(Schweizer Monat – Kultur – Ausgabe 960 – April 2008)
Zürich: Verlag Orell Füssli, 2007
Noch vor den Parlamentswahlen 2007 hat Fulvio Pelli, der amtierende Präsident der FDP Schweiz, einen Sammelband zum Thema Liberalismus herausgegeben. Im Vorwort beschreibt er nicht ohne Selbstironie die Entstehungsgeschichte der Publikation, und er nennt das wenig ambitionierte Resultat «ein blaues Etwas, das nur helfen soll, herauszufinden, was den einen oder andern dazu bewegt, sich im Liberalismus wiederzufinden und zu versuchen, ihn im täglichen Leben in die Praxis umzusetzen». Jenes fällt bekanntlich leichter als dieses – auch nach der Lektüre des vielfältigen Sammelbandes, der ganz bewusst nicht als Katechismus daherkommt, sondern als Collage aus persönlichen Bekenntnissen. Selbst im Autorenverzeichnis finden sich Hinweise auf den durchaus undogmatischen Charakter des Bändchens. Es ist zwar mehr als ein unverbindlicher Werbeprospekt, will aber keinesfalls eine systematische Darstellung einer vorherrschenden oder gar verbindlichen freisinnigen Parteilinie bieten. In humorvoller Vorwegnahme einer möglichen Kritik wird am Schluss des Paperbacks unter den Autoren auch der Zufall erwähnt als «ständiger Mitarbeiter vieler Publikationen». Zufällige Impulsivität und Kreativität kommen denn auch in den 37 Kapiteln ausgiebig zum Ausdruck, die mehr als nur 37 Gründe liefern, liberal zu sein.
Der Naturwissenschafter Gottfried Schatz bringt es im Kapitel 6 auf den Punkt: ein Liberaler war für seinen alten Religionslehrer ein Gottloser, für seine rebellischen Kinder jeder Vater ausser dem eigenen, für seine linksintellektuellen Studenten ein Steinzeit-Kapitalist. Es fällt also zweifellos leichter zu umschreiben, wogegen man sich als Liberaler auflehnt, als wofür man sich einsetzt. Das muss nicht unbedingt als dogmatische Schwäche ausgelegt werden. Die Freisinnigen müssen wieder lernen, im richtigen Moment und in der richtigen Konstellation nein zu sagen. Freiheit bedeutet Nein zu mehr Zwang und Fremdbestimmung und Nein zu mehr Staatsapparat und mehr Steuern. Der hohe Stellenwert liberaler Steuerskepsis kommt mindestens in einem Beitrag, im Kapitel 20 des Zürcher FDP-Nationalrats Ruedi Noser, zum Ausdruck. Gerold Bührer, dem Präsidenten des Wirtschaftsverbandes économiesuisse bleibt es vorbehalten, auf die zentrale Bedeutung des Wettbewerbs aufmerksam zu machen.
Es ist beruhigend zu wissen, dass einer der Autoren, ein ehemaliger Sozialdemorat, bereit ist, sich als Liberalen zu bekennen – und zwar deshalb, weil «die Argumente dafür sprechen». Das passiert nicht immer, aber immer öfter. Im Literaturverzeichnis finden sich die wichtigsten liberalen Klassiker, an der Spitze Frédéric Bastiat, der für jeden Freisinnigen, der «Wir Liberalen» sagt, Pflichtlektüre sein sollte. Ausser dem Waadtländer Benjamin Constant, der sich selbst eher als Franzose fühlte, schaffte es kein Schweizer in die Liste der 16 liberalen Erzväter. Das Erfreuliche und Erfrischende an dem «blauen Etwas» ist die auch bei der Auswahl der Autorinnen und Autoren spürbare Sympathie für Offenheit, Vielfalt und für Neugierde. Martin Meyer windet ihr in seinem Beitrag mit guten Gründen ein liberales Kränzchen. Insgesamt kommt – ohne ausdrücklich erwähnt zu sein – der Humor, der uns in selbstgewählten und fremdbestimmten Abhängigkeiten das Leben erleichtert und einen wichtigen Nährboden der Freiheit bildet, in verschiedenen Beiträgen zum Zug. War es bereits etwas Galgenhumor, der über das eher schlechte Abschneiden der FDP in den letzten Wahlen hinwegtrösten sollte?
Robert Nef
ist Publizist und Autor, Mitglied der Mont Pèlerin Society sowie der Friedrich August von Hayek-Gesellschaft. Nef war von 1991 bis 2008 Redaktor und Mitherausgeber der «Schweizer Monatshefte». Er lebt als freier Publizist in St. Gallen.