkt mit einer personenbezogenen privaten Kreditfinanzierung eher steigen als sinken.
Es ist nicht das Investieren in Bildung, dessen Wirksamkeit man generell in Frage stellen sollte, sondern die Unfähigkeit der Zwangsorganisation namens „Staat“, die tatsächlich produktivitätsrelevanten Angebote und Nachfragen rechtzeitig und zu erkennen. Die Investitionen sollen nicht „top down“ zwangsverwaltet in die bestehenden Institutionen eingespeist werden, sondern personenbezogen und direkt kontrollierbar. Die Festlegung von Quoten ist die Methode, welche einst auch bei der Güterproduktion die planwirtschaftlichen Irrlehren charakterisiert hat. Auch kommerzielle Anbieter personenbezogener Bildung werden bei ihren Investitionen Fehler machen, aber sie können schneller auf unerwartete Entwicklungen reagieren und sind, weil sie stets konkurrenzfähig bleiben müssen, generell lern- und adaptationsfähiger.
Man sollte also nicht die bildungsbezogene Investition in Humankapital generell in Frage stellen, sondern die staatliche Investition in staatliche oder staatlich kontrollierte Bildungsinstitutionen. Bildung ist für den Wohlstand beileibe nicht unwichtig, aber sie ist eine zu wichtige Sache als dass man sie der staatlichen Quoten- und Zwangsverwaltungswirtschaft überlassen könnte und sollte. Bildung (d.h. das lebenslange Lernen im weitesten und besten Sinn) wird m. E. bezüglich ihrer Wirkung auf den Wohlstand nicht überschätzt, aber sie sollte weltweit dem Prinzip des Marktes und der vor- nach- und überstaatlichen Institution Familie überlassen werden. Dann wird es nicht weniger, sondern bessere und mehr wirklichkeitsbezogene Angebote geben.
Es wäre schade, wenn aufgrund der notwendigen Kritik am global verbreiteten Mythos der staatlich geförderten Zwangsbildung, der ökonomische und soziokulturelle Stellenwert der Bildung als solcher in Frage gestellt würde.
Erfahrungen in Entwicklungsländern haben gezeigt, dass die Nachfrage nach leistungsorientierten und von Eltern finanzierten und kontrollierten Privatschulen, die nachweisbar effizienter sind als die Staatsschulen, gerade auch bei weniger Bemittelten stark zunimmt. Das Wissen um die ökonomische Bedeutung einer guten Ausbildung gehört weltweit zur anthropologischen Grunderfahrung, und die Hoffnung, dass es der nächsten Generation einmal besser gehen soll als der gegenwärtigen, ist spontan in verschiedensten Kulturen vorhanden. Die Bereitschaft innerhalb einer Familie, dafür einen persönlichen Konsumverzicht zu leisten, besteht auch unabhängig von allen kollektiven Bemühungen um Begabtenförderung und auch unabhängig von Befunden der Bildungsökonomie, wenn kollektivistische Fehlstrukturen und fragwürdige Gratisangebote die entsprechenden Anreize nicht verzerren.
Bildung als Basis für ein umfassendes „Lebensunternehmertum“
Bildung ist heute ein lebenslänglicher Prozess der Anpassung an neue Situationen und Herausforderungen. Die Vorstellung von einer in der Jugend abschliessend zu absolvierenden Schulungs- und Bildungsphase mit einem einmaligen „Übertritt“ ins Berufsleben ist überholt.
Auch die strikte Trennung von Lehren und Lernen durch eine arbeitsteilige Spezialisierung ist neu zu überdenken. Wer lebenslänglich lernt, muss auch lebenslänglich bereit sein, seine Erfahrungen und sein Wissen weiterzugeben. Trotzdem wird es natürlich auch in Zukunft Institutionen geben, die als „Schule“ im herkömmlichen Sinn funktionieren und vor allem jugendliche Absolventen haben, die von professionell ausgebildeten Lehrpersonen ausgebildet werden.
Diese Schule sollte ihren Beitrag dazu leisten, dass die Schülerinnen und Schüler in die Selbstverantwortung hineinwachsen. Dies kann sie nur unvollkommen, wenn sie einen abgeschotteten Schonraum ausserhalb der Arbeitswelt anbietet, in welchem junge Leute jahrgangsweise kaserniert werden, um sie auf ein braves, passives oder auf ein aktiv forderndes „Benutzertum“ wohlfahrtsstaatlicher Einrichtungen vorzubereiten.
