Zum Inhalt springen

Gegen Wischiwaschi-Liberalismus

Lesedauer: 4 Minuten

(NZZ – DOSSIER • MEDIEN – Freitag, 22. Februar 2008, Nr. 44, Seite B5)

Die Zeitschriften «Eigentümlich frei» und «Schweizer Monatshefte»

Der Erfolg der Vokabel liberal ist gleichzeitig ihr Misserfolg. Denn man kann damit das eine und sein Gegenteil benennen. Eine deutsche und eine Schweizer Zeitschrift wollen gegensteuern.

Ausserhalb der Wirtschaftspresse und der Wirtschaftsressorts der Zeitungen ist «liberal» als Kennzeichnung für eine Position auf dem Medienmarkt zu einer Allerweltsformel geworden. Hier hat sich ein Wohlfühlliberalismus etabliert, der lässig zu fast jeder Position auch das Gegenstück zulässt. Als liberal versteht sich ein publizistisches juste milieu, das sich in einer zum Lifestyle gewordenen Beliebigkeit eingerichtet hat.

Möglichst wenig Staat

Zwei kleine Zeitschriften versuchen, sich davon deutlich abzusetzen und liberale Positionen wirtschafts-, gesellschafts- und kulturpolitisch schärfer zu konturieren. «Eigentümlich frei» («Ei-frei») nennt sich ein zehnmal im Jahr in der rheinischen Kleinstadt Grevenbroich erscheinendes Magazin mit sehr überschaubarer Botschaft: «Im Zusammenleben der Menschen gibt es nur zwei Wege: Gewalt oder Freiwilligkeit, Gewehr oder Vertrag, Zensur oder freies Wort, Sozialismus oder Eigentum.» 1998 als Szenenorgan für die sogenannten Libertären gegründet, setzt «Ei-frei» auf besitzbürgerlichen Individualismus und offensiven Sukkurs für einen Kapitalismus, der mit möglichst wenig Staat auskommt.

Nach der Devise «Nur keinen Streit vermeiden!» attackiert das Blatt alles, was es als Einschränkung der Freiheit und als Aushöhlung des fundamentalen Eigentumsrechts versteht: Handwerksordnung, Etatismus im Gesundheitswesen und im Bildungssystem, Antidiskriminierungsgesetze und die derzeitigen Rauchverbote werden hier als ebensolches freiheitsfeindliches Teufelszeug vorgeführt wie Quotenregelungen, «gender mainstreaming», Kriminalisierung von Drogen und die gegenwärtige Klimapolitik. Im Anschluss an Thesen von Friedrich Hayek, der zu den verehrten Theoretikern gehört, polemisiert Herausgeber André F. Lichtschlag gegen das Wahlrecht für Empfänger staatlicher Transferleistungen.

Der Ton, der hier gepflogen wird, ist laut, gelegentlich schrill: Titel wie «Wenn der Verstand schmilzt» (zur «Klimahysterie»), «Intelligenz und Wohlstand – wie Politik die Menschen verblödet und Bürgerkriege heraufbeschwört» und «Die Stimme der Kinderdiebe – totalitäre Töne aus der CDU» (über die Familienpolitik) setzen auf polemische Zuspitzung gegen herrschenden Konsens.


Eine polemische…

… und eine nachdenkliche liberale Stimme

«Von der Schweiz siegen lernen»

Die Alternative gerät manchmal an den Rand der unfreiwilligen Parodie: «Kapitalismus ist das Wirtschaftssystem der Liebe», «Soziale Gerechtigkeit in China» (über rundum glückliche Wanderarbeiter) tönt es da. In der Serie über «Auswanderungsländer», die den vom Staat, von der politisch korrekten Presse und von regulierungswütigen Parteien verfolgten libertären Deutschen Ziele weisen soll, nimmt die Schweiz Platz eins ein: «Von der Schweiz lernen heisst siegen lernen.»

Herausgeber und Verleger André F. Lichtschlag, der einmal Mitglied der FDP war, will das Blatt, das nach seinen Angaben heute eine verbreitete Auflage von 4500 Exemplaren hat, zum anstehenden Zehn-Jahre-Jubiläum vorsichtig öffnen und für ein grösseres Publikum attraktiv machen. Dabei nimmt er auch Autoren ins Blatt, die wegen ihrer rechtskonservativen Positionen derzeit in Deutschland publizistisch ausgegrenzt sind. Der gemeinsame Kampf gegen Einschränkungen der Meinungsfreiheit lässt hier zusammenwachsen, was angesichts unterschiedlicher Staatsvorstellungen eher nicht zusammengehört.

