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Liberale Lichtgestalt

Lesedauer: 6 Minuten


(Weltwoche)

Robert Nef wurde ausserhalb des staatlichen Bildungssystems zu einem prägenden Schweizer Intellektuellen. Der Essayist geniesst international in liberalen Kreisen einen hervorragenden Ruf. Treffen mit einem echten Freigeist.

Von Florian Schwab

Bei eisiger Kälte besucht die Weltwoche den weltweit beachteten liberalen Publizisten Robert Nef. In einem bescheidenen Einfamilienhaus am Südhang der Stadt St.Gallen, in Opposition zum noblen Rosenberg, der sich an der Südseite der Stadt erhebt und auf dem die Universität St. Gallen (HSG) thront, ein angeblicher Hort des Kapitalismus. Laut Nef ist die HSG schon lange nicht mehr liberal, sondern im staatsgläubigen Zeitgeist angekommen. Seit rund dreissig Jahren bewohnt Nef das Haus mit seiner Familie. Zuerst als Mieter des vorigen Eigentümers, seines Freundes Wolf Linder. Der prägende Denker des Kapitalismus lebte jahrelang in Miete bei einem sozialdemokratischen Politikwissenschaftler, bevor er das Haus kaufte.

Nef kommt seinen Besuchern entgegen: Ein kleiner, etwas gebückter Herr mit Hut in währschafter Hausmannskleidung. Nichts lässt darauf schliessen, dass man es mit einem führenden liberalen Denker unseres Landes zu tun hat, ­einem «sprudelnden Ideengenerator», wie es René Scheu, der Herausgeber des Schweizer Monats, ausdrückt (so heissen heute die von Nef rund 15 Jahre lang herausgegebenen Schweizer Monatshefte heute). Von linken Kreisen wird Nef häufig angefeindet. Als neoliberalen Dogmatiker bezeichnet ihn die Wochenzeitung.

Freund von Blocher

Die Feindschaft seiner Gegner verdient er sich mit politisch unkorrekten Aussagen, die im markanten St.Galler Dialekt doppelt provokativ klingen: «Alle renommierten Klimawissenschaftler sagen, dass wir langfristig in einer Abkühlungsphase sind. Da schadet es nichts, wenn der Mensch ein bisschen dagegen anheizt.» Die Klima-Apokalyptiker empfinden das als zynisch.

Nefs Haus trägt die Handschrift eines Familienmenschen. Die Stube ist von einer gutschweizerischen Bescheidenheit. Gemütlich-rustikal, etwas überladen mit Büchern. Vor allem philosophischen Werken. Nef ist von Haus aus Jurist. «Ich habe Jura studiert, weil das Studium praktisch alle Möglichkeiten offenhält.» Wenn Nef eine Eigenschaft nicht hat, dann ist es karrieristische Zielstrebigkeit. Sein (brillantes) Lizenziat hat er nur durch gutes Zusprechen seiner Freunde gemacht («Damit du wenigstens einen Abschluss hast»). Dafür besuchte er kreuz und quer geisteswissenschaftliche Vorlesungen und engagierte sich bei der Liberalen Studentenschaft. Es war die Zeit, als die 68er die Schweizer Universitäten unsicher machten. Die Konservativen organisierten sich im Studentenring, darunter ein gewisser Christoph Blocher, der bis heute ein persönlicher Freund von Robert Nef ist. «Blocher gehört nicht zu meinem allerengsten Freundeskreis, aber er ist ein Freund», sagt Nef. Anders als Blochers Ring stand Nef den 68ern «nicht pauschal negativ» gegenüber. «Es gab konservative Verkrustungen, die aufgebrochen werden mussten.» Vor den marxistischen Abwegen und dem Einsatz von Gewalt schaudert es Nef aber noch heute.

Der Unfall mit der Handgranate

Neben dem Studium war Robert Nef im Militär aktiv, erreichte in über tausend Diensttagen den Rang eines Oberstleutnants. In seinen Militärdienst fällt ein Ereignis, welches von Freunden als Schlüsselerlebnis geschildert wird. Bei einer Handgranatenübung mit scharfen Geschossen soll sich ein Soldat derart verkrampft haben, dass er nicht in der Lage war, nach dem obligaten Abzählen von «23» die Granate wegzuschleudern. Nef warf sich über die explodierende Waffe und trug schwere und teilweise bleibende Verletzungen davon. Er selbst ist nicht erpicht darauf, diese Anekdote zum Besten zu geben, spricht von seinem Militär-«Unfall». «Das war heldenhaft», sagt dagegen einer, der ihn vom Militär kennt. Diese Erfahrung und die körperlichen Schäden hätten grosse Kräfte in ihm freigesetzt, das liberale Sendungsbewusstsein, das er zu seinem wichtigsten Lebensinhalt erhob. «Andere hätten sich danach in die IV verabschiedet», sagt ein Freund. Nef dagegen setzte sich in seiner aktiven Berufszeit als Publizist, Philosoph, Redaktor und weltweiter Vortragsreisender mit unermüdlicher Kraft und ebensolchem Eifer dafür ein, dass liberale Ideen in der Schweiz breit diskutiert wurden und dass der Schweizer Liberalismus international einen Ruf aufbaute. Das ideelle Rüstzeug hatte er mit der Muttermilch aufgesogen, da er väterlicher- und mütter­licherseits aus Familien der untergegangenen St. Galler Textilindustrie stammt. Dieser grenzüberschreitende Wirtschaftszweig war traditionell freihändlerisch und liberal geprägt.

Während er an der ETH als Mitarbeiter von Professor Martin Lendi wirkte, an der Universität Zürich ein Dissertationsprojekt verfolgte und in der liberalen Studentenschaft aktiv war, nahm er mit der FDP, der er erst später als Mitglied beitrat, Einsitz in verschiedene Kommissionen. Aus einem seiner damaligen Papiere stammt der Wahlslogan «Mehr Freiheit, weniger Staat». Den Gründern des Liberalen Instituts in Zürich, stadtzürcherischen Freisinnigen alter Schule, fiel der junge Nef auf, und sie fragten ihn, ob er nicht die Leitung des Instituts übernehmen wolle. Er sagte sofort zu. Später wurde das Liberale Institut der deutschen Friedrich-Naumann-Stiftung in Potsdam, wo Nef ein gerngesehener Gast ist, nach dem Zürcher Vorbild geschaffen.

Nun war er halbtags für das Liberale Institut und halbtags für die ETH tätig. Die Dissertation blieb auf der Strecke, und er gab auch die ETH-Stelle auf, als man von Seiten der Schweizer Monatshefte auf ihn zukam und ihm anbot, die Stelle des leitenden Redaktors zu übernehmen. Sein ETH-Förderer Martin Lendi gerät noch heute ins Schwärmen, bezeichnet seinen langjährigen Assistenten als «enorm begabt, breit gebildet, vielseitig belesen», als einen Menschen, «der eine innere Mission verspürt, prononciert, da und dort vielleicht leicht zum Besonderen neigend, aber eben aus einem Fundus heraus, nicht um der banalen Profilierung willen».

Bei den Monatsheften kam er mit Gerhard Schwarz, einem liberalen Weggefährten und dem langjährigen Chef der NZZ-Wirtschaftsredaktion sowie mit Konrad Hummler zusammen. Die traditionsreiche Publikation lag damals darnieder. Schwarz erinnert sich: «Wir gaben den Monatsheften in den 80er Jahren eigentlich nur noch wenige Jahre Überlebenschance.» Es war dann das massgebliche Verdienst von Robert Nef, die liberale Zeitschrift mehrere Jahrzehnte am Leben zu erhalten. Sowohl das Institut als auch die Zeitschrift hätten seine Arbeitskraft gut und gerne auch zu hundert Prozent in Anspruch nehmen können. Sie blieben beide weitgehend auf die Person von Robert Nef beschränkt. Weder personell noch finanziell gab es grössere Ressourcen. «Nef ist mehr ein Intellektueller als ein Manager», sagt Gerhard Schwarz. Und als Intellektueller setzte er sehr klare Akzente, mit denen er sich ausserhalb des beschaulichen liberalen Kreises viele Feinde machte. «Nef ist ein frecher Siech», hiess es schon im Militär.