Die heutige Staatsschule ist immer noch eine Schule des Anpassens und des nivellierenden und kontrollierenden Etatismus. Man gewinnt gelegentlich den Eindruck, dass es im Interesse der Kontrollierenden liege, möglichst viele „pflegeleichte“ Kontrollierte auszubilden. Dies mag in einer Industriegesellschaft, die auf der disziplinierten und hierarchisch organisierten Tätigkeit einer grossen Zahl von betriebstreuen Fabrikarbeitern beruhte, notwendig gewesen sein. Die flexibleren, vielfältigeren und anspruchsvolleren Herausforderungen einer Dienstleistungsgesellschaft bedürfen aber junger Menschen, die auf ein Kommen und Gehen vorbereitet sind. Darum braucht es möglichst viele, die die Bereitschaft entwickeln, mit ihrem Humankapital unternehmerisch umzugehen.
Dass in einer technischen Zivilisation Eigenschaften wie Präzision, Sorgfalt und Teamfähigkeit überlebenswichtig sind und in keinem Bildungsgang fehlen sollten, ist einleuchtend. Diese Kompetenzen sind aber bei jenen Fachleuten am besten aufgehoben, die sie verantwortungsbewusst und im intelligenten Eigeninteresse erworben haben, ausüben, einsetzen, weiter entwickeln und in einem offenen Arbeitsmarkt bestmöglich anbieten.
Nur ein offener Ausbildungsmarkt ist in der Lage, diese Vorbereitung zu übernehmen. Keine staatliche Selektion, Kontingentierung und Normierung kann auf die Dauer jenen Nachwuchs an Fachleuten garantieren, der die Weiterentwicklung einer technischen Zivilisation sicherstellt. Auch die „Institution Schule“ und die „Institution Hochschule“ müssen sich dem Unternehmergeist und dem Wettbewerb und dem Erfordernis des lebenslangen Weitererlernens öffnen.
Wenn Lebensunternehmertum in einer spontanen Marktordnung glücken soll, muss es sich, wie das Bildungswesen, vom staatlichen Zwangssystem abkoppeln und dafür eine tragfähige Brücke zwischen Ökonomie und Soziokultur bauen.
„Unternehmen“ bedeutet zunächst einmal „eine wertsteigernde nutzbringende Kombination von Geld und Geist organisieren“, sei es, dass man eigene Mittel einsetzt oder Geldgeber findet, die gegen Gewinn- und Verlustbeteiligung zu investieren bereit sind. Es geht also um die optimale Kombination von Humankapital mit materiellen Vermögenswerten. Der vom Marxismus dogmatisierte Gegensatz von „Kapital“ und „Arbeit“ ist daher obsolet geworden, denn die beiden Faktoren lassen sich im wirtschaftenden und tauschenden Individuum nicht sinnvoll isolieren. Der Faktor Humankapital wird oft unterschätzt und – u.a. als Folge veralteter Erklärungs-, Bildungs- und Disziplinierungsmuster – auch fehlgenutzt. Der erfolgreiche Unternehmer riskiert, experimentiert, lernt permanent, ist neugierig und robust, weil er Umwelt, Mitwelt und Nachwelt nicht als schicksalshafte Gabe deutet, sondern als Chance und Challenge wahrnimmt.
Lässt sich Unternehmergeist lehren und lernen, oder ist er eine Gabe, die einer zur Elite berufenen Minderheit in die Wiege gelegt wird?
Die Voraussetzungen für ein erfolgreiches individuelles Lebensunternehmertum sind wahrscheinlich bei viel mehr Menschen gegeben, als dies in unseren bevormundenden politischen Strukturen zum Ausdruck kommt. Man könnte sich beispielsweise eine Schule vorstellen, die es den Lernenden durch eine frühe und sinnvolle Kombination von Lernen und praktischer Arbeit erleichtert, ihre persönliche unternehmerische Einzigartigkeit (im Jargon: „unique selling position“) schon früh zu erkennen und zu entwickeln. Die Erkenntnis von Heinrich Pestalozzi (1746 – 1827), Bildung müsse eine „Verbindung von Kopf, Herz und Hand“ vermitteln, ist aktueller denn je.
Jedes Unternehmertum strebt eine ökonomisch optimale Kombination von Geld und Geist an. Daraus ergeben sich daraus verschiedene mögliche Kombinationen. Der eher seltene Fall besteht darin, dass jemand gleichzeitig über gute Ideen verfügt und über das Startkapital, das es (je nach Branche mehr oder weniger) zur Realisierung braucht. Ist nur diese Person ein wirklicher Unternehmer?