Anlass zu Alarmrufen über einen Rechtsruck des Blatts besteht aber nicht. «Ei-frei» bleibt eine nach vielen Seiten hin auskeilende, oft erfrischend unbekümmerte Streit-Zeitschrift, der man allerdings die Anstrengung anmerkt, mit bescheidenen Mitteln gegen die öffentliche Übermacht des Glaubens an die Parole von der sozialen Gerechtigkeit anzukämpfen.

Ruhigere Schweizer Stimme

Die von Robert Nef und Suzann-Viola Renninger herausgegebenen «Schweizer Monatshefte» operieren nicht von einer solchen Position der in die Enge getriebenen Minderheit aus, und das hat Folgen für Inhalt und Auftritt der traditionsreichen Zeitschrift. Denn wenn beide Blätter auch einige Autoren gemeinsam haben und die Grundorientierung auf eine freiheitliche, dem Marktmodell verpflichtete Gesellschaft teilen, so sind doch die erheblichen Unterschiede nicht zu übersehen. Wo «Ei-frei» schreit und polemisiert, sprechen die «Monatshefte» mit ruhiger Stimme, geben sich gediegen-nachdenklich.

In der vorerst letzten Phase ihrer langen Geschichte, die die Zeitschrift 1921 als Organ des Kampfes gegen Völkerbund, Versailler Friedensordnung und als Verfechterin einer sehr engen Anlehnung an Politik und Kultur des deutschen Nachbarn begonnen hat, präsentieren sich die «Schweizer Monatshefte» mit einem breiten Angebot: Die «Weiterentwicklung liberaler Wertvorstellungen», die den Raum «jenseits von Liberalismus light» (so im Editorial der Dezember/Januar-Ausgabe) erkunden wollen, ist hier um eine weite kulturelle Perspektive ergänzt.

In ihrer langen Geschichte haben die «Monatshefte» immer auch den grossen Autoren der Schweizer Literatur ein Forum geboten. Die Weiterführung dieser Tradition zeigt sich heute im Themenmix der zentralen Dossiers: Da geht es nicht nur um Beiträge zu einer Debatte um den Föderalismus, um «die Macht der Ressourcen» und um «Staaten in der Schuldenfalle», sondern auch um die «Dienstleistung Kunst» oder um Zürich als eine der Hauptstädte der Dada-Bewegung. Mit grosser Sorgfalt wählt die Redaktion für jede Nummer moderne Künstler aus, deren Arbeiten durchs Blatt hindurch vorgestellt werden. Ein umfangreicher Rezensionsteil, der in Zusammenarbeit mit dem Autorenstamm der deutschen Literaturzeitschrift «Am Erker» entsteht, widmet sich der «Schweizer Literatur in Kurzkritik». Den hochgesteckten kulturellen Anspruch lösen auch Langzeitprojekte ein wie die Serie «Zürich, Stadt der Seelenkunde», die in den Heften des Jahrgangs 2007 eine kleine Kulturgeschichte der Psychoanalyse an einem ihrer dynamischen Zentren zusammentrug.

Abkehr vom belehrenden Ton

Ausserhalb von Dossier und Kulturteil suchen die «Monatshefte» in Kommentaren den Kontakt zum Zeitgeschehen. Eine Erweiterung des Autorenkreises soll dazu beitragen, den lange Zeit allzu akademisch-belehrenden Ton zu verändern. Erkennbar ist der Wille, die «Monatshefte» journalistischer zu machen und wegzukommen von einem Abwurfplatz für gutgemeinte, aber langweilige kernliberale Programmprosa, womöglich noch in parteipolitischer Festlegung. Ansätze zu einer Lust an der Debatte sind zu erkennen.

Die Mittel sind allerdings auch bei den «Schweizer Monatsheften» beschränkt. Bei einer Auflage von zurzeit 3500 Exemplaren reichen die Zinsen des Stiftungskapitals, von denen die Zeitschrift eigentlich leben soll, nicht aus. So entstehen die Dossiers immer in Partnerschaft mit Geldgebern, die im Impressum genannt sind. Die Unabhängigkeit sei dadurch nicht gefährdet, versichert Redaktor René Scheu, wünscht sich gleichwohl aber eine Finanzierung aus eigenen Mitteln. 5000 Abonnements würden dazu reichen. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg, zumal die Zeitschrift Nichtabonnenten nur in rund einem Dutzend Schweizer Buchhandlungen und in sechs Galerien begegnet.

Heribert Seifert

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert