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Robert Nef – das Liberale Institut

Lesedauer: 7 Minuten

Peter Forstmoser

Der Titel stimmt, es fehlt kein „und“: Während fast drei Jahrzehnten – von der Gründung im Jahr 1979 bis zu seinem Übertritt in das Präsidi- um des Stiftungsrates Ende 2007 – waren Robert Nef und das Liberale Institut synonyma, fast so wie bei einer Einpersonen-Aktiengesell- schaft: Das Liberale Institut war personifiziert im Institutsleiter, und dieser artikulierte sich in den ungezählten Veranstaltungen, Publikatio- nen und Meinungsäusserungen des Instituts. Der Schreibende war 1979 Gründungspräsident des Liberalen Instituts, er blieb in seiner Präsidial- funktion bis 2001 und war dann noch als gewöhnliches Stiftungsrats- mitglied unter den Präsidien von Daniel Thürer (2001–2003) und Ul- rich Pfister (ab 2004) bis 2008 dabei. Als Zeitzeuge kann er daher über die Ära Nef berichten.

Ende der 70er Jahre diskutierte eine Gruppe von jüngeren Liberalen – teils der Freisinnig-Demokratischen Zürcher Stadtpartei angehörend, teils Sympathisanten der FDP – die Idee, einen liberalen Think Tank zu errichten. Nach längeren Geburtswehen kam es schliesslich am 25. Mai 1979 zur Gründung einer Stiftung. Gründerin war die FDP der Stadt Zürich, die ein Stiftungskapital von CHF 10’000 beisteuerte (bei dieser Zuwendung ist es dann geblieben). Zweck sollte sein

„die Entfaltung und Förderung des demokratischen Bewusstseins auf liberaler Grundlage“.

Zur Verwirklichung dieser Ziele sollten der Stiftung – so die Stiftungsurkunde – folgende Möglichkeiten offenstehen:

  • Einrichtung einer Geschäfts- und Dokumentationsstelle,
  • Erarbeiten von Grundlagen liberaler Politik in Publikumsveran- staltungen, Seminarien und Publikationen und
  • Förderung ähnlicher Bestrebungen sowie wissenschaftlicher und kultureller Aktivitäten.

Unklar war anfangs, was die wirkliche Absicht war: Einzelne Initianten hatten eine Art PR-Institution der FDP Zürich im Auge, aber diese Er- wartung wurde schon kurz nach der Geburt gekappt: Der erste Stif- tungsrat, in welchem Persönlichkeiten wie der damalige Chefredaktor der NZZ, Fred Luchsinger, sassen, stellte von Anfang an klar, dass es darum gehen sollte, abseits des politischen Alltags zu Grundsatzfragen aus liberaler Sicht Stellung zu nehmen. Dabei ist es dann geblieben.

Die Gründung war eines, die eigentliche Leistung der Gründer aber etwas ganz anderes: Sie fanden in Robert Nef einen Intellektuellen, der bereit war, die Leitung eines Instituts zu übernehmen, dessen Profil erst zu zeichnen war und dessen wirtschaftliche Absicherung in den Sternen stand.

Im anschliessenden Vierteljahrhundert hat sich das Liberale Institut von der Boutique, an deren Veranstaltungen meist nur eine verschworene Gemeinschaft Gleichgesinnter anzutreffen war und deren Publikationen als Geheimtipp gehandelt wurden, zu einer international angesehenen Denkfabrik entwickelt, sicher nicht zu einem Schlachtschiff, wohl aber zu einem Schnellboot. Mit knappsten Mitteln ausgerüstet und kaum mit der Wirtschaft vernetzt hat es seine Positionen unabhängig vom Zeit- geist vertreten und weiterentwickelt. Bald einmal verkehrte es auf Au- genhöhe mit weit grösseren und finanziell potenten Institutionen im In- und Ausland, und immer wieder haben prominente Liberale – erwähnt seien etwa Anthony de Jasay, Giovanni Malagodi, Václav Klaus und Ralf Dahrendorf – mit dem Institut zusammengearbeitet. Diese Erfolgsgeschichte ist einer Person zu verdanken: Robert Nef.

Nicht, dass es im Umfeld an Goodwill und Sympathisanten gefehlt hätte:

  • In der Geschäftsstelle war Renata Bodmer als Sekretärin loyal und engagiert tätig, und später kamen etwa Christoph Frei, Bern- hard Ruez und Susanna Ruf als hoch qualifizierte und kreative wissenschaftliche Mitarbeiter hinzu. Aber sie kamen und gingen, geblieben und „im Risiko“ blieb Robert Nef.
  • Im Stiftungsrat – und im während einiger Jahre bestehenden Beirat – waren klingende Namen vertreten: seit der Gründung etwa als Vizepräsident Edmond de Stoutz, Dirigent und Unternehmer, und später mit grossem Engagement die alt Bundesräte Honegger und Friedrich, daneben viel liberale Prominenz aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Medien. Aber sie alle – und der Schreibende nimmt sich nicht aus – standen dem Institutsleiter zwar freigebig mit gutem Rat zur Seite, aber kaum je mit handfester Tat. Entscheiden musste dieser letztlich stets allein, was zu tun sei und wie.

Beim „wie“ waren es vor allem die Finanzen, die wohl jeden anderen Geschäftsführer nach einem kurzen Gastspiel in die Flucht geschlagen hätten.

Eigentlich gab es in der von mir überblickten Spanne nur eine Konstan- te: Der Gang zum Richter wegen Überschuldung war praktisch immer fällig. Ich erinnere mich an einen Jahresabschluss, der nicht etwa auf das Ende des Geschäfts- und Kalenderjahres datiert war, sondern auf den 16. Januar. Der Grund: An diesem Tag war – ausnahmsweise – für einmal in der Bilanz die Nullschwelle erreicht – von unten, wohl gemerkt.

Der Institutsleiter trug dies mit stoischer Ruhe. Er rapportierte dem manchmal argwöhnischen Präsidenten regelmässig, die Lage sei unter Kontrolle, es gebe keinen Grund zu Besorgnis. Nötigenfalls rechnete er auch einmal einen persönlichen Auftrag für Dritte über das Institut ab, und dann folgte er beim Erlös – wenn es nicht für alles reichte – einer strengen Prioritätenregel: Zuerst war die Miete zu zahlen, dann der Lohn der Sekretärin und der Rest war Anzahlung an das – knapp bemessene – Salär des Institutsleiters. So kam es, dass Robert Nef über lange Perioden nicht nur Geschäftsführer des Liberalen Instituts war, sondern auch dessen grösster Gläubiger.

Solche Situationen scheinen Robert Nef anzuziehen – es wäre dies interessantes Anschauungsmaterial für die Viktimologie: Als er 1994 im Halbamt (denn die Aufgabe beim Liberalen Institut war formell stets nur ein Halbamt, auch wenn es in der Sache den „ganzen Mann“ verlangte) zusätzlich die Redaktion der Schweizer Monatshefte über- nahm, wurde ihm dort kurz nach Amtsantritt verkündet, er sei nun auch Unternehmer. Die Monatshefte standen vor dem finanziellen Aus und im Vorstand träumte man bereits von der letzten Nummer. Nef hat dann auch diese Herausforderung gepackt und die Monatshefte während 15 Jahren nicht nur redaktionell entwickelt, sondern auch finanziell über die Runden gebracht.

Während all den Jahren, in denen ich Robert beim Liberalen Institut begleitete, war dieses geprägt vom Charme der Improvisation, im Finanziellen, wie gesagt, besonders, aber – angesichts der knappen perso- nellen Ressourcen – auch ganz allgemein. Stets hat Nef das mit Gelassenheit akzeptiert, wohl gemeinte Ratschläge ebenso wie Kritik mit Interesse (und illusionslos) zur Kenntnis genommen – und weitergemacht. Dass er nicht nur improvisieren, sondern sich auch in einem strukturierten Umfeld bewähren kann, hat er übrigens in seinen zehn Jahren als Präsident des Stiftungsrates des Ostschweizer Kinderspitals bewiesen. Dieses hat er mit Bravur geleitet.

So konnte Robert Nef bei seinem Ausscheiden aus der Institutsleitung mit dem 65. Altersjahr auf ein erfolgreiches Lebenswerk – oder richtiger: auf eine erfolgreiche lange Etappe seines Lebens – zurückblicken:

  • auf die Schaffung eines international verankerten und – im Aus- land noch weit mehr als in der Schweiz – hoch angesehenen Instituts,
  • auf über 25 Jahre rastloser Arbeit, in welchen zahllose Vorträge und Seminare unzählige Denkanstösse vermittelt haben,
  • auf eine Unzahl von Publikationen mit oft provokativen Frage- stellungen und originellen Statements,
  • auf das seit 1981 mehrmals jährlich erschienene institutseigene Periodikum „Reflexion“.

Was ist das Geheimnis, das hinter diesem Erfolg steht? Aus meiner Sicht sind es sieben Eigenschaften – man kann auch sagen Eigenarten – von Robert Nef:

Da ist erstens die Immunität gegenüber finanziellen Anreizen. Die Gabe Nefs zu verblüffenden, manchmal schockierenden und in jedem Falle einprägsamen Formulierungen hätte sich auch kommerziell auswerten lassen. An Anfragen von PR-Agenturen und Headhuntern für Positionen, die finanziell ein Mehrfaches eingebracht hätten – und
das erst noch gesichert – fehlte es nicht. Doch Nef hat nie einen Wechsel ernsthaft in Erwägung gezogen.

Damit verbunden ist – zweitens – ein Unverständnis für Statussymbole und das Streben nach äusserer Anerkennung. Obschon bereits Jahre als wissenschaftlicher Assistent tätig, kümmerte er sich nicht um einen universitären Abschluss. Und als der Stiftungsrat schliesslich mit Nachdruck darauf hinwies, dass für das Institut ein Leiter mit akademischem Titel angemessen wäre, hat er – zwar mit Auszeichnung, aber ziemlich lustlos – das Lizenziat gemacht. Dabei blieb es, obwohl für eine Dissertation weit mehr als das Material vorhanden war.

Nef ging mit seinen Ideen freigebig um. Nie beharrte er auf seiner Autorschaft, und es soll Anlässe gegeben haben, bei denen sämtliche Referenten von Robert Nef mit fertigen Vortragstexten ausgerüstet ans Werk gingen.

Trotzdem muss es Robert Nef gefreut haben, dass seine Arbeit schliess- lich auch in Auszeichnungen für ihn und das Institut mündete:

  • schon 1991 im Freiheitspreis der Max-Schmidheiny-Stiftung,
  • 2005 im Templeton Freedom Award der Atlas Economic Re- search Foundation
  • und schliesslich 2008 in der Hayek-Medaille für Nefs publizistisches Lebenswerk.

Nef war – dies eine dritte Eigenart, die er nicht mit vielen teilt – stets bereit, am Trapez ohne Sicherheitsnetz zu turnen: Nie hat er ein universitäres oder anderes Amt angestrebt, das ihm ein sorgenfreies Publizie- ren ermöglicht hätte. Eigenverantwortlichkeit hat er nicht nur gepredigt, sondern gelebt. Dieser Tatbeweis hat seine Glaubwürdigkeit enorm gestärkt.

Auf dieser Basis innerer Freiheit konnte sich Nefs viertes Markenzeichen – seine Kreativität – frei entwickeln. Nef überquoll förmlich mit Ideen, Ideen, die er – wie erwähnt – gerne auch zum freien Gebrauch ohne Quellenangabe weitergab. Und er konnte brillant formulieren, mit Liebe zum – vielleicht überspitzten – Bonmot, zum Aphorismus, zum Essay.

Fünftens ist Nef ein workaholic, er war und ist kein Abarbeiter, aber er ist getrieben von einem ungeheuren Arbeitseifer, wovon nicht zuletzt ein ellenlanges Literaturverzeichnis zeugt.

In seinen Ansichten war und ist Nef – sechstens – kompromisslos; für sich anerkennt er nur einen Liberalismus: den „Liberalismus ohne Adjektive“ (Václav Klaus). An seinen Grundüberzeugungen – Staats- und Institutionenskepsis, Non-Zentralismus, Glaube an die Eigenverantwortung und ein unerschütterliches Vertrauen in den Markt – hat er ein Leben lang zäh festgehalten, und daran wird sich in den nächsten Jahren wohl auch nichts ändern.

Kompromisslosigkeit kann unerträglich sein, sie war aber bei Nef – jedenfalls in der Zeit, in welcher ich beim Liberalen Institut neben ihm herlief – verbunden mit einer weiteren, siebten Eigenschaft: Toleranz. Toleranz ist nicht einfach Dulden, schon gar nicht bei Robert Nef: Sie ist die aktive Auseinandersetzung mit anderen Positionen und Überzeugungen. Nef liebt die Kontroverse, Rede und Gegenrede, er ist ein begeisterter und begeisternder Debattierer. Das machte die Anlässe beim Liberalen Institut – bis hin zu den Vorstandssitzungen – zu spannenden Events, die man oft intensiv weiterdiskutierend verliess.

***

Seinen Überzeugungen ist Nef zeitlebens treu geblieben. Mehr noch: Während bei anderen im siebten Lebensjahrzehnt zunehmend die Altersmilde überhand nimmt, ist Nef radikaler geworden in der Ablehnung von allem, was er als „auch liberal“ qualifiziert. Diese Entwicklung war wohl schon immer in seiner Kompromisslosigkeit vorgezeichnet. Sie hat aber auch zu grösserer Distanz gegenüber alten Weggefährten geführt. Dazu gehört auch der Schreibende: Er versieht den Liberalismus gern mit diesem oder jenem Adjektiv, lehnt libertäre Strömungen ab. Er glaubt an die Notwendigkeit eines starken – wenn auch schlanken – Staats. Er bezweifelt, dass der Markt wirklich alles richtet. Und ihm fehlt der Glaube daran, dass die aus freien Stücken gelebte Verantwortung für den andern eine staatlich verordnete Solidarität stets zu ersetzen vermag.

Doch ändert dies nichts an der Hochachtung für Robert Nef und sein Lebenswerk. Und nach wie vor ist der Schreibende davon überzeugt, dass es neben denen, die vermitteln und Kompromisse suchen, auch Persönlichkeiten braucht, die angriffig Standpunkte ausserhalb der Mitte vertreten, jedenfalls dann, wenn dies ohne billigen, auf den kurzfristigen politischen Effekt schielenden Populismus geschieht. Er freut sich, dass die Stimme Nefs auch künftig unüberhörbar bleiben wird. Er hofft aber auch, dass bei aller Kompromisslosigkeit ein Wesenszug von Robert nicht verschüttet wird: die Bereitschaft, andere Meinungen zu hören und ihre Tragfähigkeit zumindest in Erwägung zu ziehen.

Prof. Dr. Peter Forstmoser ist Rechtsanwalt und emeritierter Professor der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich. Er hat zahlreiche Publikationen verfasst, vor allem zum Unternehmens-, Aktien- sowie Kapitalmarktrecht.

Quelle:

Robert Nef – Kämpfer für die Freiheit
Hommage an einen bedeutenden Liberalen
Herausgegeben von:
Peter Ruch, Pierre Bessard, Daniel Eisele

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