Ein Interview mit Robert Nef im Anschluss an ein Seminar zur Themenkreis Föderalismus und Kommunalautonomie veranstaltet vom Liberalen Institut (Potsdam).
Herr Nef, Sie bezeichnen die politische Unabhängigkeit der Schweiz als erfolgreiches Experiment. Was veranlasst sie zu dieser Aussage?
Die Schweiz ist in den meisten internationalen Ranglisten, die wirtschaftliche Prosperität und allgemeinen Wohlstand messen, unter den ersten 10, meistens sogar unter den ersten 5. Sie hat trotz dem hohen ökonomischen Stellenwert des Finanzsektors die Finanzkrise überdurchschnittlich gut gemeistert und hat mit 3,6 Prozent eine der geringsten Arbeitslosenquoten der Welt. Als Immigrationsland und Wirtschaftsstandort ist sie europa- und weltweit höchst attraktiv. Die durch das Kollegialitätsprinzip und die direkte Demokratie zum permanenten Ausgleich gezwungene Mehrparteienregierung gewährleistet hohe politische Stabilität.
Sie bezeichnen Deutschland als „ziemlich zentralistischen Zentralstaat“. Worin unterscheidet sich die Schweiz diesbezüglich von Deutschland?
Die Bundesländer haben die Steuerhoheit, d.h. den materiellen Kern der Autonomie, weitgehend an den Bund abgegeben. In der Schweiz gibt es nach wie vor eine kantonale Steuerhoheit und eine Steuerkonkurrenz zwischen den Kantonen und auch unter den Kommunen. Dies wirkt sich auf die diesbezügliche Attraktivität der Standorte aus und eröffnet auch den peripheren Gebieten gute Chancen.
Sie betrachten das Wechselspiel von Föderalismus und Subsidiarität in Deutschland mit einer gewissen Skepsis. Wo sehen sie die Probleme?
Wenn der Zentralstaat den untergeordneten politischen Körperschaften, d.h. den Bundesländern und Kommunen, über eine zentrale Besteuerung die direkten Einnahmequellen entzieht, kann der Nachweis leicht geführt werden, sie seien „nicht mehr in der Lage“ ihre Aufgaben zu erfüllen und müssten daher subsidiär zentral regiert werden.
Hat die Subsidiarität im gegenwärtigen föderalistischen System eine Zukunft? Wird der Trend zum Zentralismus vor der Schweiz halt machen?
Grosse Probleme werden lösbarer, wenn man sie experimentell in kleineren Einheiten zu lösen versucht, die jeweils erfolgreichsten Lösungsmuster adaptiert und kopiert und gleich auch wieder neue testet. Der Wettbewerb ist ein Entdeckungsverfahren für die jeweils optimale Lösung. Die politischen Systeme verhalten sich diesbezüglich weltweit irrational und gegenläufig und ziehen – auch in der Schweiz – zentralistische, zwangsharmonisierte und bürokratische Lösungen vor. Glücklicherweise haben die in der der Schweiz traditionell verankerten nonzentralen Strukturen in Verbindung mit dem (vor allem im kleineren Rahmen) erfolgreichen direktdemokratischen Prinzip eine erhebliche Bremswirkung. Der Steuerzahler, der an der Urne auch über finanzrelevante Projekte mitbestimmende Bürger und der Benutzer der öffentlichen Infrastruktur sind mindestens in überschaubaren Gemeinwesen noch weitgehend identisch. Dies ermöglicht die politische Wahrnehmung des Zusammenhangs zwischen öffentlicher Versorgung, Wirtschaftlichkeit und Finanzierung durch Zwangsabgaben und fördert gleichzeitig eine gesunde Skepsis gegenüber dem Staatsapparat und ein finanzpolitisch rationales Verhalten. Es begünstigt und schafft jene Solidarität, die nicht zu Lasten Dritter propagiert und praktiziert wird.
Ihr Plädoyer lautet Non-Zentralismus. Wie lässt sich diese Form der Subsidiarität finanziell realisieren?