Häufiger ist die Konstellation, dass jemand als Investor zwar finanzielle Mittel hat, die er gern vermehren würde, aber keine eigenen guten Ideen. Er wird auf die Suche gehen, nach einem, der gute nutzbringende Ideen (Humankapital) hat und keine finanziellen Mittel. Er wird als Financier oder Anleger auf einen Markt gehen, in welchem er entweder direkt oder mit Hilfe von beauftragten Spezialisten Erfolg sucht.
Ebenfalls vertraut ist die Situation, dass jemand zwar über gute, nutzbringende Ideen (Humankapital) verfügt, aber kein Startkapital hat. Er wird als Ideenverkäufer auf einen Markt gehen und Financiers oder eine Institution suchen, die an seine Ideen glauben und investieren.
Je arbeitsteiliger nun eine Wirtschaft wird, desto mehr können sich auch die subtilen Such- und Findungsprozesse zwischen Angebot und Nachfrage an verschiedenen Aggregatszuständen von Kapital und Humankapital professionalisieren und zum Gegenstand des Unternehmens werden. Es haben nicht immer dieselben Personen sowohl gute Ideen als auch das Talent zur Organisation und zur Umsetzung, als auch Führungsqualitäten gegenüber einer Belegschaft, als auch die Fähigkeit, Realisatoren und potentielle Geldgeber produktiv zu verknüpfen. An jeder Schnittstelle gibt es wieder eine unternehmerische Herausforderung. Es gibt also gute Gründe, das Unternehmertum nicht allzu eng zu definieren und den Begriff nicht nur für eine ganz kleine Elite von erfolgreichen, zum Unternehmer geborenen Allround-Patrons zu reservieren.
Was letztlich zählt, ist der Erfolg, und manchmal hat in der Wirtschaft der Erfolg viele Väter und Mütter, und es ist nicht immer so leicht, den wirklich schöpferischen unternehmerischen Akt klinisch sauber zu isolieren und damit die Spezies „Unternehmer“ von der Spezies „Nicht-Unternehmer“ zu trennen und gewissermassen zwei völlig unterschiedliche Menschentypen zu definieren.
Je arbeitsteiliger eine Gesellschaft wird, desto schwieriger wird es zu unterscheiden, wer nun wem und warum dient und nützt, d.h. wer unternimmt und wer unternommen oder übernommen wird, wer kontrolliert und wer kontrolliert wird. Der französische Begriff „Entrepreneur“ bringt dies treffend zum Ausdruck. Weder Unter- nehmen, noch Über- nehmen, sondern Zwischen – nehmen. Es gibt mehr als nur einen Markt, und der Wettbewerb beschränkt sich nicht auf geldwerte Güter und Dienstleistungen. Dies bedeutet, dass eigentlich alle Menschen irgendwo und irgendwie unternehmerisch sein können, und sei es auch nur im Hobbybereich. Sport kann sowohl Hobby als auch Beruf sein, und Berufssport kann, wenn wir an Tennis, Rennsport oder Fussball denken, durchaus zu Spitzengehältern führen, die sogar noch über den vielgescholtenen Managerlöhnen stehen. Auch im Show- und Unterhaltungsbusiness werden für Spitzenleistungen Spitzenlöhne bezahlt. Warum eigentlich nicht?
Als Anhänger freier Arbeitsmärkte sollten wir über keine Art des Lebensunternehmertums und der erfolgreichen Selbstvermarktung die Nase rümpfen. Die Fälle, in denen wirtschaftlich erfolgreiche unternehmerische Experimente ihren Ursprung im Hobbybereich hatten, sind übrigens nicht so selten. Was dann letztlich zum Welt-Spitzen-Unternehmertum wird, ist nicht planbar und auch nicht prognostizierbar.
Als Non-Zentralist träume ich natürlich von einer Welt mit möglichst vielen erfolgreichen Kleinunternehmen. Darum sollten gerade Anhänger des Unternehmergeistes nicht zu exklusiv und zu elitär denken. Gerade wer an Eliten glaubt, darf keine knallharte Linie ziehen, zwischen jenen, die dazugehören und jenen, die das Potential dazu haben. Oder treiben nur Spitzensportler wirklich Sport und spielen nur Spitzenmusiker wirklich Musik? Eigentlich hat in einer freien Gesellschaft nicht nur jeder Soldat den Marschallstab im Tornister. Es kann auch jeder Tellerwäscher eine Karriere zum Grossverdiener starten, und jeder Tüftler hat die Chance, in einer Garage zu experimentieren und später ein Informationsimperium zu gründen. Es ist aber nicht so, dass sich alle, die es nicht an die sogenannte „Spitze“ schaffen, als Versager fühlen müssen. Was wahr ist, was schön ist und was gut ist, lässt sich nicht allgemeinverbindlich und von Staates wegen definieren und auch nicht auf einer Lohnskala bewerten.
