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Die FDP hat eine Zukunft

Lesedauer: 4 Minuten

(Finanz und Wirtschaft, 27. März 2010, Seite 1)

Die FDP gleicht einem altgewordenen Löwen, dem jeder Esel einen Tritt versetzen kann. Sie kann nur gesunden, wenn sie prinzipientreu die Anliegen der Freiheitsfreunde vertritt.

Eine Partei, die sich während Jahrzehnten als Wirtschaftspartei profiliert hat, zweifelt an sich selbst und will sich nicht mehr mit einer Wirtschaft identifizieren, die für viele zum Sündenbock geworden ist. Die FDP befindet sich zurzeit in einer Krise des liberalen Selbstverständnisses. Viele meinen etwas voreilig, sie sei wie der altgewordene Löwe in La Fontaines Fabel. Sein baldiges Ende ist abzuschätzen, und zuletzt darf ihm jeder Esel noch einen Tritt versetzen.

Dieser Artikel hat ein anderes Motiv. Die FDP muss sich angesichts des medial inszenierten Konflikts zwischen Werkplatz und Finanzplatz gegen alle Eselstritte wehren. Sie darf sich weder aufspalten noch ins Bockshorn jagen lassen.

Eine während über 100 Jahren gleichzeitig staats-, wirtschafts- und gesellschaftstragende Partei darf gegenüber einer propagandistisch geschürten Wirtschaftsverdrossenheit nicht einfach kapitulieren und zu den exklusiv Staatsgläubigen überlaufen. Sonst verschwindet sie zu Recht von der politischen Bühne.

Ein einfaches Rezept, wie man als liberale Partei gleichzeitig Popularität, Glaubwürdigkeit sowie engagierten und begeisternden Nachwuchs gewinnt und keine Stammwähler vertreibt, gibt es nicht. Appelle wie «Linie halten!», «Flagge zeigen!» oder «Fort mit Abweichlern!» helfen nicht weiter, wenn es keine Linie mehr gibt.

Wirtschaft und Staat trennen

Die FDP gilt gleichzeitig als Verfechterin des Liberalismus und als Wirtschaftspartei. Aber die Vertreter der organisierten Wirtschaft waren nie lupenrein liberal, sondern nur à la carte, d. h. auf die Bedürfnisse der eigenen Branche oder des eigenen Unternehmens abgestimmt. Der konsequente Wirtschaftsliberalismus ist nicht das zentrale Anliegen einer ziemlich gemischten Wirtschaft, die auch von Staatsaufträgen und vielfältigen Regulierungen profitiert. Die Liberalen fordern seit je eine klare Trennung von Wirtschaft und Staat. Wenn die FDP diesbezüglich konsequent wäre, könnte ihr kein Fehlverhalten einzelner Wirtschaftsexponenten angelastet werden, und sie bräuchte sich auch von keiner Wirtschaftsbranche und von keinen Fehlern in den Chefetagen zu distanzieren.

Dass die Wirtschaft nie für alle gleich befriedigend funktioniert, und dass es in einer Phase der Globalisierung zu Konflikten kommt und zu schwer einfühlbaren und schwer nachvollziehbaren Einkommensunterschieden, hat kein vernünftiger Freisinniger je bestritten. Die Wirtschaft ist im übrigen keine isolierbare Interessengruppe der Gesellschaft, sondern ein Lebensbereich, an dem alle als Arbeitende, Konsumierende, Sparende und Steuerzahlende mit ihren guten und schlechten Eigenschaften in eigener Verantwortung teilnehmen und teilhaben.

Die FDP hat seit ihrer Gründung sehr unterschiedliche bürgerliche, liberale, demokratische Strömungen vereinigt. Ihr Zusammenhalt gründete in der gemeinsamen Gegnerschaft gegen den Sozialismus und den katholischen Konservatismus und in der Befürwortung einer komplexen Mischung von marktwirtschaftlicher und staatlich regulierter Wirtschaft. Dass man in einem gemischtwirtschaftlichen und interventionistischen Umfeld nicht immer gleichzeitig Wirtschaftspartei und liberal sein kann, ist eine der bitteren Erfahrungen des heutigen Freisinns.