Sein liberales Ur-Kredo ist, dass Entscheidungen auf der untersten Stufe fallen sollen. Jede Anballung von Macht ist ihm suspekt. Daher sucht er in allen politischen Fragen Alterna­tiven zu staatlichem Zwang, versucht aufzuzeigen, dass vom Bildungs- über das Gesundheitswesen bis zum Sozialbereich private Lösungen besser sind. Die staatliche Massenfürsorge mit ihrem Planungsglauben ist sein erklärtes Feindbild. Die Schuld für den immer aktiveren Staatsapparat sieht er in den Gesetzmässigkeiten der Bürokratie und in einer unheilvollen Verflechtung des Staates mit der Wirtschaft und den Medien. Die Schweizer Medien verschont er nicht mit Kritik. Er geht dabei an die Schmerzgrenze; etwa als er als «Merker» des St. Galler Tagblatts für rund zwei Jahre für die interne Blattkritik zuständig war. Die Aufgabe der Medien, so Nef, ist es Meinungsäusserungsfreiheit und Meinungsvielfalt zu gewährleisten. Ein Grund dafür, dass Tito Tettamanti ihn kürzlich als Verwaltungsrat in die Medienvielfalt Holding holte.

Unentbehrliche liberale Wortgewalt

«Robert Nef ist einer der originellsten Schweizer Publizisten, stets für eine Überraschung gut», sagt sein Monatshefte-Nachfolger Scheu. Nef selbst bekennt freimütig, dass ihm das «Sitzleder» für ein ganz grosses Werk fehlte. So blieb es grösstenteils bei einer Ansammlung von geistreichen Essays, mit denen er liberale Ideen in die Arena warf. Dabei sei er mit der Zeit «radikaler» geworden. Radikaler in der Ablehnung von Zwang. Radikaler in seinem Einsatz für den Föderalismus. Als neugieriger Redaktor und «Think-Tanker» verfolgt er jede Idee, die ihm dazu geeignet scheint, mehr Freiheit zu bringen, und vertritt sie mit «rhetorischer Brillanz», wie sein Nachfolger beim Liberalen Institut, Pierre Bessard, feststellt. Er versteht seine Tätigkeit als nicht parteigebunden und lag so mit seiner Partei, der FDP, häufiger übers Kreuz. Er wahrte eine «Äquidistanz» zu SVP und FDP: «Meine Aufgabe und jene des Liberalen Instituts war es, den Liberalismus in beiden Parteien zu stärken.»

Von Anfang an war Nef gegen den Beitritt der Schweiz zum EWR. «Man wurde damals auch in liberalen Kreisen als Hinterwäldler dargestellt.» Später, als er dem Abdruck eines seiner Aufsätze in der konservativen Schweizerzeit von alt Nationalrat Ulrich Schlüer (SVP) zustimmte, wurde er angefeindet. Personen im Stiftungsrat des Liberalen Instituts forderten seinen Kopf. Doch Nef blieb. Es gab in der Schweiz keine Alternative zu seiner Wortgewalt und dem breiten Wissen über die Kultur und Philosophie des Liberalismus. Vor fünf Jahren, als er auf die 65 zusteuerte, zog er sich aufs Dasein als Privatmann und freier Publizist zurück. Die Friedrich- August-von-Hayek-Gesellschaft zeichnete ihn wenig später mit der Hayek-Medaille aus. Die Leitung des Liberalen Instituts übergab er an ­Pierre Bessard und wechselte an die Spitze des Stiftungsrates. Er verzichtet auf grosse Belehrungen seiner Nachfolger. Die Art der Arbeitsübergabe war vom «Grundvertrauen in den Menschen» bestimmt, erinnert sich Bessard. Das Geheimnis des grossen Liberalen bleibt es, wieso er ausgerechnet mit dem Erreichen der 65-Jahre-Grenze seine Ämter abgab, die symbolhaft für den staatlich diktierten Lebensrhythmus steht. Robert Nef wird Anfang April 70 Jahre alt.

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