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Mehr Staat – weniger Familie

Lesedauer: 3 Minuten

(St. Galler Tagblatt)

Robert Nef, langjähriger Herausgeber der «Schweizer Monatshefte» und eine Zeitlang Merker dieser Zeitung, kritisiert die Vereinheitlichung des Schulwesens.

«Die heute politisch im Vordergrund stehende Lösung, immer mehr traditionelle Aufgaben der Familie durch einheitliche Schulobligatorien an den Staat abzutreten, ist letztlich nichts anderes als eine allgemeine Verweigerung, die innerfamiliäre Arbeitsteilung und neue Muster der Lebensgestaltung partnerschaftlich neu auszuhandeln.

Was durch Übereinkunft offenbar nicht schnell genug gelöst werden kann, soll durch Kollektivierung und Zwang sichergestellt werden. Der Staat wird dabei zum allzuständigen Lückenbüsser, zum Mutter- und Vaterersatz. Die Erfahrungen, welche in sozialistischen Staaten mit der sogenannten Politik der Gleichstellung gemacht wurden, sind nicht ermunternd. Die partnerschaftliche Mitbeteiligung der Männer an häuslichen innerfamiliären Aufgaben ist dort signifikant schlechter geblieben als in nichtsozialistischen Gesellschaften.

Der Staat eignet sich offenbar allenfalls temporär als Konservator sozialer und kultureller Strukturen, aber wenn er «Umerzieher» oder Innovator sein will, erreicht er oft das Gegenteil: die Zementierung des Bisherigen.

Warum müssen Männer und Frauen bei zunehmender Lebenserwartung ausgerechnet zwischen 25 und 40, wenn sie in ihrer Familie zusammen mit ihren Kindern eine schöne, lehrreiche und wertvolle Zeit der gegenseitigen Kommunikation und Reifung erleben könnten, alle Energie in Beruf und Karriere investieren und gleichzeitig die Kinder in der spannendsten Entwicklungszeit an kollektive Institutionen abgeben? Kinder brauchen Eltern, aber Eltern brauchen auch Kinder, nicht nur abends und an Wochenenden.

Es wäre in einer offenen Gesellschaft zu hoffen und zu erwarten, dass durch soziale Lernprozesse diesen Zusammenhängen wieder mehr Rechnung getragen würde, dass zum Beispiel in partnerschaftlichen Strukturen die Bereitschaft der Ehemänner und Väter zu innerhäuslichem und familiärem Engagement wächst, dass die Grosselterngeneration vermehrt und aktiver einbezogen wird, dass sich ein Wandel bei den Prioritäten freier Lebensunternehmerinnen und -unternehmer auch bei der Partner- und Berufswahl und auf dem Arbeitsmarkt auswirkt.

Dies ist aber nur möglich, wenn man jene gutgemeinten bildungs- und familienpolitischen Interventionen und Regulierungen abbaut, die das erzwungene und für viele auch bequeme Abschieben von Kindern an staatliche Institutionen ermöglichen.

Das ideale Familienmodell gibt es nicht, und die Institutionen die für jeden individuellen Fall die bestmöglichen Chancen und am wenigsten Beeinträchtigungen bieten, gibt es auch nicht. Darum ist gegenüber allen kollektiven Obligatorien Zurückhaltung geboten. Lebendige Familien sollten einen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturwandel nicht einfach defensiv durchstehen, sondern aktiv mitgestalten.

Dabei ist das Potenzial der in Traditionen gespeicherten gemeinsamen Erfahrungen nicht zu unterschätzen. Am vorteilhaftesten ist das Herantasten an bessere Lösungen durch eine sehr grosse Zahl nicht zentraler Experimente und Optionen, die offen sind für gegenseitige Lernprozesse. Gegenüber einer aktiven politischen Beeinflussung der Geschlechterrollen in der Familie, die über die Gewährleistung möglichst offener Rahmenbedingungen sowie über den Abbau von bisherigen Verzerrungen und Störungen durch Arbeitsrecht, Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht und Schulrecht hinausgeht, ist aus liberaler Sicht grösste Skepsis angebracht, denn in erster Linie handelt es sich bei der innerfamiliären Rollen- und Arbeitsteilung um einen sozialen Lern- und Veränderungsprozess, bei dem niemand «die richtige Lösung» kennt und bei dem man möglichst wenig Zwang und möglichst wenig Zentralismus zulassen sollte.

Warum muss man jene Familien, die sich bis zu jenem Zeitpunkt, den man früher als Schulreife bezeichnete, selbst und selbstorganisiert um ihre Kinder kümmern wollen, zwingen, dies nicht mehr zu tun? Selbst wenn dies nur eine kleine Minderheit von – sagen wir – fünf Prozent sein sollte, so leidet diese Minderheit mindestens ebenso unter den gegenwärtigen Verhältnissen wie jene knapp zwei Prozent, die wegen Wohnortwechseln Schwierigkeiten haben, die sich übrigens in den meisten Fällen auch ohne minutiöse Lehrplan-Harmonisierung nicht als unüberwindlich erweisen.

Es trifft zu, dass viele bildungspolitische Weichen in vielen Kantonen schon in Richtung Kollektivierung gestellt worden sind. Ist das ein Grund, das künftige Schicksal unseres kantonalen Bildungswesens definitiv an die demokratisch nicht legitimierte Konferenz der Erziehungsdirektoren zu delegieren, die die Zukunft von Bildung und Erziehung durch mehr Staat, mehr Zwang und mehr Zentralität vorantreiben wollen? Bei einer Zentralisierung werden, was oft vergessen wird, auch die jeweils vorherrschenden Irrtümer und Betriebsblindheiten harmonisiert. Ein für künftige Entwicklungen in der Familien- und Berufswelt offenes Bildungswesen braucht selbst Lernprozesse, die auf Vielfalt und nicht in Einfalt basieren.

Robert Nef Publizist, St. Gallen
Robert Nef, langjähriger Herausgeber der «Schweizer Monatshefte» und eine Zeitlang Merker dieser Zeitung, kritisiert die Vereinheitlichung des Schulwesens. Nef hält fest, er selbst habe während der Kleinkinderphase sein berufliches Pensum auf 50 Prozent reduziert und mit seiner Frau Haushalt- und Erziehungsarbeit geteilt.

Quelle: https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/mehr-staat-weniger-familie-ld.177883

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