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Trotz allem mehr Liberalismus wagen

Lesedauer: 2 Minuten

(Schaffhauser Nachrichten, 30. April 2010)

Die Orientierung am kurzfristigen Erfolg ist nicht nur traditions- und zivilisationsfeindlich, sie ist auch zum Misserfolg verdammt. Sie führt zu einer Politik der populären Sofortmassnahmen und Profilierungsversuche und zum Verlust der Verpflichtung auf Ideen und Grundsätze.

Von Robert Nef

Konsequente Liberale waren gegenüber jenem politischen Aktivismus stets skeptisch, der bei jedem neuen Problem gleich eine neue Vorschrift, ein neues Verbot, eine neue Behörde oder eine neue Steuer fordert. Unter dem Eindruck der Finanzkrise ist nun aber bis weit in bürgerliche und liberale Kreise hinein eine Art von Marktverdrossenheit entstanden, die jenen Parteien Zulauf gibt, die einen neuen Mix von «dritten Wegen» zwischen Staat und Markt anbieten. Wenn die FDP in diesem Meinungsklima mehr Liberalismus wagt, so geht sie ein Risiko ein, das möglicherweise kurzfristig einige Stimmen kostet, aber dafür langfristig die Glaubwürdigkeit rettet. Wer politische Entscheidungen konsequent einem Test der Freiheitsverträglichkeit unterstellt, muss möglicherweise auf die eine oder andere populäre Massnahme verzichten, hat aber einen Kompass zur Hand, der einem Zick-Zack-Kurs vorbeugt.

Die Parteipolitik läuft Gefahr zur reinen Tages-und Interessenpolitik zu degenerieren. Die Subito-Mentalität und der Verlust des zivilisatorischen und politischen Langzeitgedächtnisses ist eine relativ neue Erscheinung. Sie ist wohl eine der Schattenseiten des demokratischen Wohlfahrtsstaates, bei dem immer mehr Menschen die Lösung ihrer Probleme vom Staat erwarten und dem Staat bzw. «den andern» die Schuld geben, wenn die eigenen Erwartungen an das Leben nicht erfüllt werden.

Der Staat ist heute in den Augen vieler der Problemlöser Nummer 1 geworden. Das führt zu einem Teufelskreis von Überforderung und Überschuldung, zu jener Täuschung und Selbsttäuschung, die in eine grosse Enttäuschung münden muss. Die Finanzkrise ist als «Versagen der Märkte» interpretiert worden und der Staat ist weltweit als «Freund und Helfer» aufgetreten. Der liberale Slogan «Mehr Freiheit und Selbstverantwortung, weniger Staat» hat in diesem Umfeld an Attraktivität eingebüsst. Für immer? Inzwischen ist in Europa ein neues Problemfeld aufgetaucht: Die Schuldenkrise und der Staatsbankrott. Das anti-liberale Programm «Mehr Staat, mehr Steuern, mehr Schulden» zeigt seine Kehrseite.

Die grundsätzliche Staatsskepsis ist in einer Zeit der drohenden Staatsbankrotte keineswegs obsolet geworden. Sie ist das Fundament einer zukunftstauglichen liberalen Politik. Die FDP sollte als liberale Partei an der Forderung nach «weniger Staat» festhalten, aber sie darf sich nicht damit begnügen. Der Zeithorizont solcher Zielsetzungen sind im Hinblick auf die eigene Zukunft nicht die 2-4 Jahre, sondern die nächsten 30 Jahre für die eigene Zukunft und die nächsten 60 Jahre, wenn man auch an die Zukunft eigener Kinder denkt. Politikberater und Psychologen wenden hier ein, mit der Orientierung an solchen Zeithorizonten sei der Durchschnittsmensch überfordert. Ein Blick in die Menschheitsgeschichte zeigt aber, dass der Fortschritt der Zivilisation seit Jahrtausenden auf dem Wunsch beruhte, dass es die Kinder besser haben sollten als man es selbst hatte, und als es die eigenen Eltern hatten. Das entscheidende für die Zukunft einer Partei ist der qualifizierte Nachwuchs bei den politisch engagierten jungen Leuten. Deren Qualität misst sich nicht am Ehrgeiz, möglichst rasch gewählt zu werden, sondern an der langfristigen Perspektive für eine politische und wirtschaftliche Zukunft in der sich das Lernen und das Leisten lohnt und in der es genügend Spielräume gibt, um dem eigenen Leben nach eigenen Vorstellungen einen Sinn zu geben.

Robert Nef ist Stiftungsratspräsident des Liberalen Instituts und der Stiftung für Abendländische Ethik und Kultur.

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