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Staatskonkurs als Chance

Lesedauer: 5 Minuten

(Finanz und Wirtschaft – Meinungen)

Die Verknüpfung von Staatskonkurs mit Euro-Ausschluss ist eine Drohkulisse. Der Konkurs Griechenlands wäre nicht das Ende der EU, sondern der Anfang eines Lernprozesses. Ein Kommentar von Robert Nef.

«Die Folgen eines Staatskonkurses sind vor allem für die Gläubiger einschneidend, für den betroffenen Staat aber insgesamt entlastend.»

Wie desorientiert die politische und wissenschaftliche Debatte über die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands ist, zeigt sich schon in der Terminologie. Man benützt den Begriff Staatskonkurs, hat aber Mühe zu erklären, was sich dabei ausser einem generellen Schuldenerlass konkret abspielen würde. Eigentlich wäre die zweite essenzielle Komponente eines Konkurses die Zwangsverwertung der noch vorhandenen Aktiven zugunsten der Gläubiger. Die Hauptaktiven eines Staates sind seine natürlichen Ressourcen, seine Infrastruktur und sein Steuersubstrat, dessen Wert jedoch dramatisch sinkt, wenn es produktivitätsschädigend ausgebeutet wird. Ausser Bodenschätzen und – mit Einschränkungen – der öffentlichen Infrastruktur entziehen sich diese Aktiven einer Zwangsverwertung. Darum ist der Konkurs eines Staates nur beschränkt mit demjenigen eines Privatunternehmens, das dadurch von der Bildfläche verschwindet, vergleichbar. Die Folgen eines Staatskonkurses sind vor allem für die Gläubiger einschneidend, für den betroffenen Staat aber insgesamt entlastend.

Zutreffender ist der Begriff Schuldenschnitt. Eine solche Sanierung der Staatsfinanzen ist allerdings nur dann erfolgsversprechend, wenn gleichzeitig auch das politische Missmanagement durch einen ebenso dramatischen politischen Schnitt saniert wird. Was heute praktiziert wird, sind zusätzliche Darlehen an die etwas umgruppierte alte Garde, ergänzt durch eine wenig wirksame und abnehmend beliebte externe Aufsicht. So kann das Ruder nicht herumgeworfen werden. Für die bisher verantwortlichen Politiker ist ein Staatskonkurs zu Recht eine Schmach, für diejenigen, die nach dem für alle Beteiligten und Betroffenen folgenreichen Schnitt neu starten, aber eine Chance, vorausgesetzt, man wagt wirklich einen radikalen Neubeginn und bricht mit der desaströsen Vergangenheit, in der die politisch mächtigen Versager aller Parteien auf dem nationalen und auf dem internationalen Parkett um Zeitgewinn und Machterhalt kämpften.

Wenig klare Vorstellungen gibt es auch zu dem Szenario, das mit der fragwürdigen Wortschöpfung «Grexit» bezeichnet wird, mit einem Begriff, der sowohl «Ausschluss» wie auch «Austritt» bedeuten kann, bei dem aber auch die Assoziation «Ende» mitschwingt. Ob damit ein Exit aus dem Euro oder auch aus der EU gemeint ist und ob und inwiefern die beiden Exits zwingend miteinander verknüpft sein müssen, bleibt offen.

Leukerbad und Kalifornien

Ein zahlungsunfähiger Staat braucht nicht unbedingt eine neue eigene Währung. Wenn er seine Löhne und Renten nicht mehr in Euro bezahlen kann, so kann er auf ein Gutscheinsystem ausweichen, das die Staatsangestellten und die Rentner zwar nicht in den Hunger treibt, aber den Staatsdienst und das Leben als Frührentner unattraktiv macht. Entscheidend ist in dieser Situation eine radikale Liberalisierung des Arbeitsmarktes, allenfalls via Notrecht. Wenn ein Staatskonkurs ohne Ausschluss aus dem Euro und der EU möglich (wenn auch nicht problemlos) ist, fällt ein Teil der eurokratischen Drohkulisse weg, die für die Bereitstellung immer teurerer Schutzschirme und für die Auslösung eines neuen Zentralisierungs- und Etatisierungsschubs der EU aufgerichtet worden ist.

Dass der Konkurs einer Gebietskörperschaft ohne Ausschluss aus dem politischen Verbund und der Währung möglich ist, zeigt das Beispiel der Walliser Tourismus­gemeinde Leukerbad. Der Fall ist wegen der Grössenordnung zwar nicht vergleichbar, demonstriert jedoch, dass ein Konkurs innerhalb eines Bundesstaats und ohne neue Währung möglich ist. Das politische Management wurde ausgewechselt, ein politisch Hauptverantwortlicher landete im Gefängnis. Die Gemeinde reduzierte ihre Bürokratie und verzichtete auf die Fortführung nicht finanzierbarer Projekte. Auch im Beinahekonkurs Kaliforniens war nie von einem Ausschluss aus dem Dollar oder den USA die Rede. Im Lauf der amerikanischen Geschichte ist schon fast jeder Gliedstaat einmal zahlungsunfähig geworden, ohne dass man dort den Dollar abgeschafft hätte.

Leukerbad war zahlungsunfähig, die Gläubiger hatten das Nachsehen. Das ist ein wirtschaftlich völlig normaler Vorgang: die Ermöglichung eines Neubeginns zulasten derer, die sich in Bezug auf die ursprüngliche Kreditwürdigkeit täuschten bzw. täuschen liessen. In welcher Währung man die Schulden, die man von einem Konkursiten definitiv nicht mehr zurückbekommt, abschreibt, spielt grundsätzlich keine Rolle. Es gibt bei Krediten nicht nur ein Recht auf Irrtum, es gibt auch eine Pflicht, die Folgen von Irrtümern zu tragen. Das gehört zum Bankgeschäft.

Sollte ein Staatskonkurs Griechenlands eine gesamteuropäische Bankenkrise auslösen, so liesse sich überlegen, ob dann nicht eher die betroffenen Banken mit einem überbrückenden Rettungsdarlehen zu stützen wären. Das wäre zwar ein ordnungspolitischer Sündenfall. Aber die Schweiz hat damit im Fall UBS (UBSG 14.00 +0.14%) keine schlechten Erfahrungen gemacht. Das Operieren an der Grenze temporärer Zahlungsunfähigkeit gehört zum Business der Banken. Dass Banken aus der Krise herausfinden, ist viel wahrscheinlicher, als dass sich ein maroder Staat durch das ökonomische Gift neuer Darlehen und die politische Zumutung einer Teilentmündigung erholt. Die Banken, die es auch samt Überbrückungsdarlehen nicht schaffen, werden dann zu Recht verschwinden. Bankkunden müssen sich weltweit daran gewöhnen, dass auch Banken nicht grenzenlos und permanent zahlungsfähig bleiben; die Banken müssen sich weltweit (wieder) daran gewöhnen, dass auch Staatsbankrotte nicht auszuschliessen sind. Das gehört zum «Systempreis» des Kapitalismus. Mit der Zahlungsunfähigkeit eines Akteurs muss stets gerechnet werden, und wenn dieser Fall zu einem Systemzusammenbruch führt, ist dieses System eine Fehlkonstruktion.

Ende mit Schrecken könnte heilsam sein

Staatsfinanzen sind durch politisch motivierte Darlehen nicht sanierbar. Man beschleunigt damit lediglich die politischen Teufelskreise der zwangsweisen Umverteilung durch zwangsweise Zentralisierung und Etatisierung und durch das Abschieben der Probleme auf kommende Generationen. Die Zentralverwaltungswirtschaft kann auch im Finanzbereich nicht funktionieren, weil es das zentrale Wissen dazu nicht gibt. Schuld daran sind nicht die diesbezüglich unter sich zerstrittenen Ökonomen und Finanzfachleute. Man sollte ihnen nicht vorwerfen, dass sie die Zukunft nicht voraussehen und in Krisensituationen lieber auf Zeit spielen und eher zum Schrecken ohne Ende raten als zu einem Ende mit einem möglichen, aber häufig durchaus heilsamen und lehrreichen Schrecken.

Die durch die erwähnte Drohkulisse geschürten Ängste vernebeln die klare Sicht und verursachen zusätzliche Konflikte unter verschiedenen politischen und wissenschaftlichen Rechthabern und Besserwissern. Der Vollzug dieses immer notwendiger werdenden Schritts sollte nicht am Streit zwischen EU- und Eurobefürwortern und -skeptikern scheitern. Die Schadenfreude derer, die schon immer vor dem «Experiment Euro» gewarnt haben, hilft nicht weiter. Man kann das Rad der Geschichte nicht ­zurückdrehen, aber man kann verhindern, dass es in ein nach bisherigen Erfahrungen vorhersehbares Verderben rollt. Das Problem der EU ist nicht ein Zuwenig an Zentralismus, sondern ein Zuviel. Das sehen auch vernünftige und geschichtsbewusste Freunde der Europaidee ein.

Die EU wird sich mit der jetzigen Bailout-Praxis durch immer teurere und riskantere Schutzschirme in existenzielle Schwierigkeiten bringen. Es hat bisher weltweit noch keinen Bundesstaat (und erst recht keinen Staatenbund) gegeben, der seinen Mitgliedern die grenzenlose Verschuldung durch immer wieder neue Kredite finanziert hätte. Der Konkurs Griechenlands wäre nicht das Ende der EU, sondern der Anfang eines Lernprozesses, der wieder zu mehr Eigenständigkeit und Eigenverantwortung führen kann. Sollten durch einen Staatskonkurs ganze Bevölkerungsgruppen in existenzielle Not geraten, sind die Gelder, die jetzt in Schutzschirme gepumpt werden, in gezielten befristeten humanitären Hilfsprogrammen vor Ort wohl besser eingesetzt.

Zur Person
Robert Nef ist Stiftungsratspräsident des Liberalen Instituts.

Quelle: https://www.fuw.ch/article/staatskonkurs-als-chance-2/

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