Man muss den Kommunen und Bundesländern (und Nationalstaaten) zumuten, ihre eigenen gemeinsamen Probleme mit ihren eigenen Mitteln zu lösen und man muss sie davon entlasten, die verantwortungslose Steuer- und Finanzpolitik anderer voll mittragen müssen.
Sie loben den schweizerischen Steuerwettbewerb als Entdeckungsverfahren und Lernprozess. Läuft dieser immer reibungslos ab? Wo liegen ihrer Meinung nach die Risiken?
Jeder Wettbewerb und jeder Lernprozess besteht auch aus Fehlern und Misserfolgen. Wichtig ist, dass nicht alle dieselben Fehler machen und dass jene, die Fehler machen, auch die Folgen tragen und die wirtschaftliche bzw. die politische Verantwortung dafür übernehmen. Die Hauptkritik gegen den Steuerwettbewerb bezieht sich auch in der Schweiz auf die Beobachtung, dass ein Nebeneinander von Bemessungsgrundlagen und eine Vielfalt von steuerrechtlichen Normen und Tarifen zunächst zu Ungleichheiten führen. Daraus resultiert dann der Vorwurf (der auch international erhoben wird), dies sei ungerecht. Jedes Steuersystem strebt einen Ausgleich zwischen Gerechtigkeit und Effizienz an. Die Frage nach dem gerechtesten und effizientesten Verfahren der Besteuerung lässt sich aber weder abschliessend noch befriedigend beantworten. Darum sind Vielfalt und Wettbewerb in Kombination mit territorialer Zuständigkeit und grundsätzlicher Niederlassungsfreiheit erwünscht, und die Behauptung, das eigene Steuersystem sei auch für Steuerpflichtige, die sich anderswo niederlassen, massgebend, ist reines Machtgehabe.
Welches Erhebungssystem, welcher Steuertarif und welche Verfahren der Einschätzung und der Sanktionen sind nach ihrer Ansicht gerecht und effizient?
Darüber streiten nicht nur Politiker sondern auch Fachleute. Im allgemeinen gilt beispielsweise die Besteuerung „nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit“, d.h. progressive Besteuerung, als besonders gerecht. Gerade die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hat aber entscheidende subjektive Komponenten und ist nicht von der Leistungsbereitschaft abzukoppeln. Letztere wird aber von einer progressiven Besteuerung eindeutig negativ beeinflusst. Die Besteuerung nach dem Kriterium der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit würde deshalb im langfristigen fiskalischen Eigeninteresse folgerichtig den Abbau der progressiven Besteuerung verlangen und Flat taxes favorisieren. Dass die Besteuerung von Firmen letztlich auf die Kunden abgewälzt wird und damit die privaten Haushalte zusätzlich belastet, ist Fachleuten längst bekannt, aber jene Steuersysteme, die diesbezüglich Zurückhaltung üben, werden generell als Rosinenpicker und Spielverderber angeprangert. Das in der Schweiz vorherrschende Prinzip der nicht bis in jedes Detail kontrollierten Selbstdeklaration (in Kombination mit einer direkten Rechnungsstellung an die Steuerpflichtigen) bringt nicht weniger Steuereinbussen als eine aufwendige finanzpolizeiliche Kontroll-und Fahndungsbürokratie. Es liefert aber einen der Hauptgründe, warum die Schweiz international unter Druck gesetzt wird. Freiheit kann sich dann entfalten, wenn sowohl Individuen als auch Gemeinwesen mindestens teilweise darauf verzichten, ihre eigenen Vorstellungen von Gerechtigkeit zu verabsolutieren und andern zwangsweise vorzuschreiben. Das gilt auch bei der Besteuerung, sowohl innerhalb von Bundesstaaten als auch im internationalen Rahmen. Dass dieses wichtige Grundprinzip der Steuerhoheit von den europäischen Nachbarn der Schweiz und speziell auch von den USA in letzter Zeit zunehmend in Frage gestellt wird, ist das Hauptrisiko des Steuerwettbewerbs.
Steffen Hentrich, freiheit.org