In einem Mehrparteienstaat mit Konkordanzprinzip sind alle Parteien zu einer gewissen Portion an Opportunismus verdammt. Auch die zurzeit wählerstärkste Partei, die SVP, verhält sich als Koalition von liberalen Staatsskeptikern, Wertkonservativen und Einwanderungsgegnern gegenüber ihrem eigenen durchaus heterogenen Wählersegment opportunistisch. Ihre starke Klammer ist die einmütige und konsequente Ablehnung eines EU-Beitritts, die von einer (auch unter Jungen) wachsenden Mehrheit geteilt wird.

Soll die FDP in dieser Frage von ihrem Zickzackkurs abweichen und über eine zentrale parteiinterne Abstimmung ein eindeutiges Ja oder Nein erzwingen? Wahrscheinlich würden beide Optionen heute zu weiteren massiven Wähler- und Vertrauensverlusten führen. Die von Funktionären und Kommunikationsberatern beschworene innerparteiliche Einmütigkeit hat einen zu hohen Preis, weil sie zusätzliche interne Minderheiten schafft, die dann definitiv abspringen. Die FDP muss aus der Not des internen Meinungspluralismus eine Tugend machen – indem sie offen dazu steht.

Mittels grober Vereinfachungen wird heute in den Medien eine Art Zweiparteiensystem beschworen, in dem es nur noch die SVP und die heterogene Koalition der SVP-Gegnerschaft gibt. Man suggeriert dabei der FDP ein Entweder-Oder: entweder im Lager der links-grün-christlich-sozialen Anti-SVP oder «im Rucksack» der SVP. Beide Optionen bedeuten den Untergang der Partei.

Die FDP hat als liberale Partei eine Überlebenschance, wenn sie auch im medialen und intellektuellen Milieu den Mut zur Unpopularität zeigt und auf die Anliegen jener Bevölkerungsgruppen reagiert, die zunehmend Mühe haben mit dem Ausbau des umverteilenden Bevormundungsstaats. Das Leben wird heute von der Wiege bis zur Bahre immer mehr zu einem «Dienst nach Vorschrift». Mit den Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen der wirtschaftlich Aktiven soll die wachsende Gruppe von Nichterwerbstätigen zwischen 0 und 20 und 65 und 90 Jahren finanziert werden. Es ist zu erwarten oder doch zu hoffen, dass sich früher oder später auch jene politisch zu Wort melden, die ein Leben nach eigenen Vorstellungen, in eigener Verantwortung und auf eigene Rechnung vorziehen.

Mut zur Unpopularität

Diese Gruppe wird weder mit linken noch mit grünen Staatsgläubigen kooperieren wollen. Sie wird sich aber auch von Fremdenfeindlichkeit und Zukunftsängsten und neuen Staatsinterventionen zugunsten der eigenen Anhängerschaft klar abgrenzen. Wer diese Individuen als Partei ansprechen will, fordert in der heutigen Zeit im intellektuellen Milieu und bei den organisierten Interessen den Mut zur Unpopularität heraus. Die dadurch provozierte Medienschelte wird aber durch die Gefolgschaft der prinzipientreuen Freiheitsfreunde honoriert werden.

Gibt es diese Gruppe überhaupt noch, und wie gross ist ihr Wählerpotential? Selbst wenn sie gegenwärtig weniger zahlreich werden sollte, wäre es ein Fehler, ausgerechnet diese Anhängerschaft aufs Spiel zu setzen, um links der Mitte und bei den Staatsrentnern aller Lebensalter Applaus zu bekommen. Die FDP hat eine Zukunft, wenn sie die liberalen, freiheitlichen Prinzipien nicht durch eine opportunistischen Anbiederung an Etatisten aller Parteien verrät, die zugunsten ihrer Klientel mehr Staat, mehr Vorschriften, mehr Kontrollen, mehr Umverteilung fordern und damit mehr Bevormundung für alle bewirken.

Robert Nef präsidiert den Stiftungsrat des Liberalen Instituts und die Stiftung für Abendländische Ethik und Kultur.

«In einem Zweiparteiensystem mit der SVP und einer breiten Anti-SVP-Koalition geht die FDP unter.» Robert Nef

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