(Finanz und Wirtschaft, Februar 2010)
Liberale merken oft gar nicht wie stark sie allein schon durch die Terminologie ins Argumentationskorsett der Sozialisten eingezwängt werden. Wenn ich mich als Leiter des Liberalen Instituts gegen Zwänge aller Art zur Wehr setze, werde ich immer wieder darauf angesprochen, was ich denn von den Zwängen halte, die mit «wirtschaftlicher Macht“ zu tun haben, z.B. mit dem «Zwang auf die Lohnabhängigen». Diese sozialistische Floskel provoziert mich zu folgenden Thesen und Überlegungen:
Erstens: Die Wirtschaft hat keine genuine bzw. intrinsische Macht. There ain’t no such thing as economic power – so etwas wie “wirtschaftliche Macht» gibt es gar nicht.
Diese These schockiert gelegentlich sogar eine liberale Leser- und Zuhörerschaft. Aber die Diskussion darüber ist erwünscht und hiermit eröffnet. Sie zeigt, dass «Macht“, «Herrschaft“ und Zwang“ unterschiedlich definiert werden können. Wer aber im Zusammenhang mit einer auf dem Tauschprinzip aufbauenden Wirtschaft von «Zwang“ und «Macht“ spricht, muss seine Argumente mit praktischen Beispielen belegen können. Wie wird man denn zum Opfer wirtschaftlicher Zwangsausübung? Kann z.B. die grosse Firma Nestlé jemanden zwingen, ihre Produkte zu konsumieren, ihre Aktien zu kaufen oder gar bei ihr zu arbeiten? Als von der Werbung Gelockte und Verführte vielleicht…Ja, Verführung ist eine Macht. Lessing hat sie «die höchste Macht» genannt und damit schon vorüber 200 Jahren den Stellenwert der Frauenpower erkannt. Aber ist verführerische Werbung mit «wirtschaftlichem Zwang“ gleichzusetzen?
Zweitens: Jeder vernünftige mündige Mensch kann sich gegen Verführung wappnen und gegen Manipulationen aller Art wehren.
Wir sind nicht alle hilflose Opfer der kommerziellen Werbung, hilflose Verführte am Gängelband verborgener Verführer. Verführung soll als Bedrohung der Freiheit durchaus nicht verniedlicht werden. Auch der mündige Mensch ist beeinflussbar. Darum ist es so wichtig, dass diese Einflüsse vielfältig sind und miteinander konkurrieren. Ein offener Meinungsmarkt, auch im Bereich der Werbung, ist das beste Mittel gegen Manipulation. Darum dürfen auch die Massenmedien nicht monopolistisch beherrscht und auch nicht als staatsmonopolistischer «öffentlicher Dienst“ betrieben werden, in dem die jeweils vorherrschende «öffentliche Meinung“ den Ton angibt. Darum ist es auch so wichtig, dass es in der Medienlandschaft kreativ dissidente Aussenseiter gibt, die jene kollektiven Verführungen kritisieren, die im grossen Strom der öffentlichen und veröffentlichten Meinung sonst verborgen blieben.
Drittens: Es gibt gute Gründe, den Zwang als «äussere Fremdbestimmung durch Personen und Institutionen“ zu definieren und nicht als Konsequenz der Tatsache, dass der Mensch ein teilweise triebgesteuertes und genetisch programmiertes Mängelwesen ist.
«Ich habe eine Allergie gegen Zwang» so lautete der Titel, den eine Zeitung über eines meiner Interviews setzte. Ist es gerechtfertigt, bei der kommerziellen Werbung denselben Begriff “Zwang» (Englisch: coercion) zu brauchen, dem wir im politischen Bereich in viel handfesterer Form im Zusammenhang mit Zwangsvollstreckung, Zwangsabgaben und Strafrecht begegnen? Wer bei der Definition von «Zwang“ psychologische und biologische Aspekte ins Zentrum stellt, kommt letztlich zum Schluss, dass wir alle unser Leben nur noch als Spielball unserer Hormonausschüttungen und als genetisch und sozio-biologisch gezwungene Zwangsvollstrecker absolvieren. Der Liberalismus geht davon aus, dass es trotz dieser unbestreitbaren Randbedingungen einen Handlungsspielraum gibt für frei gewählte selbstverantwortete Entscheidungen.
Viertens: Eine Firma hat aber als Arbeitgeberin keine Macht über ihre Arbeitnehmer.