Jeder Mensch hat die Möglichkeit, sich an den von ihm selbst gesetzten Idealen zu messen und so seinem individuellen „Unternehmensziel“ des Lebens, bzw. der jeweils aktuellen Lebensphase näher zu kommen. Nur eine Vielfalt der Lebensmuster, und eine Vielfalt der Chancen, können einer Vielfalt möglicher Zielsetzungen unterschiedlicher Individuen und Gruppen gerecht werden. Je vielfältiger und non-zentraler eine Gesellschaft ist, desto vielfältiger werden auch die Herausforderungen, die Angebote und die Arten der Kompensation, die nicht nur in Geld, sondern auch in Wertschätzung, Anerkennung und Befriedigung gemessen werden sollten.
Zusammenfassende Thesen
Wir müssen jene Strukturen schaffen – oder besser zulassen, die lebenslanges Lernen ermöglichen, Lernen als Kommunikation, als Austausch, als permanente Bereitschaft zur bestmöglichen Kombination von flexibler Anpassung an die Umwelt und von aktiver Gestaltung dieser Umwelt nach eigenen Idealen. Ich postuliere weder eine neue umfassende Bildungsreform noch einen Bildungs-Bildersturm noch eine Abschaffung der Schule, sondern stelle 8 Thesen zur Diskussion, die einen Zeithorizont von mindestens 30 Jahren (eine Generation) betreffen und ein schrittweises Vorgehen ermöglichen.
- Das entscheidende an einem zukunftstauglichen Bildungswesen ist die Vielfalt und die Flexibilität des Angebots, das sich nicht ausschliesslich auf eine Lernphase in der Jugend konzentriert. Je lernfähiger das Bildungswesen als Ganzes ist, desto besser.
- Der heute vorherrschende Zeitgeist drängt das Bildungswesen in die Richtung von mehr Bürokratie und mehr Vereinheitlichung und mehr Staat und einer Konzentration auf die Jugendzeit. Es wird von einem sozialwissenschaftlichen Erziehbarkeits- und Machbarkeitswahn angetrieben, der sich am jeweils neuesten Stand des pädagogischen Irrtums orientiert.
- Das vorherrschende bildungspolitische Ziel ist bis weit in bürgerliche Kreise hinein „mehr Staatsgeld für mehr Staatsbildung“. Die Folge ist eine Aufblähung der Bildungsbürokratie und eine dem Messbarkeits- und Machbarkeitswahn verfallene Internationalisierung – verbunden mit einer empfindlichen Einschränkung individueller Alternativen und einem Verlust an traditionellem Wertebewusstsein.
- Man hat sich weltweit an die lebens- und wirtschaftsferne „Kasernierung“ der Jugend zwischen 4 und 24 gewöhnt und staunt darüber, was sie an Nebeneffekten im Bereich von Gewalt-, Sucht- und anderen Fluchtverhalten hervorbringt.
- Das Bildungswesen muss in den nächsten Jahrzehnten schrittweise aus der Vormundschaft durch den Staat befreit und in einen Markt hinübergeführt werden, in dem die Angebote und Nachfragen der Betroffenen und Beteiligten, d.h. der Lernenden, der Lehrenden, der Eltern, und Arbeitswelt über den vereinbarten Preis gesteuert werden und nicht über den kollektiven Zwang.
- Leitbild des Bildungswesens muss der flexible Lebensunternehmer sein, d.h. eigenständige, mündige Männer und Frauen, die ihre persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten selbst bestimmen und sich in einem individuell adaptierbaren und lebenslang nutzbaren Lernangebot ausbilden und weiterbilden.
- Das Mündigwerden junger Menschen ist ein schrittweiser Prozess, bei dem die Eltern als Erziehungsverantwortliche und als Nachfrager auf dem Bildungsmarkt eine wichtige Rolle spielen. Ein für Anbieter und Nachfrager offener Bildungsmarkt, der flexibel auf neue Herausforderungen reagiert und gleichzeitig traditionell bewährte Fähigkeiten und Fertigkeiten nicht vernachlässigt, kann seinem Wesen nach weder zentral verwaltet noch staatlich geplant und finanziert werden.
- Bei einer schrittweisen Entlassung des Bildungswesens aus dem staatlichen Zwang in die zivilgesellschaftliche Privatautonomie soll der Staat subsidiär und personenbezogen dort eingreifen, wo die Erziehungsverantwortlichen den Jugendlichen den Zugang zur Bildung als Voraussetzung einer eigenständigen Lebensgestaltung nicht gewähren können oder wollen.