Gibt es also im Erwerbsleben keine «ökonomische Macht“? Arbeiten wir alle freiwillig? Natürlich kann kaum jemand jene Arbeit wählen, die seinen Wunschvorstellungen jederzeit voll entspricht. Arbeit beruht auf einem vertraglich vereinbarten Geben und Nehmen bei dem beide Partner möglichst viele Vorteile anstreben und Arbeitsverträge sind in einer liberalen Zivilgesellschaft grundsätzlich kündbar. Was die einen “Entlassung» nennen (oder «auf die Strasse stellen“ ) und aus sozialistischer Sicht als Verstoss gegen das “Menschenrecht auf Arbeit» brandmarken, ist aus liberaler Sicht die durchaus normale Wahrnehmung des Rechts auf Kündigung. Die Möglichkeit von «Stellenwechsel» und «Neubesetzung“ ist die Voraussetzung für die freie Wahl des Arbeitsplatzes und die freie Auswahl des Arbeitnehmers, die in einer dynamischen, global vernetzten Dienstleistungsgesellschaft immer überlebenswichtiger wird. In einer Privatrechtsgesellschaft gelten auch Arbeitsverträge als Vereinbarungen unter den Direktbetroffenen und Direktbeteiligten, die aufgrund der vereinbarten Regeln auch beendet werden können.
Kündigungen sind für die Arbeitnehmer oft massive und schmerzliche Engriffe. Aber auch die Arbeitgeberseite muss mit den negativen Folgen einer Kündigung durch den Arbeitnehmer fertig werden, die vor allem in Kleinbetrieben und bei hoch spezialisierten Jobs existenzbedrohend sein können. Ein hoher arbeitsrechtlicher Kündigungsschutz begünstigt die Arbeithabenden und diskriminiert die Arbeitsuchenden und schafft darum vor allem auch Jugendarbeitslosigkeit. Das ergibt sich im internationalen Vergleich zwischen unterschiedlich regulierten Arbeitsmärkten klar und eindeutig. Die Schweiz hat aufgrund ihres weniger regulierten Arbeitsmarktes, in dem Kündigungen grundsätzlich zulässig sind, markant weniger Arbeitslose als Deutschland, das immer noch den Mythos des sozial motivierten Kündigungsschutzes hochhält und damit der asozialen Verkrustung des Arbeitsmarktes und der Arbeitslosigkeit und der Diskriminierung der Jungen Vorschub leistet. Das Leid, das jene Arbeitslosigkeit bewirkt, die durch überregulierte Arbeitsmärkte verursacht wird, ist ungleich grösser als die Unannehmlichkeiten eines durch eine Kündigung verursachten Stellenwechsels, selbst wenn dieser mit einer Lohneinbusse verbunden ist. Es gibt weder ein Recht auf lebenslängliche Lohnerhöhungen noch auf die lebenslängliche Beschäftigung bei derselben Firma. Das sozialistische Gegenkonzept zu offenen Arbeitsmärkten ist die Zwangszueilung der Arbeit durch zentral verwaltende Kommissare bzw. eine Staatsanstalt. Die Folgen sind bekannt, zuerst Vollbeschäftigung und dann Vollbankrott.
Fünftens: «Die Wirtschaft, das sind wir alle». Sie besteht aus Arbeitgebern, Arbeitnehmen, Kunden, Konsumenten, Mietern usw. und wird erst zu etwas politisch Organisiertem, wenn der Staat dies veranlasst oder in einem korporatistischen System erzwingt.
Aus liberaler Sicht ist die Wirtschaft ein sich spontan verändernder Gesamtaspekt des Lebens, der sich auf den Austausch von Gütern, Dienstleistungen und Vermögenswerten aller Art bezieht, auch der Austausch von Wissen, Ideen, kulturelle Leistungen und Sympathien und Antipathien gehört dazu. Jeder dieser Bereiche muss sich den Einfluss in der Politik, den Schlüssel zur Teilhabe am Zwangsmonopol, borgen oder erkaufen. Dass dies immer wieder mit Erfolg geschieht, kann man den Akteuren der Wirtschaft nicht vorwerfen. Es ist Aufgabe des politischen Systems, sich so gut wie möglich gegen solche Einnistungen zu wappnen und zur Wehr zu setzen. Diesen Prozess korporatistischer Vernetzung von Politik und Wirtschaft gilt es national und international scharf zu beobachten und laufend zu kritisieren. Je grösser und intransparenter die Organisation ist (z.B. die EU), desto grössere Chancen haben die Lobbyisten, die sich ihren Einfluss auf Gesetzgebung und Regulierung sichern, selbstverständlich, so wird behauptet, nicht im Interesse ihrer Firma oder ihrer Branche, sondern im «öffentlichen Interesse“. Auch auf lokaler und regionaler Ebene lassen sich Politik und Wirtschaft nicht vollständig abschotten. Doch auf dieser Ebene schauen sich die gemischt politisch und wirtschaftlich vernetzten Akteure, die meistens auch in der einen oder andern Rolle Konkurrenten sind, gegenseitig wirksamer auf die Finger.
Quintessenz: Die möglichst vollständige Trennung von Wirtschaft und Staat, die umfassende Privatisierung und Deregulierung sind liberale Postulate erster Ordnung und nicht die Marotte von ideologisch blinden marktgläubigen Neoliberalen. Durch diese Trennung wird gleichzeitig auch das Postulat der Entgiftung «wirtschaftlicher Macht» weitgehend erfüllt, mindestens solange es unabhängige und scharf beobachtende Medien gibt.